Der neue AKP-Vorsitzende und künftige Premier Binali Yildirim sammelt seine Familie auf der Bühne des Parteitags. Foto: AFP

Mit der Ernennung des neuen Premierministers Yildirim zementiert Recep Tayyip Erdogan seine starke Stellung. Die Kanzlerin trifft auf einen türkischen Präsidenten, der immer aggressiver gegen Andersdenkende vorgeht – und zudem den Flüchtlingsdeal mit der EU unterläuft.

Ankara - Es war eine Formsache: Am Sonntag wählte in Ankara der Sonderparteitag der islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) den bisherigen Verkehrsminister Binali Yildirim zum neuen Vorsitzenden. Alles soll jetzt ganz schnell gehen: Noch am Sonntagabend wollte Präsident Recep Tayyip Erdogan den neuen AKP-Vorsitzenden als Premierminister nominieren und mit der Regierungsbildung beauftragen. Bis zum Dienstagabend soll das neue Kabinett stehen, am kommenden Sonntag könnte die Vertrauensabstimmung im Parlament stattfinden, so der Zeitplan.

Der in Ungnade gefallene bisherige Regierungschef Ahmet Davutoglu soll so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden. Kanzlerin Angela Merkel, die am Sonntagabend in Istanbul eintraf, hat mit Davutoglus Eliminierung ihren wichtigsten türkischen Gesprächspartner verloren. Mit Davutoglu hatte sie den Flüchtlingsdeal ausgehandelt. Der Politikprofessor war zwar nicht immer ein einfacher, aber stets ein zuverlässiger Gesprächspartner. Jetzt, wo es um die schwierige Umsetzung des komplizierten Abkommens geht, bekommt sie es mit dem Erdogan-Getreuen Yildirim zu tun. Aus Ankara dürfte nun ein schärferer Wind nach Europa wehen.

Nur minderqualifizierte nach Westeuropa geschickt?

Dabei besteht jetzt mehr Gesprächsbedarf als je zuvor seit der Unterzeichnung des Flüchtlingsdeals. Weil Erdogan sich weigert, die Anti-Terror-Gesetze den europäischen Standards anzupassen, steht die versprochene Aufhebung der Visumpflicht in Frage. Damit droht der Flüchtlingspakt in sich zusammenzubrechen. Für Irritation in der EU sorgt auch, dass die Türkei im Rahmen des Abkommens offenbar keine gut ausgebildeten Syrer ausreisen lässt. Nach einem Bericht des „Spiegel“ schickt Ankara vor allem kranke und unqualifizierte Flüchtlinge nach Europa. Ingenieure, Ärzte oder Facharbeiter erhielten keine Ausreisegenehmigung. Im Rahmen der Vereinbarung soll für jeden Syrer, der aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt wird, ein Syrer in die EU reisen.

Merkel kommt also mit einer umfangreichen Gesprächsagenda zu dem für diesen Montag geplanten Treffen mit Erdogan. Überschattet wird der Besuch vom Votum des türkischen Parlaments, das am Freitag mit großer Mehrheit die Immunität von 138 Abgeordneten aufhob. Der Beschluss richtet sich vor allem gegen die pro-kurdische Partei HDP. Gegen 50 ihrer 59 Abgeordneten wird ermittelt, wegen angeblicher Terrordelikte. Kein Wunder, dass Erdogan die geforderte Reform der Anti-Terror-Gesetze ablehnt. Er will die Strafbestimmung sogar noch weiter fassen. Sie sind seine wichtigste Waffe gegen politische Gegner, aufmüpfige Akademiker und kritische Journalisten.

Neuwahlen schon im Herbst denkbar

Merkel trifft am Montag einen Erdogan, der seit ihrem letzten Türkei-Besuch vor genau einem Monat erheblich an Macht hinzugewinnen hat und seine Stellung als starker Mann nun weiter zementiert. Mit der Strafverfolgung der kurdischen Abgeordneten und der politischen Liquidierung der HDP kommt Erdogan seinem Ziel eines Präsidialsystems, das alle Macht auf ihn konzentriert, einen großen Schritt näher. Yildirim verspricht unterwürfig, er werde die Amtsgeschäfte in „vollkommener Harmonie“ mit Erdogan ausüben. Seine Hauptaufgabe wird es sein, die von Davutoglu verschleppte Verfassungsänderung auf den Weg zu bringen und sich damit praktisch selbst überflüssig zu machen. Denn mehr denn je laufen künftig die Fäden im Ak Saray zusammen, Erdogans Prunkpalast am Rand von Ankara.

Nun müssen die Gerichte prüfen, wie stichhaltig die Terror-Vorwürfe gegen die kurdischen Abgeordneten sind. Erst nach einem rechtskräftigen Schuldspruch verlieren die Parlamentarier ihre Mandate, was Nachwahlen auslösen würde. Aber die Gerichtsverfahren können Jahre dauern. So lange wird Erdogan nicht warten wollen. Denkbar ist, dass er bereits im Herbst Neuwahlen herbeiführt – in der Hoffnung auf eine Zweidrittelmehrheit für seine AKP. Dann wäre der Weg frei für die geplante Verfassungsänderung.