Die Schwurgerichtskammer hat nach fast einem Dutzend Verhandlungstagen am Mittwoch ihr Urteil verkündet. Foto: dpa

Im August 2017 hat ein 21-Jähriger kurdischer Abstammung einen 23-Jährigen mit türkischem Hintergrund mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Jetzt wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Bietigheim-Bissingen - Es hätte nicht viel gefehlt, und Sie hätten ein vollendetes Tötungsdelikt begangen“, redete Roland Kleinschroth, Vorsitzender Richter am Heilbronner Landgericht, am Mittwoch einem 21-jährigen Mann ins Gewissen, nachdem er ihm das Strafmaß für seine Tat eröffnet hatte: Fünf Jahre und sechs Monate muss der Kfz-Mechaniker in Haft. Er hatte am 13. August 2017 einen 23-jährigen Kaufmann bei einer Schlägerei vor einer Shisha-Bar in Bietigheim-Bissingen mit acht Messerstichen in Brust und Rücken lebensgefährlich verletzt. Das Opfer, das als Nebenkläger auftrat, musste notoperiert werden. Der Mann trug nicht nur äußerliche, sondern auch seelische Narben davon.

Ein Freund des Täters wurde wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt. Zunächst waren beide wegen gemeinschaftlichen versuchten Totschlags angeklagt gewesen, doch nur der 21-Jährige hatte zugestochen, wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellte. Daher wurde der 23-jährige Kompagnon zuletzt aus der Untersuchungshaft entlassen, in der er mehr als sieben Monate verbracht hat.

In den Dunstkreisen von Bahoz und Osmanen Germania

Im Vordergrund der Tat standen nationale Befindlichkeiten: Der Täter und sein Freund haben kurdische, der Niedergestochene türkische Wurzeln. Zwar gaben beide Seiten an, nicht den rivalisierenden Banden der kurdischen Bahoz und der türkischen Osmanen Germania anzugehören, doch bewegen sie sich in deren Dunstkreisen. Einer der besten Freunde des Opfers, so der Richter, zähle definitiv zur Führungsebene der Osmanen, auch wenn er das im Zeugenstand bestritten habe. „Aber in diesem Prozess wurde sowieso gelogen, dass sich die Balken biegen“, sagte Kleinschroth. Es sei eine Zumutung gewesen, was das Gericht in dem Verfahren alles habe „erleben, erdulden und erleiden müssen“ mit Menschen, „die meinen, sie könnten sich in ihrer Überheblichkeit alles erlauben“.

Näher gekannt haben sich Täter und Opfer nicht. Allein zu wissen, wer welchen nationalen Hintergrund hatte, reichte, gepaart mit manchen Missverständnissen, um die Spirale von verbalen Provokationen so weit zu drehen, dass es in der besagten Augustnacht in Bietigheim-Bissingen zu der Eskalation kam. Im Spiel war bei der emotionsgeladenen Auseinandersetzung zwar auch eine junge Frau – das Opfer war mit ihr befreundet und glaubte, der Täter habe mit ihr anbandeln wollen –, doch der Nationalkonflikt war das über allem stehende Motiv. Und da sei die Schuld durchaus beiden Lagern zuzuschreiben, mahnte der Heilbronner Richter.

Der Richter beklagt Intoleranz, Machtgehabe und Unfähigkeit, Konflikte zu lösen

„Intoleranz, Hetze, von Statussymbolen geprägtes Machtgehabe und die Unfähigkeit, Meinungsverschiedenheiten vernünftig zu lösen“: Diese Ingredienzien sind nach Kleinschroth das giftige Gemisch, das Auseinandersetzungen beiderseits immer wieder aufflammen und explodieren lasse. Dabei werde selbst Gewalt in Kauf genommen, die tödlich ende. „Und wir müssen hier bei Gericht mit 50 Sicherheitskräften gewährleisten, dass es nicht knallt und stellen sogar vor dem Gerichtssaal noch Messer sicher, damit es nicht wieder zu Übergriffen kommt.“

Die Staatsanwaltschaft hatte für den Täter sechs Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Das Gericht hielt dem Mann, der eigentlich ein wacher, kluger Mensch sei, aber zugute, dass er einsah, dass ihm der Prozess zu Recht gemacht werde. „Gehen Sie künftig einen menschenwürdigeren Weg“, mahnte Richter Kleinschroth. „Tun Sie es für sich und für Ihre Familien.“