Die Frederick-Simms-Hütte, Vorzeigeobjekt in Sachen Umweltschutz, befindet sich auf einer Höhe von 2004 Metern in Stockach im Lechtal in Österreich Foto: Markus Karlinger/Alpenverein

Die Verstädterung ist in vollem Gange, immer weniger Menschen leben auf dem Land. Trotzdem wachse die Sehnsucht nach der Natur, beobachtet Michelle Müssig von der Sektion Stuttgart des Alpenvereins.

Stuttgart - Frau Müssig, Sie sind im Vorstand der Sektion Stuttgart des Alpenvereins. Wie ein Landei wirken Sie aber nicht!
Das bin ich auch nicht. Nur sehr naturverbunden. Und da bin ich nicht die Einzige, die so tickt.
Wie viele Mitglieder haben Sie denn hier in Stuttgart?
Über 23 000. Und die Zahl wächst jährlich um ein paar Prozentpunkte. Auch viele junge Naturfreunde sind dabei.
Das ist wirklich eine Menge! Auch bei uns in der Medienbranche sorgte der Erfolg des Magazins „Landlust“ in den letzten Jahren für eine Sensation. Worauf führen Sie die Rückbesinnung auf die Natur zurück?
Wir leben in einer hektischen Welt. Und insbesondre im Großraum Stuttgart arbeiten viele in Konzernen. Frei nach Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker: „Wer immer über ein Werkstück gebeugt ist, kann seinen Horizont nicht erweitern.“ Es geht vor allem um Einfachheit und Entschleunigung, nach der sich die Menschen sehnen. Darum haben das Wandern und das Bergsteigen wieder einen neuen Stellenwert bekommen.
Aber es wird ja nicht nur gewandert im Alpenverein.
Das stimmt natürlich, die Aktivitäten des Alpenvereins sind sehr vielseitig. Wir von der Sektion Stuttgart betreuen fünf Hütten und die Wanderwege dorthin, geben Kletterkurse, Hochtouren-, Bergtouren-, Skitourenkurse und veranstalten Bergbesteigungen. Neuerdings betreiben wir auch eine Boulderhalle, was besonders bei den jungen Vereinsmitgliedern gut ankommt.
Gemütlich wandern in den Bergen und sportlich bouldern, also eine Hallensteilwand möglichst schnell hochklettern – wie passt das zusammen?
Traditionelle Bergsteiger gehen weniger in die Boulderhalle, aber der Verein verbindet und unterstützt viele Interessen und Aktivitäten.
Zum Beispiel?
Zuletzt haben wir den Wanderweg am Falmedonjoch bei Innsbruck erneuert, der zu unserer Edelweißhütte führt. Die Erosion hatte diesen wichtigen Steig in steilem Gelände im Laufe der Jahre immer gefährlicher und schließlich unpassierbar gemacht. Das war viel Arbeit, die unsere Ehrenamtlichen da geleistet haben.
Findet das Ehrenamt denn Würdigung?
Den normalen Bergsteiger interessiert das natürlich nicht, wer den Weg wann saniert hat. Aber wir machen es trotzdem gerne. Außerdem haften wir ja für unsere Wege – da könnten wir es uns nie verzeihen oder leisten, wenn jemand aufgrund der Mängel der Wege zu Schaden kommt.
Wenn wir jetzt auf die Frederick-Simms-Hütte wollten, was würden wir erleben?
Das ist ja das Spannende: Das weiß man nicht. Darin liegt auch der Reiz – sich im Gegensatz zum durchorganisierten Berufsalltag mal einfach nicht vorbereiten zu können und dass die Natur, das Wetter, die Jahreszeiten die Termine setzen. Was ich Ihnen versprechen kann, sind Berge, Geologie, einmalige Flora und Fauna – wie Blümchen. Und zum Gipfelglück, verspreche ich Ihnen, schmecken drei Tage alte Brötchen wie ein Gourmet-Essen.
Klingt, als müsste man für so einen Aufstieg sehr flexibel sein.
Oh ja! Und dafür ist auch nicht jeder gemacht. Wer keinen Sinn fürs Abenteuer hat, dem kann ich vom Bergsport nur abraten. Andererseits will ich auch betonen, dass wir keine Grenzerfahrungen anbieten – manche verirren sich mit solchen Vorstellungen zu uns. Sicherheit und Risikominimierung haben bei uns oberste Priorität
In den Vereinsrichtlinien steht auch, dass Sie sich für Naturschutz einsetzen. Wie sieht das konkret aus?
Ja, wir setzen uns dafür ein, dass in den Gebieten, in denen wir zuständig sind, keine neuen Wege oder Gebäude errichtet werden, oder sind auch mal gegen den Ausbau von Skigebieten im Naturschutzgebiet. Beim Thema Windkraft ist es manchmal schwierig, Position zu beziehen – da sie einerseits die Umwelt schont, andererseits die Landschaf verschandelt.
Wie erfolgreich sind Sie beim Naturschutz?
Mal verhindern wir etwas, mal gelingt es uns nicht. Wir bilden in solchen Fällen ja Interessengemeinschaften mit Gruppen vor Ort, von denen natürlich auch viel abhängt. Eine Seilbahn konnten wir kürzlich verhindern, die Erweiterung des Skigebiets Ischgl nicht.
Woher nehmen Sie Ihre Überzeugung, dass Naturschutz wichtig ist?
Von klein auf wurde mir das von meiner Familie mitgegeben. Damals mochte ich, wie es ja bei vielen Kindern der Fall ist, das Wandern allerdings nicht so. Die Leidenschaft für Natur und Outdoor habe ich erst nach meinen ersten Pauschalreisen entdeckt, die ich kaum ausgehalten habe.
Sie haben richtig Lust gemacht auf die Natur. Eine Frage noch: Gibt es auf Ihren Hütten Handyempfang?
Nur wenn Sie sehr viel Glück haben! Manche genießen das, andere springen nervös ums Haus und suchen nach einem Fetzen Empfang.