Weil die Grundsteuer zu den Mietnebenkosten zählt, belastet sie auch die Mieter. Auch Bewohner von Eigenheimen müssen sie zahlen, ebenso Gewerbetreibende für ihre Immobilien. Foto: Harald07/Adobe Stock

Ob Mieter oder Eigenheimbewohner – an der Grundsteuer kommt niemand vorbei. Sie muss reformiert werden und könnte sich bald zu einem weiteren Preistreiber am Wohnungsmarkt entwickeln. Dies gilt vor allem in Ballungsräumen wie der Region Stuttgart.

Stuttgart - Seit mehr als 20 Jahren lebt Werner Frank in seiner kleinen Mietwohnung in Stuttgart-Heslach - und erlebt die dramatische Entwicklung am Wohnungsmarkt bisher vor allem als Zuschauer. Ringsum schießen die Immobilienpreise in die Höhe – doch er selbst hat Glück. Sein Vermieter lebt weit entfernt und will keinen Ärger haben. „Ich darf nur nicht wegziehen“, lacht er. Denn dann würde er sich plötzlich unter den vielen Wohnungssuchenden wiederfinden, die im Ballungsraum Stuttgart kaum noch eine Bleibe finden.

Ein Reformvorhaben, das sich auch im Koalitionsvertrag wiederfindet, könnte aber auch ihm das Leben bald schwer machen. Dabei geht es um die Grundsteuer, die als hoffnungslos veraltet gilt und wohl schon bald durch das Bundesverfassungsgericht verworfen wird. Weil sich kein Bundesland leisten kann, dass seinen Kommunen plötzlich 13 Milliarden Euro in der Kasse fehlen, wollen die Länder diese Steuer verfassungsfest machen. Die Grundidee ist, die Gebäude und Grundstücke viel näher an ihrem eigentlichen Marktpreis zu bewerten. 14 der 16 Bundesländer – darunter auch Baden-Württemberg – haben sich auf eine entsprechende Reform verständigt.

Kommunen sollen Steigerungen abfedern

Würde die Bewertung direkt auf die Grundsteuer durchschlagen, würde die Steuer für viele Mieter und Eigenheimbesitzer von einigen hundert auf weit über 10 000 Euro im Jahr steigen. Deshalb sollen insbesondere die Kommunen dafür sorgen, dass diese hohen Wertsteigerungen abgefedert werden. Bei der Reform gehe es „nicht darum, den Kommunen mehr Geld zu verschaffen“, sagt ein Sprecher des Landesfinanzministeriums unserer Zeitung. Doch selbst wenn das gelingt und alle Gemeinden – freiwillig – auf Mehreinnahmen verzichten, kann die geplante Reform für den Einzelnen zu enormen Veränderungen führen. Denn die Werte der Immobilien, die in Westdeutschland im Jahr 1964 zum letzten Mal durchgängig ermittelt wurden, sind seither nicht nur sehr stark, sondern auch sehr unterschiedlich gestiegen. Vor allem in Stadtvierteln, die einst eher einfach waren, inzwischen aber mit teuren Lofts und schicken Läden ausgestattet sind, schaukeln sich die gestiegene Nachfrage, die niedrigen Zinsen und das spekulative Interesse von Kapitalanlegern aus aller Welt gegenseitig hoch. Künftig könnte die Grundsteuer ein weiterer Preistreiber werden.

In Hamburg, das als bisher einziges Bundesland eine systematische Modellrechnung vorgenommen hat, würden die Einheitswerte bei Einführung des 14-er-Modells auf das bis zu 47-Fache steigen. Selbst das Grundstück mit der schlechtesten Entwicklung kommt noch auf einen doppelt so hohen Wert wie bisher. Im Durchschnitt würde sich die Bewertung verzehnfachen. Weil die Grundsteuer zu den sogenannten umlagefähigen Betriebskosten zählt, wird sie vom Vermieter, ähnlich wie die Heizkosten, dem Mieter in Rechnung gestellt.

Eine Senkung der Hebesätze kann nach der Einschätzung von Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher große Verwerfungen nicht verhindern. „Selbst wenn wir den Hebesatz so stark senken würden, dass die Bürger insgesamt nicht zusätzlich belastet werden, müssten viele das Drei-, Vier- oder fast das Fünffache ihrer bisherigen Grundsteuer bezahlen“, sagt er. „Sie würden über Nacht mit einer enormen Erhöhung der Grundsteuer konfrontiert, selbst wenn sie seit 30 Jahren in der gleichen Wohnung leben.“

Finanzministerium kann Kritik nicht nachvollziehen

Für 100 Quadratmeter sind in Stuttgart je nach Lage schon jetzt mehrere Hundert Euro im Jahr fällig – ein solcher Anstieg würde schnell vierstellige Summen erreichen. Weil viele Menschen in den Ballungsräumen schon jetzt einen großen Teil ihres Einkommens für die Miete ausgeben, werde eine stark steigende Grundsteuer „gerade in Regionen wie Hamburg, Berlin oder Stuttgart dazu führen, dass sich weniger zahlungskräftige Mieter ihre bisherige Wohnung nicht mehr leisten können“, so der Hamburger SPD-Politiker. „Es käme zu einer höchst unerwünschten Entmischung der Wohnviertel: Hier die Reichen, die sich das Viertel weiter leisten können, und dort diejenigen, die an den Rand gedrängt werden.“ Zudem würde bei diesem Modell „jeder weitere Anstieg der Immobilienpreise eine weitere Erhöhung der Grundsteuer nach sich ziehen. Sie würde damit selbst zu einem Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt.“

Das Finanzministerium Baden-Württemberg kann Tschentschers Berechnungen nicht nachvollziehen. Wie stark die Hebesätze gesenkt werden müssen, lasse sich erst ermitteln, wenn alle Grundstücke neu bewertet worden sind – davor sei eine Schätzung der Auswirkungen zu unseriös. Doch unrealistisch scheinen Tschentschers Berechnungen nicht zu sein. Anders als die Landesregierung hat der Immobilieneigentümer-Verband Haus und Grund über Modellrechnungen bereits anhand von Stichproben die Mehrkosten abgeschätzt. Dabei ergab sich, dass der durchschnittliche Einheitswert in Baden-Württemberg auf das 14-Fache und damit noch stärker als in Hamburg steigen würde. Die Ergebnisse aus Hamburg würden durch die eigenen Stichproben „eindrucksvoll untermauert“, erklärt Ottmar Wernicke, Geschäftsführer von Haus und Grund Württemberg. Auch der Deutsche Mieterbund lehnt das Modell in seltener Einmütigkeit mit den Vermietern ab, weil die hohen Kosten Investitionen in die Schaffung von Wohnraum bremsten.

Bundesverfassungsgericht könnte Druck machen

Das Bundesverfassungsgericht könnte bald Bewegung in die festgefahrenen Fronten bringen. Denn es hat bei seiner Verhandlung deutlich gemacht, dass es nicht geneigt ist, dem Gesetzgeber nach Jahrzehnten der Untätigkeit weitere zehn Jahre für eine Nachbesserung zu geben, die nach Angaben des Bundesfinanzministeriums für eine Umsetzung nach den 14-er-Reformplänen notwendig wären. Gut möglich, dass die Verfassungsrichter eine wesentlich engere Vorgabe machen, die dann plötzlich Tschentschers Minderheitsmodell nach vorn bringt: Das Flächenmodell, bei dem die Grundsteuer nicht nach Werten, sondern nach der Fläche des Grundstücks und der Nutzfläche des Gebäudes berechnet wird.

Die Fläche lässt sich, anders als der Wert, schnell und ohne Einsatz von Gutachtern ermitteln, und sie ändert sich auch dann nicht, wenn die Märkte in Bewegung sind. Sie muss zudem nicht regelmäßig neu ermittelt werden. Für die Gemeinden bringe das Modell stabile, von Zinsen und Spekulationsgeschäften unabhängige Einnahmen, für die Mieter eine verlässlich kalkulierbare Belastung. „Vor allem aber wirkt es der Gefahr entgegen, dass viele Menschen aus ihren angestammten Wohnquartieren verdrängt werden.“

Seltene Allianz zwischen Vermietern und Mietern

In der Ablehnung des 14-er-Modells bilden Vermieter und Mieter eine seltene Allianz. Während die Vermieter das Modell des Hamburger SPD-Politikers Tschentscher unterstützen, fordert der Deutsche Mieterbund ein Verbot, die Grundsteuer an die Mieter weiterzugeben und eine Orientierung der Steuer am Bodenwert – auch um das Horten unbebauter Grundstücke unattraktiv zu machen.

Nachteil des Hamburger Modells ist der Umstand, dass gerade in aufstrebenden Vierteln der neue Einheitswert nicht mehr den Marktwert widerspiegelt. „Das Tschentscher-Modell ist das ungerechtere, das Mehrheitsmodell der Bundesländer ist das aufwändigere Verfahren, sagt der Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, unserer Zeitung. Gemeinsam sei beiden Verfahren, dass sie den Bodenwert und den Gebäudewert getrennt ermittelten und dann addierten, so der Steuerexperte, der vor dem Verfassungsgericht die Sicht der Finanzverwaltung darlegte.

Tschentscher wiederum hält es für ungerecht, die Mieter für Wertzuwächse bezahlen zu lassen, die nur den Vermieter reich machen. Angesichts des Drängens durch die Verfassungsrichter und der Lage auf dem Immobilienmarkt sei „jetzt die richtige Zeit, sich dem Flächenmodell zuzuwenden“.