Mick Hucknall will Musik machen, aber auch Zeit für seine Familie haben. Foto: imago images/Eibner/Dirk_Jacobs

Typisch für Mick Hucknall: Der Frontmann von Simply Red will gar nicht ausschließlich über seine neue Platte sprechen. Wichtiger sind ihm Erkenntnisse zur Lebensgestaltung, die er gewonnen hat. Allmählich, sagt er, sei sein Gehirn gewachsen.

Stuttgart - Fans vonSimply Redbrauchen Geduld. Vier Jahre hat es gedauert, bis „Blue Eyed Soul“ erschienen ist, das neue Album der britischen Band. Ihr Sänger und Songschreiber Mick Hucknall, das letzte verbliebene Gründungsmitglied, erklärt, warum das so ist. Außerdem spricht der 1960 in Manchester Geborene über seine Familie, den Brexit und Inspirationen.

Mister Hucknall, ist bei Ihnen eigentlich alles noch echt?

Du meinst auf dem Kopf?

Ja. Ihre Haare sind wirklich ungemein rot. Aber Sie schummeln da schon ein bisschen, oder?

Ich unterstütze den natürlichen Farbton ein wenig. Noch näher ins Detail werde ich jetzt nicht gehen. Töte das Bild nicht (lacht). Es ist Showbusiness, Baby. Ich heiße Simply Red, nicht Simply Gray.

Ihre Tochter Romy ist zwölf. Hat das Mädchen die Haare seines Vaters geerbt?

Meine Tochter ist die perfekte Mischung zwischen meiner Frau und mir. Sie hat das gute Aussehen von Gabriella, und ja, sie hat meine roten Haare. Ich bin froh, dass es nicht umgekehrt ist.

Sind die beiden Ihre bevorzugten Musen?

Oh ja, beim Songschreiben verschmelzen sie für mich regelrecht zu einer Einheit. „Thinking of you“ beispielsweise ist sehr unmittelbar von den beiden inspiriert. Der Song war der Startschuss für das gesamte neue Album „Blue Eyed Soul“.

Wie entstand die Idee zu dieser funky Uptempo-Nummer?

Einfach so. Ich bin kein großer Planer. Ich saß zuhause und genoss das ruhige Leben mit Tochter, Frau und unserem Hund. Ganz plötzlich schoss mir diese Melodie in den Kopf. Ich habe sie schnell ins Handy gesungen, ein paar Textzeilen dazu gedichtet, und nach zwanzig Minuten war der Song fertig. Ich komponierte dann noch ein paar weitere und spürte, wie sehr ich mich zu Bläsern, Gitarre und Bass hingezogen fühlte. Im Studio hatte ich das klare Bild dieser Platte vor Augen und konnte den Musikern sagen, wie ich es haben wollte. Aber wir hatten über Romy gesprochen, oder?

Welche Musik hört Ihre Tochter denn?

Im Moment ist sie völlig besessen von Pink. Abend für Abend geht sie in ihr Zimmer und dreht so richtig auf. Aber von mir aus gerne, Pink ist cool und ein gutes Vorbild für Mädchen. Außerdem zeichnet meine Tochter sehr gut und macht ihre eigenen Puppen.

Sie macht ihre eigenen Puppen?

Genauso ist es. Sie nimmt alte Puppen, baut sie auseinander, dann ersetzt sie die Haare oder einzelne Körperteile und schraubt sie wieder zusammen

Hört sich ein ganz klein wenig unheimlich an.

Nein, nein, keine Sorge. Das Hobby hat sie von ihrer Großmutter. Auch meine Frau ist sehr begabt, wenn es ums Designen geht. Ich kann dagegen ganz gut malen. Und ich bin der offizielle Chefkoch daheim. Meine Spezialität ist Indisch. Ich wuchs als Teenager in einem indischen Viertel in Manchester auf. Indisches Essen war das erste, was ich lernte.

Zurück zum Album. „Complete Love“ ist ein sehr hübscher Lovesong. Wem gilt er?

Einmal darfst du raten. Frau und Tochter. Der Text ist inspiriert von Nat King Coles Song „Nature Boy“, er singt darin „the greatest thing you’ll ever learn, is just to love and to be loved in return.“ Seit ich ein Kind habe und verheiratet bin, kann ich sagen, dass ich, wenn ich sterbe, geliebt wurde und geliebt habe. Das ist doch mit Abstand die wichtigste Sache im ganzen Leben.

Als Sie mit Ihrer Frau zusammenkamen, kannten Sie einander bereits, oder?

Ja, wir hatten schon mal was zusammen gehabt. Aber ich war jung und ein Idiot. Ich war damals noch nicht bereit und habe noch ein paar Jahre wild und zügellos gelebt, bis mein Gehirn langsam so gewachsen war, dass ich Verantwortung übernehmen und vernünftig werden wollte. Manche schaffen diese Wende ja nie, aber ich war schließlich bereit, ein erwachsenes Leben zu führen.

Ist es sehr hart, auf Tournee so lange von zuhause weg zu sein?

Diese endlosen Touren mache ich nicht mehr. Wir ziehen jetzt zum Beispiel erst im Herbst 2020 los, das ist noch ein ganzes Jahr. Ich hatte zwischen 2008 und 2015 ganz mit Simply Red aufgehört, um mein Kind großziehen zu können. Ich war es leid, mich dem Druck meines Jobs beugen zu müssen, alle zwei Jahre eine Platte zu machen und anderthalb Jahre lang zu touren. Heute arbeite ich nur noch so viel, wie ich wirklich will.

Sie haben ein paar Alben unter eigenem Namen veröffentlicht. Warum haben Sie Simply Red 2015 mit dem Album „Big Love“ und einer Tournee wiederbelebt?

Wegen des 30-jährigen Jubiläums unserer ersten Platte „Picture Book“. Ich finde, ich habe das genau richtig ausbalanciert. Zuhause bin ich kein bisschen berühmt, sondern nur Dad. Und hier draußen bin ich ein erfolgreicher Musiker. Ich kann mich über nichts beklagen.

Der einzige vage politische Song Ihrer neuen Platte ist „Ring that Bell“. Wie laut schrillen die Alarmglocken gerade?

Wir leben in einer komischen Welt, oder? Ich bin Brite, habe eine schottische Oma und einen irischen Opa, die englische Regierung in Westminster repräsentiert nicht meine Gefühle. Ich bin peinlich berührt von meinem Land. Ich schäme mich für das Theater, das wir rund um den Brexit aufführen. Das ist alles Mist.

Wie soll das enden?

Wer weiß, vielleicht fällt der Brexit ja am Ende noch aus. Es ist doch keine Lösung, neue Barrieren zu errichten. Wir sollten nicht solche rückständigen Idioten sein.

Info

Das Album „Blue Eyed Soul“ ist bei BMG/Warner erschienen, auch in Luxusvarianten und auf Vinyl.

Zum Abschluss des Deutschlandschlenkers ihrer Tournee spielen Simply Red am 18. November 2020 in der Stuttgarter Schleyerhalle.