Besucher der Messe Agritechnica informieren sich über die neuestenLandmaschinen. Doch nicht jede technische Verbesserung bringt den Bauern auch Vorteile. Foto: dpa

Auch der Brandenburger Landwirt Thomas Kiesel nutzt auf seinem Betrieb digitale Technik. Im Interview warnt er aber zugleich vor der totalen Überwachung der Bauern durch Big Data auf dem Bauernhof.

Stuttgart - Die Agrarindustrie zeichnet unter dem Stichwort Landwirtschaft 4.0 das Bild des komplett vernetzten Bauernhofs. Thomas Kiesel, der in Brandenburg einen 400-Hektar-Betrieb bewirtschaftet, sieht diese Vision kritisch.

Herr Kiesel, die digitalisierte Landwirtschaft ist ein Schwerpunktthema der Messe Agritechnica. Es geht etwa um Maschinen, die nur dort düngen oder spritzen, wo es nötig ist, oder Schlepper, die autonom ackern, während der Bauer per Smartphone den Betrieb managt. Was halten Sie als praktischer Landwirt von solchen Innovationen?
Digitale Technik kann uns an vielen Stellen die Arbeit erleichtern. Aber unser Wissen und unsere Erfahrung kann sie nicht ansatzweise ersetzen. Wir sind ja ständig draußen, beobachten das Wetter und sehen, wie die Pflanzen wachsen. Auf dieser Grundlage treffen wir unsere Entscheidungen. Ich würde mir niemals von meinem Smartphone sagen lassen, wann ich säen, düngen oder spritzen soll. Das sind Dinge, die weiß ich als Landwirt selbst am besten.
Welche digitalen Hilfsmittel setzen Sie in Ihrem Betrieb ein?
Ich habe für Schlepper und Mähdrescher ein GPS-gesteuertes Lenksystem. Das hält die Maschinen auf dem Acker exakt in der Spur, vermeidet Überlappungen und spart dadurch Sprit und Zeit. Mein Mähdrescher erfasst zudem, wie viel er wo erntet. Es gibt auch Systeme, die digital erkennen, ob bei einer Sämaschine ein Schlauch verstopft ist. Ich prüfe das bislang selber, weil die entsprechende Software noch sehr teuer ist.
Mit einer bewirtschafteten Fläche von 400 Hektar gehören Sie doch exakt zur Zielgruppe für die digitale Landwirtschaft.
Ich sehe uns als bäuerlichen Familienbetrieb. Digitale Technik geht auch auf kleineren Betrieben. Aber eben als Arbeitserleichterung. Wenn ich ein Problem habe, tausche ich mich mit meinem Angestellten darüber aus, nicht mit dem Computer. Wir finden immer eine Lösung.
Viele Experten sagen, dass die Digitalisierung weitere Ertragssteigerungen bringen wird.
Das halte ich für Unfug. Wir sind ja auf einem sehr hohen Niveau. Und schon wegen der Düngeauflagen lässt sich das nicht unbegrenzt steigern. Daran kann auch die Digitalisierung nichts ändern. Manchmal habe ich den Eindruck, hinter dem Stichwort Landwirtschaft 4.0 verbirgt sich eine naive Technikgläubigkeit, die mit der Wirklichkeit draußen nicht viel zu tun hat.
Könnte der Anbau wenigstens umweltfreundlicher werden – wenn etwa Pflanzenschutzmittel nur noch da ausgebracht werden, wo es nötig ist, oder Unkräuter von Sensoren erkannt und mechanisch beseitigt werden?
Gerade unsere bäuerlichen Familienbetriebe, wo der Betriebsleiter mitarbeitet, düngen und spritzen bereits heute relativ exakt nach Bedarf – schon aus wirtschaftlichen Gründen.
Aber eben auf dem gesamten Acker und nicht nur auf dem Teil der Fläche, der beispielsweise von einer Pilzkrankheit befallen ist.
Ja. Das liegt daran, dass die Sensortechnik ihre Grenzen hat. Nehmen Sie zum Beispiel die Anwendung von Fungiziden gegen Getreiderost. Der hat eine sehr kurze Inkubationszeit. Man muss also reagieren, wenn die allerersten Pusteln auf den Blättern auftauchen. Ein Sensor, der der Spritze sagt, wo sie wie viel spritzen soll, würde den Befall zu spät erkennen. Als Landwirt erkenne ich die kritischen Stellen sofort – nämlich da, wo morgens der Tau länger liegen bleibt.
Wer profitiert am meisten von den neuen Technologien – die Landwirte oder die Industrie?
Wenn die Produkte halten, was sie versprechen, profitieren beide Seiten. Das Hauptproblem sehe ich nicht in der digitalen Technik, sondern in der von der Industrie propagierten Vernetzung der im Betrieb eingesetzten Systeme. Dann hätten nämlich die Hersteller von Landtechnik und anderen Betriebsmitteln direkten Zugriff auf unsere Produktionsdaten – und wir wären gläserne Landwirte. Vor der Vernetzung kann ich meine Berufskollegen nur warnen.
Investitionen in die neue Technik rechnen sich erst ab einer bestimmten Betriebsgröße. Wird das das Höfesterben beschleunigen?
Das hängt davon ab, welche Bedeutung digitale Technik in der Landwirtschaft erlangt. Ich glaube, wie gesagt, dass die Vorteile überschätzt werden. Auf jeden Fall müssen wir höllisch aufpassen, dass die Politik nicht aus angeblichen Umweltgründen digitale Technik zur Voraussetzung für bestimmte landwirtschaftliche Arbeiten macht. Das würde dann in der Tat allen Bauern schaden und kleinere Betriebe zur Aufgabe zwingen.