Klartext von der Kanzlerin: Merkel und Russlands Präsident Putin Foto: dpa

Erstmals seit zwei Jahren reist Kanzlerin Angela Merkel an diesem Dienstag nach Russland – in der größten Beziehungskrise seit Ende des Kalten Krieges. Die Berliner Opposition fordert Entspannungsinitiativen, Merkel will lieber Fragen stellen

Berlin - Manchmal liegen Wladimir Putins Motive eindeutig auf der Hand. Weil der russische Staatschef aber schon viele Wendemanöver hingelegt hat, hält sich die Bundesregierung selbst in klaren Fällen mit Einschätzungen zurück. Auf die Frage jedenfalls, warum Kanzlerin Angela Merkel an diesem Dienstag von Putin in seine Sommerresidenz in der Olympiastadt Sotschi am Schwarzen Meer eingeladen wurde, hieß es offiziell lediglich: „Er hält sich derzeit in der Region auf.“ Unerwähnt blieb die naheliegende Erklärung, dass über das 1.-Mai-Wochenende die Formel 1 in Sotschi Station machte – der russische Grand Prix ist eins von Putins Prestigeprojekten, um Russlands neue alte Stärke zur Schau zu stellen.

Weil dazu auch gehörte, die Halbinsel Krim zu annektieren, in der Ostukraine Separatisten zu unterstützen und militärisch in Syrien einzugreifen, haben sich nicht nur die deutsch-russischen Beziehungen massiv verschlechtert. Auf den Nato-Gipfeln von Wales und Warschau ist eine Aufrüstung in Osteuropa beschlossen worden, um die Bündnismitglieder dort vor möglichen weiteren Ambitionen Putins zu schützen. Abgerissen ist der Gesprächsfaden mit dem Kreml dennoch nicht – erst am Ostermontag hat Merkel im sogenannten Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine um die Umsetzung der Minsker Friedensvereinbarung für die Kriegsregionen Donetsk und Luhansk gerungen.

Die Grünen fordern von Merkel Entspannungsinitiativen gegenüber Russland

Für die Verantwortlichen in Berlin ergibt sich daraus ein gemischtes Bild: So wird es im Kanzleramt einerseits als „gewisser Erfolg“ gesehen, dass in einer Erklärung nach dem Telefonat gemeinsam die Unterstützung für den Minsker Friedensfahrplan bekräftigt wurde. Andererseits hat es schon viele solcher – folgenloser – Erklärungen gegeben. Als „sehr enttäuschend“ wird in deutschen Regierungskreisen ohnehin bewertet, dass Moskau im Weltsicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung dazu verhindert, wie es Anfang April zu den Giftgastoten in Syrien kam, die einen US-Luftschlag gegen die von Putin unterstützte syrische Armee nach sich zogen. „Die etablierten internationalen Organisationen wie die in Den Haag ansässige Organisation für das Verbot chemischer Waffen“, lautet die Forderung der Bundesregierung, „müssen ihrer Arbeit nachgehen können.“

Groß sind daher die Erwartungen an Merkels Reise im Berliner Politikbetrieb. „Putin darf eine unabhängige Untersuchung des Giftgasangriffes nicht länger blockieren“, sagt der Grüne Jürgen Trittin, der im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt: „Das ist das Mindeste, was die Kanzlerin dem russischen Präsidenten abringen muss.“ Sie solle sich für Waffenstillstandsverhandlungen für Syrien einsetzen und die sich bereits drehende Aufrüstungsspirale stoppen. Für Trittin ist es „sicherheitspolitischer Irrsinn“, dass mit Merkels Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato „Deutschland bald fast so viel fürs Militär wie die Atommacht Russland ausgibt“. Da auch Putin sein Land „mit Aufrüstung und Provokation zum Sicherheitsrisiko“ mache, braucht es laut dem Grünen eine einseitige Entspannungsinitiative: „Merkel sollte in Sotschi den ersten Schritt gehen und von dem ohnehin unnötigen Nato-Raketenschirm Abstand nehmen.“

Mit großen Durchbrüchen auf den großen Konfliktfeldern wird nicht gerechnet

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, argumentiert ähnlich: „Merkel sollte in Sotschi einen Beitrag leisten, dass wir nicht weiter in die Eiszeit der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland kommen, sondern ein neues Tauwetter befördern.“ Er rügt den „Irrweg von Sanktionen“, die die EU wegen des Moskauer Vorgehens auf der Krim und in der Ostukraine verhängt hat: „Gedeihliche Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind ein wesentlicher Punkt für gute Beziehungen der EU zu Russland und für die Lösung vieler internationaler Konflikte.“

Mit großen Durchbrüchen auf den großen Konfliktfeldern ist im Kanzleramt vor Reiseantritt freilich nicht gerechnet worden, da es auf Beamtenebene „keine Vorbereitung“ konkreter Initiativen gegeben habe. Der Flug ans Schwarze Meer wurde dort vor allem als Vorbereitung für den Hamburger G-20-Gipfel Anfang Juli verkauft. Erst in zweiter Linie soll es in Sotschi einen „Austausch über aktuelle Krisenherde“ geben, wie es auf der Internetseite der Bundesregierung heißt.

Ökonomisch spricht alles gegen Moskau

Das wiederum ist eine Untertreibung. Vielmehr sollen die mindestens vier eingeplanten Gesprächsstunden, die kurz von einer Pressekonferenz unterbrochen werden, zur grundsätzlichen Klärung der künftigen Beziehungen genutzt werden. „Wie stellst du dir die weitere Entwicklung vor?“, formuliert einer aus dem Regierungstross stellvertretend für Merkel Fragen an Putin: „Wie soll das alles weitergehen?“ Groß nämlich ist das Unverständnis in Berlin angesichts dessen, dass sich Moskaus Machthaber in die außenpolitische Isolation begibt.

Ökonomisch spricht nach Ansicht von Jürgen Hardt, dem außenpolitischen Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, ebenfalls alles gegen Moskau: „Derzeit verdeckt der Streit Putins mit der westlichen Welt die Risse im Fundament der russischen Wirtschaft. Das wird jedoch nicht auf Dauer so sein – ohne klare Wohlstandsperspektive für seine Bürger wird Putin an Unterstützung verlieren.“ Aus dieser Analyse heraus wäre es aus Hardts Sicht „unklug von Putin, durch eine unnachgiebige Haltung in der Syrien- und Ukraine-Frage die wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven seines Landes zu verspielen“. Das Problem könnte nur sein, dass Putins außenpolitische Kraftproben in der Bevölkerung durchaus gut ankommen – zumal der Kreml die Berichterstattung dazu weitgehend kontrolliert.

Von Putin geschätzt: Die Kanzlerin spricht Klartext

Ein wenig Optimismus ist vor Merkels Reise aber auch vom Kanzleramt verbreitet worden – zumindest was das Atmosphärische angeht. Verwiesen wird darauf, dass Putin als einst in der DDR stationierter Agent gerne Deutsch spreche und trotz aller Meinungsunterschiede Klartext der Kanzlerin schätze: „Zuhause bekommt er doch keine Widerworte mehr.“