Medien sollen bunter werden: Der Künstler Liu Bolin lässt sich für eine Kunstaktion im Mai 2013 vor einem Zeitschriftenregal bemalen. Foto: dpa

Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. Eine Vielfalt, die die deutschen Medien nicht widerspiegeln, kritisiert die Politologin Ferda Ataman. Um dieses Thema geht es auch bei einer Podiumsdiskussion an diesem Dienstag, um 19 Uhr in der Stadtbibliothek. Der Eintritt ist frei.

Stuttgart - Frau Ataman, ist es eigentlich korrekt von Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen?
Wir sagen beim Mediendienst Integration gerne: Menschen aus Einwanderungsfamilien. Das ist zwar nicht weniger sperrig, aber konkreter als Menschen mit Migrationshintergrund. Ich persönlich mag die Bezeichnung „die neuen Deutschen“.
Warum ausgerechnet das?
Weil darin der Anspruch mitschwingt, Teil der Gesellschaft zu sein. Die Begrifflichkeit in den Medien ist tatsächlich ein schwieriges Thema. Ich freue mich, dass wir zwei darüber diskutieren. Ich habe den Eindruck, dass gerade überall – in Redaktionen, in der Politik und in der Gesellschaft – darüber diskutiert wird, wie man über das Einwanderungsland sprechen soll. Mit Blick auf Minderheiten würde ich sagen, wenn man mit jemanden ins Gespräch kommt, fragt man ihn einfach, wie er bezeichnet werden möchte.
Was läuft zum Thema Migration schief in den deutschen Medien?
Einiges. Ein Grundproblem ist, dass die Medien die Vielfalt der Gesellschaft zu wenig widerspiegeln. Zum Beispiel in den Autorenzeilen, und bei den Verantwortlichen von Fernseh- oder Rundfunkberichten.
Liegt das nur an den Medien?
Oft wird gesagt, dass Kinder aus Einwanderungsfamilien den Beruf Journalist nicht als tollen Job sehen, sondern eher als Ingenieur, Arzt oder in der Privatwirtschaft arbeiten wollen. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Journalismus für alle, die eine Affinität zu Gesellschaftsthemen haben, ein interessanter und toller Beruf ist. Es fehlten einfach jahrzehntelang die Vorbilder. Das ging mir persönlich auch so. Ich habe mit meiner Familie die Nachrichten geschaut und in der Tagesschau niemanden gesehen, der oder die keinen typisch deutschen Namen hatte.
Sie kritisieren auch die Auswahl der Themen.
Ja, das fängt schon bei ganz banalen Dingen an. Ein Beispiel: Wir wissen, dass in Deutschland rund drei Millionen Menschen leben, die Bezüge zur Türkei haben. Trotzdem ist es in fast keiner Zeitung üblich, dass türkische Fußballergebnisse berücksichtigt werden. Das selbe Phänomen finden Sie aber auch bei harten Nachrichten. Wenn der Ehegatten-Nachzug beschränkt wird, wird das kaum und wenn, dann nur sehr klein vermeldet – obwohl es doch für viele Menschen relevant ist. Da merkt man einfach, dass das Themen sind, die als Randthemen wahrgenommen werden und nicht als etwas, was die Gesellschaft bewegt.
Gibt es besondere Unterschiede zwischen den verschiedenen Medien?
Nicht unbedingt zwischen Fernsehen, Print oder Rundfunk. Aber zwischen privat und öffentlich-rechtlich durchaus. RTL hatte schon im Jahr 2000 eine Krimiserie mit einem türkischen Kommissar, Erol Sander spielte Sinan Toprak in „Der Unbestechliche“. Als 2010 der erste türkeistämmige Kommissar im Tatort war, wurde das allerdings als großer Fortschritt bejubelt. RTL und Sat1 hatten auch als erstes Nachrichtensprecher mit türkischen Namen.
Aber das setzt sich doch auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern langsam durch.
Das stimmt. Heute schaltet man den Fernseher ein und sieht im Morgenmagazin viele bunte Gesichter und Namen. Aber es sind noch immer viel zu wenige im Vergleich: Während jeder fünfte Einwohner in Deutschland einen „Migrationshintergrund“ hat, trifft das geschätzt nur auf jeden 50. Journalisten zu. Ich frage mich zum Beispiel, warum unter den zahlreichen Moderatoren der Polittalks in den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht eine Person ist, die nicht nur selber für die neuen Deutschen stehen, sondern auch die Runde mal etwas bunter aufstellen würde.
Was gefällt Ihnen an den Runden der zahlreichen Polittalks nicht?
Dort treten viel zu wenige Menschen aus Einwandererfamilien als Experten auf. Außer es geht um Migrationsthemen. Warum kann niemand mit einem italienischen oder jemand mit einem äthiopischen Namen etwas zur Griechenland-Krise sagen? Es würde uns gut tun, wenn wir unter den Deutschen Experten öfter mal bunte Gesichter hätten. Das kommt hoffentlich noch.
Sie sind Mitbegründerin der Neuen Deutschen Medienmacher (NDM), einem Verein, der sich für genau diese von Ihnen geforderte Vielfalt in den Medien einsetzt. Einige Mitglieder fordern eine Quote für Redaktionen. Wäre eine Quote denn wirklich der richtige Weg?
Da stellen sich viele Fragen. Zunächst wäre es schon schwierig, zu definieren, wer oder was ein Migrant ist. In Deutschland würden viele Menschen, die von so einer Quote profitieren sollten, gar nicht als „Menschen mit Migrationshintergrund“ gezählt. Zum Beispiel Afrodeutsche, die in der xten Generation hier leben, aber eine dunkle Hautfarbe und deshalb öfter Erfahrungen mit Diskriminierung haben. Das zweite ist, dass Quoten immer die radikalste Lösung sind – und sehr umstritten. Es gäbe auch andere Möglichkeiten, die man erst mal ausschöpfen müsste, um Hemmschwellen bei Bewerbungen abzubauen. Zum Beispiel Personaler dafür zu sensibilisieren, oder anonymisierte Bewerbungen einzuführen. Aber wissen Sie, was das Schöne an Quoten ist?
Verraten Sie es!
Dass schon allein die Forderung viele Leute auf die Barrikaden bringt und dadurch eine fruchtbare Debatte entsteht. Denn wir müssen darüber reden. Und wenn man keine Quote will, dann muss man sich eben andere Angebote ausdenken, die diese Lücke füllen, die nachweislich da ist.
 

Brauchen wir mehr Vielfalt in den deutschen Medien? Darüber diskutiert Ferda Ataman an diesem Dienstag (30. Juni), um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Stuttgart, Mailänder Platz, unter anderem mit Wolfgang Molitor, dem stellvertretenden Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten. Der Eintritt ist frei.