Michael Jackson gibt es in der Show „Thriller Live“ gleich mehrfach. Sängerinnen und Sänger teilen sich dessen breites musikalisches Spektrum – hinzu kommen Tänzer und ein Imitator. Foto: Irina Chira

Die Michael-Jackson-Hommage „Thriller Live“ läuft seit sechs Jahren höchst erfolgreich im Londoner Musical-Viertel West End. An diesem Mittwoch kommt die Show in die Stuttgarter Porsche-Arena.

London/Stuttgart - Nach gut zwanzig Minuten stehen die Gäste auf. Nicht, weil die Hoffnung bereits gestorben ist und man den angebrochenen Abend noch außerhalb des Theaters retten will. Die Meute erhebt sich vor Begeisterung. „Wir sind hier, um Michael Jackson zu zelebrieren“, brüllt einer der Singenden von der Bühne. Wusste das Publikum zwar schon, jubelt aber dennoch. Und tanzt. „Blame it on the Boogie“, schieb’s auf den Boogie!

Der Londoner Stadtteil West End ist neben dem New Yorker Broadway die wichtigste Adresse für Musical-Macher. Was sich hier hält, beweist Qualität. „Thriller Live“, die hochwertige Hommage an Michael Jackson, läuft seit sechs Jahren im 1888 eröffneten Lyric Theatre. An diesem Mittwoch kommt das Spektakel in die Porsche-Arena.

Die Stuttgarter Location wirkt mächtig gegen das Lyric Theatre: 967 nicht allzu breite Sitzplätze bietet es auf vier Ebenen. Ein kompakter, zügig aufgeheizter Raum, der eine besondere Atmosphäre schafft. Doch das Bühnenwerk lässt sich in alle Sphären übersetzen. Verspricht zumindest Regisseur Gary Lloyd. Er könnte recht haben. „Thriller Live“ ist bar eines Handlungsrahmens genau genommen kein Musical. Ein paar Sätze zu Michael Jacksons Biografie fallen. Man erzählt jedoch keine Geschichte, bedient sich keiner schweren Gerätschaften und benötigt keine besonders ausgefeilte Requisite. Diese Show ist ein Konzert, das exzellente Coverversionen aneinanderreiht. So was geht überall.

Die Live-Band versteckt sich hinter einer Schiebewand

Fünf Sänger respektive Sängerinnen teilen sich das enorme Spektrum der Jackson-Songs untereinander auf. Anders lässt sich dem vielseitigen Timbre des Popgiganten wohl kaum beikommen. Das führt beeindruckend vor Augen, wie facettenreich dieser Mann war: „Man In The Mirror“, „Smooth Criminal“ und „You Are Not Alone“ – kam alles aus einer Kehle.

Immer wieder huscht auch ein Imitator über die Bühne. Ein verdammt begabter allerdings. Keiner dieser ätzenden Typen, die auf Betriebsfeiern oder Halloweenpartys auftauchen. Die Live-Band versteckt man hinter einer Schiebewand, die sich selten öffnet. Ein Knirps gibt Jackson-5-Songs wie „ABC“ zum Besten. Die 9- bis 13-jährigen Knaben werden über ein paar Monate in der „Young Michael Jackson Academy“ ausgebildet. Dass diese wohl allerorts zu Publikumslieblingen avancieren, ist berechenbar wie der Trinker und das Freibier.

Die Choreografien etlicher Tänzer strotzen vor stilistischen MJ-Zitaten. Starke Breakdance-Einlagen vermengen sich mit coolen, geschmeidigen Bewegungen. Während „Beat It“ liefern sich die Könner tänzerische Schlachten. Bei jedem Moonwalk jaulen die Fans. Man kann nur hoffen, dass das Tour-Ensemble jenem im Lyric Theatre ebenbürtig ist. In puncto Performance räumen die Akteure die volle Punktzahl ab.

Songs wie „Billie Jean“ oder „Dirty Diana“ sind auf sich allein gestellt

Doch der narrative Mangel dieser Inszenierung schmerzt schon ab und an. Auch der King of Pop hat nicht ausschließlich supercalifragilisticexpialigetische Megaüberhits geschrieben – ist nun mal so. Da man die Songs in keinerlei Erzählung einbettet, sind sie auf sich allein gestellt: Bei Knallern wie „Billie Jean“, „Dirty Diana“, „Bad“, „Black Or White“ oder eben „Thriller“ stört das nicht weiter. Doch schwächere Nummern bräuchten die Aura des Verstorbenen oder eben ein erzählerisches Element. Letzteres hätte man haben können.

Konzipiert hat das alles Adrian Grant. Das spürt man. Grant ist ein Fan, ein Fanatiker, der das Fanzine „Off the Wall“ gründete und seit 1991 „The Annual Michael Jackson Celebration“ organisierte. Aus dieser Show, deren 10-Jahr-Jubiläum der Verehrte einst selbst beiwohnte, entwickelte sich „Thriller Live“. Klar, dass Jacksons kompliziertes Verhältnis mit der Öffentlichkeit da nicht thematisiert wird. Man feiert MJ als Faszinosum, als den King of Everything.

Ein Musical von Fans für Fans

Fragwürdiges wird ausgeblendet, obzwar zahlreiche Querelen natürlich ebenso zu Jacksons Ruhm, Kult und medialer Omnipräsenz beitrugen wie seine erstaunliche Genialität. Exemplarisch könnte man die Beziehung zu seinem Vater nennen, der das junge Talent physisch und verbal misshandelte, mit eben jenem gewaltigen Drill jedoch auch den Erfolg forcierte.

Ein Exzentriker wie Michael Jackson, der auf seiner elf Quadratkilometer großen „Neverland Ranch“ über Zoo und Freizeitpark verfügte, polarisierte notwendigerweise. Aber erzählen Sie das einem Anhänger wie Grant, der sein Idol als den liebenswürdigsten Menschen beschreibt, dem man begegnen kann. Diese Darbietung ist nichts für Dialektiker.

Rein handwerklich fände der Perfektionist Jackson wohl Gefallen an dieser Aufführung. Nichts wirkt trashig, billig oder unausgereift. Schulterpolster, Glitzerhandschuh und goldene Uniformen tragen die Darsteller selbstbewusst vor den grellen LED-Leuchten umher. Natürlich kommt das Ganze nicht annähernd an die Auftritte des ins Jenseits übergesiedelten Meisters ran. Doch „Thriller Live“ ist das Beste, was den Irdischen von ihm bleiben konnte.