Der Fall wurde vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Foto: dpa

Eine 47-Jährige wollte zuerst ihren Sohn und dann sich selbst umbringen. Das Landgericht Stuttgart hat sie jetzt dafür zu einer Haftstrafe verurteilt.

Kornwestheim - Was treibt eine 47-jährige Mutter dazu, ihren elfjährigen Sohn mit einem Messer mutwillig am Hals zu verletzen? Obwohl sich die Angeklagte aus Kornwestheim nur wenig zu den Vorwürfen gegen sie äußerte, brachte das Verfahren wegen versuchten Mordes vor der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart Antworten auf diese Frage. Nach fast fünf Wochen hat die Hauptverhandlung zu dem Fall am Dienstag ihren Abschluss gefunden.

Wie Richter Jörg Geiger bei der Urteilsverkündigung zusammenfasste, hat sich „die objektive Darstellung“ der Tat laut der Anklageschrift weitgehend bestätigt. Demnach hat die 47-Jährige am frühen Morgen des 25. November 2018 ihren schlafenden Sohn an dessen Bett im gemeinsamen Wohnhaus aufgesucht und ihn mit einem Cuttermesser an der rechten Halsseite verletzt. Aufgeweckt durch diese Attacke wehrte sich der Elfjährige. Verletzt mit mehreren Schnitten am Hals und an einer Hand, konnte der Junge seiner Mutter entkommen und fand bei Nachbarn Hilfe. Die 47-Jährige wollte sich daraufhin mit dem Aufschneiden ihrer Pulsadern umbringen, überlebte den Suizidversuch aber.

Wollte die Frau ihr Kind wirklich töten?

Dass sich die Tat so abgespielt hat, daran herrscht für die Schwurgerichtskammer kein Zweifel. Doch wollte die Frau ihr Kind wirklich töten? Und wann gab sie diese Absicht auf? Diese beiden Fragen nahmen in der Urteilsfindung eine zentrale Rolle ein. Während des Verfahrens war die Staatsanwaltschaft von dem Vorwurf des versuchten Mordes abgerückt und zu dem Schluss gelangt, dass es sich um versuchten Totschlag handelt. Sie beantragte daher eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Das Gericht stufte die Tat nun sogar nur noch als gefährliche Körperverletzung ein und folgte damit der Argumentation der Verteidigung. Es verhängte eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.

„Wir sind überzeugt, dass es nicht von langer Hand geplant war. Wir gehen von einem spontanen Entschluss aus“, heißt es in der vom Richter vorgetragenen Urteilsbegründung. Hintergrund sei eine sich anbahnende schwere Depression der Mutter gewesen. Die 47-Jährige habe befürchtet, dass der Noch-Ehemann ihr das Sorgerecht für den Sohn entzieht. Zudem habe sie sich gedemütigt gefühlt, weil der Gatte mit der früheren Haushälterin angebandelt hatte, die daraufhin das Sagen im Haus hatte. Unter Druck setzten die 47-Jährige außerdem ihre zwiespältigen Gefühle zu einem anderen Mann, mit dem sie bis kurz vor der Tat eine Beziehung geführt hatte.

Trotz der psychischen Probleme habe die Angeklagte Einsicht in das Unrecht ihres Handelns gehabt – allerdings mit Einschränkungen. Ihr Hemmungsvermögen sei stark herabgesetzt gewesen, was sie nur eingeschränkt schuldfähig gemacht habe, führte Geiger aus. Sie habe zum Tatzeitpunkt wohl den Eindruck gehabt, das Töten ihres Sohnes und ihr Suizid seien der einzige Ausweg. „Alles deutet auf einen Mitnahmeselbstmord hin“, sagte der Richter zum Motiv.

In einem Brief zeigte die Mutter Reue

Strafmildernd wirkte sich aus, dass die Mutter zwar mit einer Tötungsabsicht gehandelt hat, nach der Abwehrreaktion ihres Sohnes jedoch davon abließ. Die 47-Jährige ist nicht vorbestraft und hat in einem Brief an ihren Sohn Reue gezeigt. Auch dass die Verletzungen an dem damals Elfjährigen nur oberflächlich waren, schlug sich positiv auf das Strafmaß nieder. Negativ anzurechnen ist der Mutter jedoch, dass der Sohn immer noch an erheblichen psychischen Nachwirkungen leidet. „Es gibt im Prinzip nur Verlierer“, resümierte Geiger. Die Angeklagte habe ihren Sohn, das Kind seine Mutter verloren. „Die Zeit hat aber schon oft Wunden geheilt“, formulierte der Richter seine Hoffnung, dass die Familie eines Tages doch wieder zueinanderfindet.