Stickoxide sind ein wesentlicher Grund für drohende Fahrverbote. Foto: dpa

Die Deutsche Umwelthilfe hat bereits veröffentlichte Daten um eigene Messungen ergänzt und sieben weitere Orte im Land mit zu hoher Stickoxid-Belastung gefunden – die meisten davon in Stuttgart.

Stuttgart - In Stuttgart werden die von der EU vorgeschriebenen Stickoxid-Grenzwerte möglicherweise an mehr Stellen als bisher bekannt nicht eingehalten. Auch in kleineren Städten liegen die Werte über dem erlaubten Maß. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe. Der Verein ergänzt dabei Werte der staatlichen Landesanstalt für Umwelt (LUBW) um Messungen, die Frewillige für die Umwelthilfe durchgeführt haben – sowie um Messwerte, die der SWR gemeinsam mit Bürgern erhoben hat.

Insgesamt zählt die Umwelthilfe in Baden-Württemberg 48 Messstellen, wo mehr als die von der EU erlaubten 40 Mikrogramm Stickoxid in der Luft sind. Neben die 24 bekannten Geräte der LUBW, an denen 2017 die Grenzwerte überschritten wurden, treten allein in Stuttgart fünf weitere Orte mit zu hohen Konzentrationen: die Neckarstraße (Mitte), der Schwabtunnel (West), die Talstraße (Ost) sowie die Husumer und die Unterländer Straße in Zuffenhausen. Auch an der Schorndorfer Straße in Esslingen ergeben die Messungen der Umwelthilfe zu hohe Werte.

Was sind Stickoxide eigentlich? Wo liegt der Unterschied zu Feinstaub? Die zehn wichtigsten Fakten sehen Sie im Video:

Auch der SWR hat schon gemessen

„2017 bin ich drei Monate jeden Morgen und Abend durch den #Schwabtunnel geradelt. Fast immer schmerzte die Luft in der Nase“, schreibt der Stuttgarter Thijs Lucas auf Twitter zu seiner Motivation, an der Aktion teilzunehmen. Und weiter: „Jedes Mal fragte ich mich, ob hier auch gemessen würde, ob die Stadtverwaltung weiß, wie die Luft hier ist“. Jetzt weiß Stuttgart: zumindest im Februar waren dort im Schnitt 54 Mikrogramm Stickoxid in einem Kubikmeter Luft.

2017 hatte der SWR bereits mit einer ähnlichen Aktion ermittelt, dass etwa am Alten Postplatz in Waiblingen, an der Hauptstraße in Gerlingen sowie an der Vaihinger Straße in Stuttgart-Möhringen zu viel Stickoxid in der Luft ist.

Die Karte zeigt die Stellen, an denen laut Messungen der LUBW, der Umwelthilfe und des SWR zu viel Stickoxid gemessen wurde:

Die Umwelthilfe spricht von einer „erschreckend hohen NO2-Belastung der Atemluft“. Der Verein hat vor Gericht Fahrverbote in Städten mit zu hoher Stickoxid-Belastung erstritten und kann kaum als unabhängige Stimme gelten. Allerdings hat die Umwelthilfe für ihre Erhebung eine anerkannte Messmethode angewendet, sogenannte Passivsammler. Das sind wenige Zentimeter lange Plastikröhrchen, die mehrere Wochen an einer Stelle installiert werden und in denen sich Stickoxid ansammelt. Im Labor kann man anschließend die Belastung ermitteln.

Das Verfahren wird von der LUBW für sogenannte Spotmessungen angewendet, auch der SWR nutzte es für seine Messaktion. Die Schweizer Passam AG, die solche Passivsammler für 39 Euro das Stück auch an Privatleute verkauft, verweist darauf, dass diese den EU-Richtlinien entsprächen. Die so ermittelten Werte lägen nahe an den Jahresmittelwerten, betont der SWR. „Entscheidend ist nicht die Messdauer, sondern der genaue Standort, an dem gemessen wird. Je näher der Autoverkehr, desto schlechter die Luft“, heißt es beim SWR. Allerdings veröffentlicht die LUBW Jahresmittelwerte; der SWR hat im September 2017 und die Umwelthilfe im Februar 2018 jeweils nur einige Wochen lang gemessen. Außerdem habe man wegen der großen Zahl freiwilliger Helfer nicht vor Ort kontrollieren können, ob die Geräte korrekt aufgehängt worden seien, so ein Sprecher der Umwelthilfe. Man wolle vor allem „politisch Druck aufbauen, dass nicht nur an den Hotspots mit viel Verkehr gemessen wird“.

LUBW: haben keine zusätzlichen Kapazitäten

Es sei in der Vergangenheit schon öfter vorgekommen, dass Gemeinden bei der LUBW wegen Messungen angefragt hätten, sagt eine Sprecherin der Behörde. Theoretisch bietet die LUBW solche Leistungen auch an. Aktuell würden entsprechende Anfragen jedoch wegen Ressourcenmangels abgelehnt. Man verweise dann auf den Tüv oder die Dekra und biete zumindest eine Erstberatung an – ob sich eine Messung lohnt und wenn ja, wo. „Auf jeden Fall sollte man solche Passivsammler ein ganzes Jahr hängen lassen“, sagt die Sprecherin. Allerdings sei schon länger bekannt, dass die Stickoxid-Werte umso höher liegen, je näher man an einer vielbefahrenen Straße messe – nicht nur da, wo aktuell LUBW-Sensoren stehen, so eine Sprecherin. In einer 2016 aktualisierten Prioritätenliste hat die Behörde festgelegt, wo sie messen möchte.

Die Umwelthilfe will ihre Messaktion im Juni wiederholen. Derzeit sucht sie nach Freiwilligen und Spendern, um an 500 weiteren Stellen bundesweit Passivsammler aufzuhängen. Wie beim Feinstaub ist die Anzahl und Verteilung der Messstellen ein wesentlicher Aspekt der Diskussion über zu hohe Stickoxidwerte. Durch die öffentliche Diskussion nicht zuletzt über die Datenerhebung sei die Zahl der Anfragen gestiegen, berichtet die LUBW-Sprecherin. Selber messen liegt dabei im Trend. Das Feinstaubradar unserer Zeitung verwendet die Daten von 750 selbst gebastelten Messgeräten aus der Region Stuttgart. Stickoxid lassen nicht nur der SWR oder die Umwelthilfe messen: Unlängst befestigte die Pragschule an der Heilbronner Straße ein Feinstaubmessgerät an der Fassade des Schülerhauses. Und vor einem Jahr beauftragte die Stadtverwaltung Messungen in den Räumen der Römerschule in Stuttgart-Süd. Das Ergebnis damals: die Grenzwerte im Schulgebäude werden eingehalten.

Es gibt auch positive Trends zu vermelden

Die Uni Duisburg-Essen hat die amtlichen Messwerte für Stickoxid im ersten Quartal 2018 ausgewertet. In neun baden-württembergischen Städten war demnach zu viel NO2 in der Luft: Stuttgart, Reutlingen, Heilbronn, Tübingen, Ludwigsburg, Freiburg, Mannheim, Leonberg und Schramberg. Die amtlichen Werte lagen demnach zwischen 69,1 Mikrogramm (Am Neckartor) und 41,3 Mikrogramm (Oberndorfer Straße in Schramberg) je Kubikmeter Luft. Der gesetzlich zulässige Jahresmittel beträgt 40 Mikrogramm.

Im ersten Quartal 2018 lagen die Werte um knapp 18 Prozent unter denen im Vorjahreszeitraum. Setze sich dieser positive Trend fort, seien Diesel-Fahrverbote in Leonberg, Schramberg und Mannheim unwahrscheinlich – in den anderen Städten könnten sie jedoch nicht ausgeschlossen werden, schreibt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, der die Zahlen ausgewertet hat.

Dudenhöffer weist darauf hin, dass sein Team bei dieser Prognose von einem optimistischen Szenario ausgeht. Ungünstige Wetterlagen könnten dazu führen, dass die Werte übers gesamte Jahr 2018 nicht so stark zurückgehen wie bisher. Die Politik müsse die Voraussetzungen für weitere Verbesserungen schaffen. „Dazu zählen mit Sicherheit Hardware-Nachrüstungen für Desel-Pkw“, schreibt Dudenhöffer. jgp