Baden-Württemberg ist das Flächenland mit den meisten Migranten – in der Kommunalpolitik ist davon aber kaum etwas zu spüren. Gemeinderäte mit ausländischen Wurzeln sind Seltenheit.

Stella Kirgiane-Efremidis sagt selbst über sich, eine "typische Migrantenbiografie" zu haben: Hauptschule, Berufsfachschule für Bürotechnik, Ausbildung. Den Weg in die Kommunalpolitik hat sie über die Elternarbeit im Kindergarten gefunden. "Der Anfang ist für Migranten schwierig in der Politik, aber sobald man Sachverstand bewiesen und Rückhalt in der Gemeinde aufgebaut hat, gibt es keine Probleme mehr", erzählt die 43-Jährige. In diesem Jahr hat sie bei den Gemeinderatswahlen für die Sozialdemokraten das beste Ergebnis aller Bewerber geholt.

Vertraut man den Zahlen des "Netzwerkes türkeistämmiger Mandatsträger", dann gehört Kirgiane-Efremidis als Politikerin mit Migrationshintergrund zu einer seltenen Spezies in baden-württembergischen Parlamenten. Vor den Kommunalwahlen am 7. Juni habe es fünf Mandatsträger türkischer Herkunft im ganzen Land gegeben. Sie verteilten sich auf alle Volksvertretungen in Gemeinde, Stadt und Kreis. Im Landtag sitzt kein einziger. Insgesamt verzeichnete die Organisation rund 80 Mandatsträger mit türkischem Hintergrund in deutschen Parlamenten. "Zwei Drittel haben Mandate auf Stadt- und Kreisebene", weiß Aydan Özoguz. Sie ist zuständig für die Integrationsprojekte der Körber-Stiftung und betreut das "Netzwerk türkeistämmiger Mandatsträger". Die parteiübergreifende Organisation will die Integration türkischer Migranten fördern. Inwiefern sich die Zahlen nach den Kommunalwahlen verändert haben, konnte Özoguz nicht beziffern.

Angesichts dieser Statistik fordert der Netzwerk-Vorsitzende Ergun Can: "Es muss Schluss sein mit alibimäßigen Platzierungen von Migranten unten auf den Parteilisten." Diese wahltaktischen Manöver zielten nur darauf, sich als Partei möglichst ausländerfreundlich zu präsentieren. Sobald Migranten dann Ämter anstrebten, werde die Luft für sie aber ganz dünn, behauptet Can. "Wenn es nicht anders geht, brauchen wir eine Quote, die die Anzahl von Migranten in der Partei verbindlich vorschreibt", legt das Stuttgarter SPD-Gemeinderatsmitglied nach. Er höre immer wieder Klagen von Kollegen und verstehe deren Frust.

An Christian Storrs Adresse wurden bislang keine Beschwerden herangetragen. Er ist Leiter der Stabsstelle des Integrationsbeauftragten der Landesregierung. "Ich habe eher das Gefühl, dass bei den vergangenen Kommunalwahlen mehr Migranten auf den Parteilisten standen", so Storrs Eindruck. Statistiken führe die Stabsstelle nicht. Dass es relativ wenige türkische Mandatsträger gibt, erklärt er damit, dass "Türken auf dem Weg zum politischen Mandat im Vergleich zu EU-Bürgern eine Hürde mehr überspringen müssen". Als Nicht-EU-Bürger müssen sie sich zunächst in Deutschland einbürgern lassen, bevor sie bei Wahlen kandidieren dürfen.

Der Integrationsbeauftragte der Landesregierung, Ulrich Goll (FDP), tritt deshalb seit langem für die Öffnung des Kommunalwahlrechts ein. Nach fünfjährigem Aufenthalt sollten seiner Meinung nach alle Migranten auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg wählen oder gewählt werden dürfen.

Mit 2,7 Millionen Migranten ist Baden-Württemberg laut Statistischem Landesamt das deutsche Flächenland mit dem höchsten Anteil an Einwohnern ausländischer Herkunft. Die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. Für diese Migranten brauche es laut des SPD-Landtagsabgeordneten Nikolaos Sakellariou Politiker mit Migrationshintergrund, weil sie unter den Migranten leichter Interesse für gesellschaftliches Engagement wecken können. "Grundsätzlich kann aber jeder Politik für Migranten machen, unabhängig davon, ob er selbst ausländische Wurzeln hat", sagt Sakellariou. Er selbst ist in Griechenland geboren.

Auch die griechische Stimmenkönigin von Weinheim, Kirgiane-Efremidis, sieht ihre "typische Migrantenbiografie" weder als besonderen Vor- noch als Nachteil für ihre politische Arbeit: "Ich wurde nicht gewählt, weil ich Politikerin mit Migrationshintergrund bin, sondern weil die Bürger mein jahrelanges Engagement für die Gemeinde honoriert haben."