So wie Deniz Yücel sind in der Türkei zurzeit viele Journalisten inhaftiert. Foto: dpa

Die Wohnung gestürmt, den Sohn bei Fremden gelassen, als Agentin beschimpft. Die Festnahme einer deutschen Übersetzerin in der Türkei verlief nach Angaben des Vaters grob. Er durfte seine Tochter nun erstmals im Gefängnis besuchen.

Istanbuk/Ulm - Nach zehn Tagen Untersuchungshaft hat der Vater der in der Türkei inhaftierten deutschen Übersetzerin Mesale Tolu Corlu seine Tochter erstmals im Istanbuler Gefängnis besucht. Er habe eine knappe Dreiviertelstunde mit ihr sprechen können und ihr den zweieinhalbjährigen Sohn übergeben, der nun bei seiner Mutter im Frauengefängnis bleiben soll, sagte Ali Riza Tolu der Deutschen-Presse Agentur am Montag.

Anti-Terror-Einheiten waren am 30. April in die Istanbuler Wohnung von Tolu Corlu eingedrungen und hatten die 33-Jährige vor den Augen ihres Sohnes festgenommen. Nach Angaben seiner Tochter übte die Polizei „psychischen Druck“ aus. „Sie haben gesagt: Du bist eine deutsche Agentin.“ Die Polizei habe den Sohn einfach zu fremden Nachbarn gebracht, bevor er unter die Obhut von Verwandten gekommen sei. Der Sohn sei traumatisiert und könne die Situation nicht verstehen. „Das Kind denkt, die Mutter ist gegangen, weil sie ihm böse war“, sagte Tolu.

Am 5. Mai wurde Haftbefehl erlassen, seitdem sitzt Tolu Corlu im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy. Ihr wird laut Haftbefehl vorgeworfen, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt.

Die Anwältin der Inhaftierten, Kader Tonc, sagte der dpa, als Indizien habe die Staatsanwaltschaft Fotos vorgelegt, die Tolu Corlu auf einer Gedenkveranstaltung für eine 2015 in Syrien getötete deutsche Kämpferin der kurdischen Miliz YPG zeigen soll. Tolus Ehemann sei ebenfalls wegen des Vorwurfs der MLKP-Mitgliedschaft im Gefängnis Silivri nördlich von Istanbul inhaftiert.

Tonc warf den türkischen Behörden „gesetzeswidriges“ Verhalten vor. Der dpa sagte sie: „Man hat den deutschen Staat nicht benachrichtigt, obwohl das im Gesetz so vorgeschrieben ist.“ Die Bundesregierung hatte am Freitag Zugang zu Tolu Corlu gefordert, die deutsche Staatsbürgerin ist. Sie wurde nach Angaben ihres Bruders Hüseyin Tolu in Ulm geboren und wohnt in der Nachbarstadt Neu-Ulm.

Tolu Corlu arbeitete unter anderem für die linksgerichtete Nachrichtenagentur Etha. Ihrem Vater sagte sie: „Ich bin Übersetzerin und Journalistin, aber sie versuchen, mir eine Schuld anzulasten.“