Michael van Gerwen ist der derzeit beste Dartspieler der Welt Foto: Getty

Ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, keine Haare auf dem Kopf. Dem gängigen Schönheitsideal entspricht Michael van Gerwen nicht. Doch wenn der Niederländer mit Pfeilen wirft, stehen die Darts-Fans kopf. So jung wie er war noch nie ein Weltmeister.

London - Ein bisschen fies ist es schon, was Michael van Gerwen einen Tag nach seinem größten Erfolg über sich lesen musste. Da wird er der jüngste Weltmeister der Darts-Geschichte und die englischen Zeitungen schreiben, er habe die WM wie Shrek dominiert. Shrek – die Figur aus dem Kino – ist ein Oger, ein Unhold. Grün, groß und ein bisschen zu massig. Es gibt wirklich nettere Vergleiche für einen Weltmeister.

Es waren die Gefühle, die van Gerwen, der in der Darts-Welt eigentlich nur „Mighty Mike“ (der mächtige Mike) genannt wird, übermannt hatten. Nachdem er seinen letzten Pfeil auf der Scheibe platziert hatte, brachte er mit seinem massigen Körper die Bühne zum Beben. Er schrie, seine Gesichtszüge bekamen beinahe etwas Animalisches, und er vermittelte den Eindruck, als spiele er lieber mit einem Vorschlaghammer als mit feinen Dartpfeilen. Sein giftgrünes T-Shirt machte das Bild perfekt.

Doch es ist nicht nur van Gerwens Ekstase-Jubel gewesen, der die englischen Medien zu dem uncharmanten Vergleich verleitete. Dieser darf auch als Verneigung vor der Leistung des erst 24-Jährigen verstanden werden, der bei WM förmlich durch die Runden flog – unaufhaltsam. Er feuerte seine Pfeile wie immer im Stakkato-Stil in die 2,37 m entfernte Scheibe. Und fast alle saßen. Im Halbfinale schoss er den zweifachen Weltmeister Adrian Lewis mit 6:0 aus dem Wettbewerb, das Finale gegen den Schotten Peter Wright gewann er mit 7:4-Sätzen. „Das ist der größte Tag meines Leben, ein Traum, der wahr wird“, sagte van Gerwen.

„Mein Ziel sind fünf WM-Titel.“

Es ist ein Traum, aus dem er vermutlich so schnell nicht aufwachen wird. Denn wenn er sich und seinem Stil treu bleibt, ist nicht davon auszugehen, dass er als One-Hit-Wonder in die Geschichte eingeht. Schon lange gilt der Niederländer in der Szene als Versprechen für die Zukunft. „Es ist eine Sache, wenn alle sagen, dass man irgendwann Weltmeister wird, aber eine andere Sache, es dann auch zu werden“, sagte van Gerwen. „Seit meinem zwölften Lebensjahr habe ich vom Gewinn der WM geträumt. Nun ist es soweit. Ich bin überwältigt.“

Mit 17 Jahren hatte er mit einem perfekten Neun-Darter (von 501 Punkten auf Null mit neun Würfen) die Bühne gestürmt und seinen ersten Major-Titel geholt. Im Oktober 2012 gewann er den World Grand Prix. 2013 triumphierte er unter anderem in der prestigeträchtigen Premier League – und beinahe hätte er sich schon vor einem Jahr seinen ersten WM-Titel geholt. Doch damals verlor er im Finale gegen Rekord-Weltmeister Phil Taylor (53). Der war diesmal bereits in der zweiten Runde ausgeschieden und musste tatenlos mitansehen, wie van Gerwen nicht nur den WM-Titel ergatterte, sondern ihm zudem die Weltranglisten-Führung entriss.

Taylor holte in seiner Karriere bisher 14-mal den Weltmeister-Pokal. So oft triumphieren – das kann sich van Gerwen (noch) nicht vorstellen, obwohl er erst 24 Jahre alt ist. „Der Dartsport hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Es gibt viel mehr Spieler, die ein Turnier gewinnen können“, sagte er bescheiden. Und dennoch schob er selbstbewusst hinterher: „Mein Ziel sind fünf WM-Titel.“

Neben seinem neuen Spitznamen Shrek hat van Gerwen bei der WM umgerechnet übrigens 300 000 Euro für den Titel bekommen. Eine Summe, die Lust auf mehr macht. Spätestens in einem Jahr hat er die Chance, sein Konto noch mehr zu füllen – und natürlich auch, den wenig schmeichelhaften Shrek-Vergleich aus der Welt zu räumen.

Dass er gar nicht so grobschlächtig ist, wie er manchmal wirkt, hat er aber eigentlich auch schon bei dieser Weltmeisterschaft gezeigt. Zum Beispiel vor der Scheibe, auf die er die Pfeile mit viel Gefühl wirft, aber auch nach seinem Triumph. Wenige Augenblicke nach seinem unbändigen Jubel eilte van Gerwen zu seiner Ehefrau und küsste sie so hingebungsvoll, wie er zuvor die Pfeile in die millimeterkleinen Felder geworfen hatte. Von wegen grünes Ungeheuer.