Bei Flüchtlingen sehr beliebt: Ein Syrer Foto: dpa

Ob die Integration Hunderttausender Flüchtlinge gelingt, hängt nicht von einem einzigen Satz ab. Doch der Appell der Kanzlerin „Wir schaffen das“ steht symbolisch für die Chancen und Risiken der Zuwanderung.

Stuttgart - „Wir schaffen das.“ Drei Worte, vier Silben, 14 Buchstaben. Angela Merkels populäre Parole ist längst zur Sprachikone politischer Phraseologie avanciert.

Die Bundeskanzlerin hat sie erstmals während ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 in Berlin in den Mund genommen. „Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das. Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden.“

„Wir schaffen das“: Eine Wortgeschichte

Erfunden hat die 61-jährige CDU-Vorsitzende den einprägsamen Spruch nicht, sondern schlicht und einfach abgekupfert. Woher stammt „Wir schaffen das“? Eine Wortgeschichte:

„Sí, se puede“ (Spanisch für „Ja, wir können“) ist das Motto der United Farm Workers (UWF, US-Landarbeiter-Gewerkschaft). Deren beide Mitbegründer Cesar Chavez und Dolores Huerta prägten den prägnanten Satz im Jahr 1972 während einer landesweiten Kampagne. Andere Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen übernahmen ihn als populären politischen Schlachtruf.

Nike, Bob und Obama: „Just do it“ – „Yes we can“

Der US-Sportartikelhersteller Nike wirbt seit den 1980er Jahren mit einem ähnlichen Ausspruch: „Just do it“ („Tu es einfach“). Auch Bob the Builder – Bob der Baumeister aus Bobhausen, der alles bauen und reparieren kann – greift gerne darauf zurück. Seit 1998 antwortet der Held der gleichnamigen britischen TV-Animationsserie, auf die Frage „Can we fix ist?“ („Können wir es reparieren?“) stereotyp mit dem Lied „Yes, we can!“ („Ja, wir können!“).

Als Barack Obama 2004 im US-Bundesstaat Illinois in den demokratischen Vorwahlen für den amerikanischen Senat kandidierte, griff er diese drei Worte für seine Kampagne auf. Als er sie in seiner Rede nach der Vorwahl in New Hampshire am 8. Januar 2008 wiederholte, wurde „Yes we can“ zum Wahlkampf-Slogan seiner Präsidentschaftskandidatur.

Ein Satz schreibt Sprachgeschichte

„Wir werden es schaffen“, versprach auch Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Fernsehansprache im Juli 1990 und meinte damit das Gelingen der Deutschen Einheit. Allerdings gibt es einen kleinen, aber wichtigen semantischen Unterschied zum Slogan „Wir schaffen das“ von Angela Merkel: Die Kanzlerin verwendet die Zeitform des Präsenz („schaffen“). Damit wird das Geschehen als gegenwärtig charakterisiert, so als ob eine Lösung absehbar wäre und der gute Ausgang bereits feststünde. Was natürlich rein hypothetisch und spekulativ ist.

Der gewiefte Kohl dagegen war mit der Prognose weit vorsichtiger und sprach im Futur I („werden schaffen“). Er brachte damit lediglich seine Absicht und Vermutung für die Zukunft zum Ausdruck, legte sich aber zeitlich nicht fest. Geschickt ließ er es offen, ab und bis wann die Einheit vollendet sein würde.

SED: „Das schaffen wir“

Neun Jahre vor Kohls Diktum hatte die frühere DDR-Staatspartei SED auf einem Plakat für ihren X. Parteitag 1981 geprahlt: „Das schaffen wir.“ Die Bäuerin in der graublauen Latzhose, mit dem feschen Bubikopf und fröhlichen Lächeln auf dem Plakat sehe aus wie Jung-Angela, bemerkt der Publizist Henryk M. Broder süffisant.

Merkel war damals 27 Jahre alt und schaffte als promovierte Physikerin an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin. Während dieser Tätigkeit engagierte sie sich nebenbei in der dortigen FDJ-Gruppe (dem sozialistischen Jugendverband Freie Deutsche Jugend), wo sie nach eigenen Angaben als Kulturreferentin agierte.

„Die DDR“, schreibt Blogger Broder, „ist durch Auswanderung implodiert, die BRD droht unter der Last der Einwanderung zu kollabieren. Damals wie heute war oder ist die Öffnung der Grenzen die Ursache der Kalamität.“

Merkel und der Agitprop: „Wir schaffen das“

„Wir schaffen das“ ist kein spontaner, zufällig gefallener Satz, sondern die Kernbotschaft Merkelscher Flüchtlingspolitik. Ihre Neujahrsansprache 2016 ist ein einziges „Wir schaffen das. Denn Deutschland ist ein starkes Land.“ Was soviel heißen soll wie: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen auch das. Und wo uns etwas im Wege stehen sollte, werden wir es überwinden. Wenn sich die Kanzlerin da mal nicht täuscht.

Auch wenn der Satz „Wir schaffen das“ ziemlich abgedroschen und überstrapaziert ist, bleibt er doch ein genialer Agitprop (Agitations-Propaganda)-Slogan, der die Öffentlichkeit mobilisieren und zum gemeinsamen Handeln animieren soll. Kein Wunder, dass Politiker, Propagandisten und Werbeleute ihn so lieben. Und das obwohl – oder gerade weil – diese appellative Affirmation inhaltlich nebulös und nichtssagend, weder sachlich begründet noch kohärent ist.

„Wir schaffen das“: Ein nebulöser Satz

„Wir schaffen das“: Wer ist „Wir“?

Um den (Un)-Sinn dieses Drei-Worte-Solgans zu erfassen, muss man noch tiefer bohren: Auf wen nun bezieht sich das Wort „Wir“? Was beinhaltet „schaffen“? Und was ist mit „das“ gemeint?

Das Deutsche kennt wie andere Sprachen ein sogenanntes inklusives und exklusives Wir (Personalpronomen in der ersten Person Plural). Bei Angela Merkels Spruch schließt das sprechende Ich (dass heißt die Kanzlerin) einen sehr großen Adressatenkreis (das inklusive Wir) mit ein.

„Wir“ ist zuerst die Kanzlerin selbst als gewählte Repräsentantin des Souveräns – nämlich des deutschen Volkes. Sodann sind es die politisch-administrativ Handelnden: das Bundeskabinett, der Bundestag, die Länder- und Kommunalvertreter sowie die Mitarbeiter des öffentlichen Dienst. Und natürlich die Bürger.

Und was, wenn die ganze Sache schiefgeht?

Fühlen sich alle angesprochenen Gruppen auch von Merkels „Wir“ einbezogen, fragt der Hildesheimer Philosophieprofessor Tilman Borsche. „Wohl kaum. Aber genau das ist ihre Wette, es ist die Wette dieses Wortes. Wie jede ist auch diese Wette ein offener Wechsel auf die Zukunft.“

Die Kanzlerin appelliert an das Wir-Gefühl in der Bevölkerung, die darauf vertrauen muss, dass sie wie so oft in der Vergangenheit Recht behalten und es wie in der Griechenland- oder Euro-Krise schon richten wird. Welche Alternative haben die Bürger auch sonst? Jeder ist direkt oder indirekt von der Immigration Hunderttausender Flüchtlinge betroffen.

Was, wenn die ganze Sache schief geht? Wenn die Integration von 1,1 Millionen vornehmlich männlichen, muslimischen Zuwanderern allein im vergangenen Jahr aus misslingt? Wenn die Gesellschaft auseinanderbricht und die Politik an der titanischen Aufgabe scheitert?

Merkels Handlungsmaxime zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ist in ihrem alternativlosen Optimismus naiv, blauäugig und besorgniserregend. Angesichts des ungebremsten Flüchtlingsstroms klingt ihr „Wir schaffen das“ wie eine Durchhalteparole: Wir müssen das schaffen, weil wir gar nicht anders können.

Schaffens-Sätze sind immer verdächtig

„Wir schaffen das“: Was bedeutet „schaffen“?

Schaffens-Sätze sind immer verdächtig. Sie gaukeln Aktionismus und Initiative, Elan und Tatendrang vor. Gleichzeitig suggerieren sie, dass es eine Strategie gibt, eine Arbeit vollendet, ein Pensum erledigt wird. Dabei sind solche Sätze meist nichts weiter als Phrasendrescherei und in Worthülsen verpackte Unverbindlichkeiten. Wie bei einer Beschwörungsformel wird das Gelingen herbeigerufen. Als ob so hochkomplexe und kaum zu steuernde Problematiken wie die Flüchtlingskrise durch den puren Glauben an die Zukunft überwunden werden könnten.

Dies widerspricht dem Wortsinn von Krise (von Altgriechisch „krisis“, Entscheidung) als einer sich zuspitzenden Situation, deren Ausgang völlig offen ist. In Krisenzeiten ist alles möglich: die Wendung zum Positiven ebenso wie das kollossale Scheitern. Wenn Krisen einen dauerhaft negativen Verlauf nehmen, werden sie zur Katastrophe. Wie nah Deutschland und Europa davor stehen, weiß niemand.

„Wir schaffen das.“ Nur wie? Die Kluft zwischen der Zuversicht, die Angela Merkel versprüht, und der Ratlosigkeit vieler Bürger wird von Tag zu Tag größer. In der Bevölkerung wie bei vielen Neuankömmlingen wachsen Enttäuschung, Frust und Wut. Angst, Misstrauen und ein Gefühl der Ohnmacht greifen um sich. Schaffen wir das wirklich? Immer mehr Bundesbürger sind der Meinung, die Guido Reil, SPD-Ratsherr im Essener Problemstadtteil Karnap (rund 40 Prozent Ausländeranteil) so ausdrückt: „Wir schaffen es nicht.“

„Wir schaffen das“: Was meint „das“?

Schließlich noch das dritte Wort in dem Merkelschen Slogan: das Wörtchen „das“ (grammatikalisch ein Demonstrativpronomen Nominativ Singular Neutrum).Als hinweisendes Fürwort weist „das“ auf schon Bekanntes hin – oder auf etwas, welches näher bestimmt, besonders betont oder akzentuiert werden soll.

Was mit „das“ konkret gemeint ist, bleibt allerdings unbestimmt, unkonkret und nebulös. Klare Handlungsanweisungen, politische Programme, organisatorische Notfallpläne? Alles Fehlanzeige. Jeder muss sich selber ausmalen, was genau geschafft werden soll, wie es zu erreichen ist und ob er daran teilhaben will. Eine solch vage Botschaft aus dem Munde der ersten Frau im Staat ist nicht gerade eine Beruhigung für die Nerven angesichts.

Bob der Baumeister: „Yo, wir schaffen das!“

Zum Schluss noch ein Tipp: Es ist völlig normal, wenn einen in schwierigen Zeiten wie diesen Frust und Zukunftsangst übermannen. Dann braucht man dringend einen Schuss gute Laune. Was könnte da besser sein als sich „Can We Fix It?“, den Titelsong von Bob dem Baumeister anzuhören, in dem der fröhliche Handwerksgesell trällert: „Los Jungs! Yo, wir schaffen das! Yo, hier ist Bob der Baumeister! Wir geben alles und wir geben Gas! Wir hören niemals auf und wir hören uns gut an! Wir machen einen drauf, bis zum Sonnenuntergang!“