Mietwohnungen wie hier in Heslach gehören in Stuttgart mehrheitlich Privatleuten Foto: dpa

Ein Mieter zahlt in einem Mehrfamilienhaus in Stuttgart seit einem halben Jahr keine Miete mehr und hat seinen Vermietern schon mehr als 1800 Euro Kosten für Anwalt und Gericht beschert. Das erschüttert das Rechtsempfinden der Vermieter.

Stuttgart - Seit Jahrzehnten lebt das Ehepaar K. im Stadtteil. Beide sind um die 70 Jahre alt, und sie haben sich auf einen ruhigen Ruhestand eingestellt. Eine der drei Wohnungen bewohnen die beiden selbst, zwei Wohnungen vermieten sie seit vielen Jahren. Vor eineinhalb Jahren wurde eine davon durch die Vermittlung eines Maklers neu vergeben. Als erfolgreich würde das Ehepaar die Vermietung heute allerdings nicht mehr bezeichnen.

„Der Mieter hat uns eine Selbstauskunft über sein Einkommen vorgelegt, und der Makler bestätigte uns das genannte Monatseinkommen für die Dauer eines Jahres“, sagt Susanne K. (alle Namen von der Redaktion geändert). Ein Jahr lang bezahlte der neue Bewohner pünktlich, doch seit sechs Monaten habe er nichts mehr überwiesen, „weder die Miete noch das Geld für die Nebenkosten“, sagt Rudolf K. Als er ihn darauf angesprochen habe, hätte er behauptet, sein Konto sei leer geräumt worden. Seitdem belauere er die Vermieter regelrecht und verlasse die Wohnung nur, wenn sichergestellt sei, dass sich niemand im Hausflur aufhalte.

Kein Ersatz für entstandene Kosten

Der Mietvertrag sei inzwischen schriftlich gekündigt, die erste Räumungsklage im April entschieden worden. „Da hätte er wohl noch die Möglichkeit gehabt, freiwillig auszuziehen, aber das hat er nicht gemacht“, sagt Susanne K. Auch dass das Sozialamt eventuell die Miete übernehme, sei angedeutet worden. Geschehen ist bisher allerdings nichts, „jetzt warten wir auf den Termin des Gerichtsvollziehers, der die Wohnung räumt, das Schloss auswechselt und die Tür versiegelt“.

Auf Erstattung der ausstehenden Miete und der 1800 Euro Anwalts- und Gerichtskosten wagt das Ehepaar schon lang nicht mehr zu hoffen. „Für mich ist das ein Betrüger“, sagt Susanne K. Mietsachen wie Räumungsklagen, Schadenersatz, Miethöhen- und Nebenkostenstreitigkeiten werden von den Amtsgerichten verhandelt. Beim Amtsgericht Bad Cannstatt, zuständig für deutlich mehr als 200 000 Einwohner, sind im Jahr 2015 insgesamt 892 Mietsachen eingegangen.

Laut Direktor Andreas Holzwarth „sind Zivilverfahren nach circa vier Monaten erledigt“. Sei eine Richterstelle vorübergehend nicht besetzt, könne es durchaus länger dauern. Im Anschluss müsse der Beklagte Stellung nehmen können. Je nachdem, wie strittig die Sache ist, könne das Urteil zwei bis vier Wochen auf sich warten lassen. Am Ende könne das Gericht noch eine Räumungsfrist zubilligen, gesetzt sei aber, dass der Räumungstitel über einen Gerichtsvollzieher vollstreckt werden müsse. Susanne und Rudolf K. sind wütend. „Es ist eine Frechheit, dass die entstehenden Kosten keine Rolle spielen bei der Verfahrensdauer“, sagt Susanne K.

Ziel ist der Erhalt der Wohnung

Die Stadt Stuttgart hat beim Sozialamt eine Fachstelle zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit eingerichtet. Die Miete auf Darlehensbasis zu übernehmen hat sich nämlich als günstiger erwiesen als die Suche nach einer neuen Bleibe oder die Belegung von Notunterkünften. „Die Fachstelle wird verständigt, sobald ein Gerichtstermin für eine Räumungsklage feststeht“, sagt Isolde Faller vom Sozialamt. „Die Wohnung für den Mieter zu erhalten gelingt leider nicht immer.“

Wenn beispielsweise zuvor schon Versuche fehlgeschlagen sind, dem Klienten mit einem Darlehen vom Jobcenter oder vom Sozialamt über die Runden zu helfen, oder er nicht auf die Kontaktversuche des Sozialamts reagiert. Zuletzt bleibt dann doch nichts anderes übrig als ein Umzug in eine Notunterkunft, ein Sozialhotel oder eine Fürsorgewohnung – allerdings erst dann, wenn der Gerichtsvollzieher die Räumung vollzogen hat.

„Unsere Politik ist voll auf der Seite dieses Mieters. Ob wir jemals wieder jemanden ins Haus nehmen, müssen wir uns gut überlegen“, sagt das Ehepaar K.

Mehrheitlich Privatvermieter

Einwohnerzahl
Am 31. März 2016 lebten 512 386 Einwohner über 18 Jahren in Stuttgart. Zum Zensus 2011 waren rund 198 400 Wohnungen vermietet, rund 130 000 davon gehören Privatleuten. Der Anteil der Wohnungen, die von Eigentümern selbst bewohnt werden, lag bei rund 30,5 Prozent, Tendenz steigend.

Eigentümer
Von 108 000 Wohnungen im Privatbesitz sind rund 70 000 vermietet. Im Besitz von Eigentümergemeinschaften sind circa 123 000 Wohnungen, rund 60 000 davon vermietet. Genossenschaften stellen laut Statistischem Amt rund 23 000 Wohnungen auf dem Mietwohnungsmarkt.

Kartei
ie städtische Wohnungskartei verzeichnet 3800 Wohnungssuchende, mehr als die Hälfte der Fälle sind dringlich. Rund 1900 Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten leben in Unterkünften mit sozialpädagogischer Betreuung, und 666 Menschen, die unfreiwillig obdachlos geworden waren, fanden in Hotels oder Sozialpensionen eine Bleibe. Circa 1100 Personen, vor allem Familien, aber auch ältere Menschen und psychisch Kranke, leben in einer städtischen Fürsorgeunterkunft.

Verein
Der Stuttgarter Haus- und Grundbesitzerverein betreut derzeit mehr als 20 000 Mitglieder, die im Besitz von 100 000 Immobilien sind. „Zahlungsverzug ist mit Sicherheit der häufigste Grund von Kündigungen“, bestätigt Geschäftsführer Ulrich Wecker, „die Fallzahlen sind allerdings nicht überdurchschnittlich hoch, da wir eine gute Wirtschaftslage und nahezu Vollbeschäftigung haben.“