Versunken in sein Tastenspiel: der Jazzpianist Michael Wollny Foto: Opus/Frank Eppler

Bei seinem erste Auftritt bei dem Festival überhaupt begeistert der Jazzpianist Michael Wollny mit seinem Trio.

Stuttgart - Endlich bei den Jazz Open!“ So begrüßt der Jazzpianist Michael Wollny das Publikum. Jeder, der dieses fulminante Jazzkonzert, dieses tolle Festival-Highlight erlebt hat, wird ihm absolut recht geben. Vor dem Auftritt möchte der 40jährige Franke am liebsten allein sein und ein Gläschen Rotwein trinken. Die notwendige innere Spannung baut sich schlagartig auf, wenn er den Saal mit dem erwartungsfrohen Publikum betritt. Dann greift er am weit geöffneten Flügel in die Saiten, um vom flirrenden Geräusch zum Klang zu finden, ohne sich vorher auf eine Tonart festgelegt zu haben. Seine Hände fegen in rasendem Tempo über die Tasten hinweg. Die Improvisation, die Suche nach dem Neuen, dem Ungehörten, beginnt.

Sie fußt auf dem Vertrauen in den glücklichen Moment, und sie fußt auf der Gewissheit, dass aus einem überreichen Fundus musikalischer Erfahrungen geschöpft werden kann. Dabei überlässt sich Wollny seiner blühenden Phantasie. Die Improvisationen entfalten sich ohne Plan, ohne Absicht. Sie führen hinaus ins Freie, in die Terra incognita der Musik. Das Neue findet sich in Eigenkompositionen, kann aber auch in der Vergangenheit liegen, bei Scott Walker, dem Frontman der Walker Brothers und seiner „Big Louise“ oder einem Interludium des einstigen Bürgerschrecks Paul Hindemith.

Frei von der Leber weg

Schubladendenken ist Wollny ein Graus. Manchmal verlangsamt sich das Spiel und scheint wie in Zeitlupe um sich selbst zu kreisen. Wollny genießt solche schönen musikalischen Momente. Dann legt der sehr aufrecht spielende Schlagzeuger Eric Schaefer die weichen Mallets wieder beiseite, tauscht sie gegen hölzerne Drum-Sticks ein, und der Schweizer Christian Weber lässt seinen Kontrabass marschieren. Die Sache nimmt Tempo auf und an Härte zu. „Phlegma Fighter“ heißt die Nummer von Schaefer. Wollny sprüht vor Einfällen, tanzt mit den Füßen zappelnd die Rhythmen mit und ist am Ende nach dieser musikalischen und sportiven Höchstleistung glücklich, erschöpft und durchgeschwitzt. Alle anderen feiern im voll besetzten Saal diesen phantastischen Pianisten, der – nach dem Tod von Esbjörn Svensson vor zehn Jahren - in Europa seinesgleichen sucht und heute in einem Atemzug mit Jazzstars wie Vijay Iyer oder Brad Mehldau genannt werden muss.