Diplomsoziologe Robert Follmer vom Infas-Institut spricht auf dem Mobilitätskongress Foto: Lg/Piechowski

In einem Mobilitätskongress versucht die Metropolregion Stuttgart, Antwort auf drängende Verkehrsfragen zu finden. Doch ist das Verkehrsgeschehen überhaupt vergleichbar? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Eine Studie gibt Antworten – darunter sehr überraschende.

Stuttgart - Einen Tag lang haben sich Vertreter aus der Metropolregion Stuttgart in dieser Woche über Mobilität unterhalten. Dabei rückt ein Ballungsraum in den Blick, der weit über die Grenzen Stuttgarts und der benachbarten Kreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr hinausgeht. Die Metropolregion reicht von Heilbronn im Norden bis Reutlingen im Süden, von Pforzheim im Westen bis Heidenheim im Osten. Doch lässt sich das Verkehrsgeschehen in diesem Großraum überhaupt vergleichen? Ist es in großen Städten nicht anders als auf dem flachen Land? Sind gemeinsame Lösungen möglich? Eine Studie gibt Antworten.

Wie oft sind wir unterwegs?

Pro Tag sind 87 Prozent der Bevölkerung auf Achse. Sie legen durchschnittlich drei Wege zurück, die zusammen fast 40 Kilometer lang sind. Dafür benötigen sie 80 Minuten. Diese Werte unterscheiden sich regional kaum, sie sind stärker vom Lebensalter und der Berufstätigkeit abhängig.

Womit sind wir unterwegs?

Der Anteil des Autos bei der Wahl des Verkehrsmittels ist umso größer, je weiter man sich von den Zentren der Kreise entfernt. In der Metropolregion werden 62 Prozent (46 Prozent Fahrer und 16 Prozent Mitfahrer) der Wege mit dem Auto zurückgelegt, in der kleineren Region Stuttgart lediglich 58 Prozent (43/15), in Stuttgart nur noch 40 Prozent (31/9). In anderen Großstädten der Metropolregion ist der Wert deutlich höher: in Pforzheim bei 61 Prozent (46/15), in Heilbronn bei 57 Prozent (46/11) und in Reutlingen bei 58 Prozent (41/17). Busse und Bahnen werden in der Metropolregion für zehn Prozent der Wege genutzt, in Stuttgart steigt der Wert auf fast 23 Prozent. Zu Fuß wird jeder fünfte Weg zurückgelegt, mit dem Rad sieben Prozent. Nur rund zehn Prozent der Wege haben mehrere Etappen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln.

Wie ist der Anteil des Autoverkehrs?

Noch deutlicher wird die Dominanz des Autoverkehrs, wenn man nicht die Wege, sondern die gefahrenen Kilometer als Maßstab nimmt. Dann hat der Autoverkehr in der Metropolregion einen Anteil von 75 Prozent und selbst in Stuttgart von 57 Prozent. Der Anteil von Bussen und Bahnen liegt bei rund 20 Prozent, in Stuttgart bei 37 Prozent. Die Anteile von Fuß- und Radverkehr sinken auf je drei Prozent.

Wie ist die Lage in Stuttgart?

Eine interessante Auswertung hat das Infas-Institut für die Landeshauptstadt gemacht. Hier wurde der Anteil der Verkehrsmittel einmal für die Wohnbevölkerung ermittelt und dann für die sogenannte Tagesbevölkerung, zu der auch die Einpendler gehören. Mit ihnen steigt der Anteil des Autoverkehrs von 40 auf 46 Prozent und der der Busse und Bahnen von 23 auf 28 Prozent, während die Bedeutung des Verkehrs zu Fuß von 29 auf 21 Prozent und auf dem Rad von acht auf fünf Prozent sinkt.

Warum sind wir unterwegs?

Überraschung: Sowohl bei der Zahl der Wege als auch bei den zurückgelegten Kilometern dominiert der Berufs- und Ausbildungsverkehr nicht. Sein Anteil beträgt in der Metropolregion 31 Prozent (Wege) und 39 Prozent (Kilometer). Jede zweite Fahrt wird aber für Freizeitbeschäftigungen und zum Einkauf unternommen, bei den zurückgelegten Kilometern klettern die Werte sogar deutlich über 50 Prozent.

Und was ist mit dem Autobesitz?

In der Metropolregion haben 16 Prozent der Haushalte kein Auto, in Stuttgart sind es 36 Prozent. Mehr als die Hälfte der Haushalte besitzen genau ein Auto: in der Metropolregion 54, in Stuttgart 52 Prozent. Zwei und mehr Autos haben in Stuttgart aber nur zwölf Prozent der Haushalte, in der Metropolregion sind es aber mehr als 30 Prozent. Insgesamt gibt es in der Metropolregion 3,6 Millionen Autos.

Ist Carsharing die Lösung?

Vier Prozent der Haushalte in der Metropolregion sind Mitglied bei einem Carsharing-Anbieter, in der Region Stuttgart sind es sieben, in der Stadt Stuttgart sogar 21 Prozent. Allerdings nutzen trotz Mitgliedschaft zwei Drittel das Angebot selten oder nie, nur sechs Prozent an mehreren Tagen in der Woche, 29 Prozent lediglich an einem bis drei Tagen im Monat.

Ist die Situation zufriedenstellend?

Hier gibt es ein differenziertes Bild. Überwiegend beurteilen ÖPNV-Nutzer, Auto- und Radfahrer die Verkehrsinfrastruktur als gut. Allerdings: Die Noten für die Fahrt mit Bussen und Bahnen sind außerhalb Stuttgarts schlechter als in der Landeshauptstadt, während in Stuttgart mehr Rad- und Autofahrer die Infrastruktur mangelhaft beurteilen.

Was meint der Experte?

„Das Auto dominiert – selbst in den Städten“, sagt der Diplomsoziologe Robert Follmer vom Infas-Institut, der die Studie vorstellte. „Große Veränderungshebel“ sind aus seiner Sicht „ein wesentlich besserer ÖPNV und ein effizienterer Autoverkehr“. Neue Trends wie Radfahren, E-Mobilität, Carsharing und die Kombination verschiedener Verkehrsmittel könnten bei der Verkehrswende helfen, vor allem beim Radverkehr sieht der Experte Nachholbedarf. „Sie sind aber keine entscheidenden Problemlöser“, meint Follmer zu den Trends, „sie wirken jedoch bewusstseins- und damit langfristig vielleicht auch verhaltensändernd.“