Sie sollen die CDU arbeitsteilig modernisieren: Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel Foto: AFP

Auf dem Bundesparteitag der CDU herrscht nach all dem Zwist und Streit der vergangenen Wochen eine geradezu versöhnliche Stimmung. Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Generalsekretärin wird frenetisch beklascht. Doch reicht das, um die programmatischen Differenzen zu glätten?

Berlin - Das blutrünstige Krokodil, das tiefe Wunden ins Fleisch der Christdemokraten gerissen hat, muss draußen bleiben. Das schwarz-rot bemalte Reptil, das lautmalerisch für den neuen „Groko-Deal“ steht, ziert die Plakate und Handzettel der „WerteUnion“, die vor dem alten Berliner Postbahnhof ein Nein zum Koalitionsvertrag fordern. Die CDU-Delegierten, die aus dem klirrend kalten Wintersonnenschein Richtung Parteitag strömen, lehnen aber zumeist dankend ab. Sie scheint fast wie weggeblasen vom frostigen Februarwind, die Lust auf Krawall oder gar auf einen Aufstand vermeintlich zu kurz gekommener Konservativer. Stattdessen viel Friede, Freude, Eierkuchen.

Eine kleine Szene steht symptomatisch für die nach turbulenten Wochen und Monaten wiederentdeckte Harmonie. Da schreiten die Parteivorsitzende Angela Merkel und der als ihr konservativer Widersacher gehandelte Jens Spahn gemeinsam aufs Tagungspodium, Seit an Seit, als ob es die Richtungsdebatten in der Union nie gegeben hätte.

Jens Spahn versöhnt die Konservativen

Den Boden bereitet für den neuen Kuschelkurs hat die Kanzlerin mit ihren Personalentscheidungen der vergangenen Tage. Der 37-jährige Spahn, den viele Jungunionisten wie eine Art konservativen Heilsbringer verehren, ist von Angela Merkel als designierter Gesundheitsminister nominiert worden, was vielen als ein nachträgliches „Ich habe verstanden“ gilt. „Die Personalie Spahn war schon ein Zeichen in die Partei hinein“, meint die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag, die als gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion bald viel mit ihm zu tun haben dürfte. Spahns Berufung trägt auch dazu bei, dass Markus Reichel vom Ortsverband Dresden doch Ja sagt zum Koalitionsvertrag, der ihm eigentlich „Schmerzen im Herzen“ bereitet: „Es ist super, die verschiedenen Flügel unserer Partei in die Verantwortung zu holen.“

Noch besser ist der saarländische Coup der Kanzlerin angekommen. „Annegret Kramp-Karrenbauer ist der Hammer“, meint zum Beispiel Herbert Reul, der lange in Brüssel Europaabgeordneter war und inzwischen nordrhein-westfälischer Innenminister ist. Nicht nur er, auch andere Delegierte berichten davon, wie ausgesprochen gut die Generalsekretärs-Personalie draußen an der Basis angekommen ist. Dass die Saarbrücker Regierungschefin ihr Ministerpräsidentenamt aufgibt, um der Partei zu dienen – das hat das Bild einer angeblich so postengeilen Politelite auf den Kopf gestellt.

Die Generalsekretärin soll eigenständig agieren

Angela Merkel und ihre Mannschaft haben viel Zeit investiert, um über das Personaltableau einen Stimmungsumschwung herbeizuführen. „Sie hat gewusst, dass sie in der Pflicht steht, diese Erneuerung durchzuführen“, heißt es in Merkels direktem Umfeld. Denn die Kanzlerin hat natürlich genau registriert, wie sich an der Preisgabe des Bundesfinanzministeriums ein parteiinterner Tumult entzündet hat, der letztlich die Preisgabe des Parteiprofils insgesamt zum Thema gehabt hat. Das hätte ihre weitere Regierungszeit infrage stellen können. Also hat Merkel die Grundsatzentscheidung getroffen, der Partei und der künftigen Generalsekretärin ein größeres Eigenleben zu gewähren.

„Es ist schon spürbar, dass die Partei wieder ein größeres Eigenleben gegenüber der Regierung braucht“, sagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Die jüngsten Personalentscheidungen hätten „die Lage wieder beruhigt“, in diesem Sinne habe „Angela Merkel in den vergangenen zehn Tagen alles richtig gemacht“. Merkels Vertrauter Peter Altmaier, der nun Wirtschaftsminister werden soll, räumt indirekt ein, dass der Spaltpilz auf christdemokratischem Boden zuletzt bestens gedieh und mit der Benennung der Saarländerin „AKK“ und der Kabinettsliste wieder eingedämmt werden sollte: „Wir haben einen guten Schritt gemacht, um die Partei zu einen.“

Müder Applaus bei Merkel – Ovationen bei „AKK“

Angela Merkel muss deshalb keinen großen Widerstand mehr befürchten, als sie für ein Ja zum Koalitionsvertrag wirbt. Sie bedauert das schwache Wahlergebnis, redet über das „Unbehagen“ im Land, geht Punkt für Punkt die CDU-Erfolge etwa in der Familienpolitik durch, mit denen die Menschen wieder für die Union gewonnen werden sollen. Sie beklagt auch den Verlust des Finanzministeriums, fragt dann jedoch rhetorisch, ob sie wegen eines Postens die gesamte Regierungsbildung hätte platzen lassen sollen. Mit „Befremden“ will sie zur Kenntnis genommen haben, dass nun das Wirtschaftsministerium schlechtgeredet werde, das erstmals seit Jahrzehnten wieder in CDU-Hand fällt, wenn am Wochenende auch die SPD-Basis der großen Koalition ihren Segen geben sollte: „Das Wirtschaftsministerium ist das Haus Ludwig Erhards – es liegt an uns, dass wir daraus etwas machen.“

Der Applaus fällt respektvoll, aber eher spärlich aus. Heftig geklatscht wird dagegen, als Merkel Hermann Gröhe verabschiedet, für den kein Platz mehr ist im Kabinett, genauso wenig wie für Thomas de Maizière, dem es vor lauter Abschiedsovationen die Tränen in die Augen treibt. Und auch Wolfgang Schäuble, der als Bundestagspräsident in weiteren Merkel-Jahren nicht mehr der Regierung angehören wird, muss den nicht enden wollenden Beifall mit abwehrenden Gesten beenden.

Am allerlautesten wird es ausgerechnet dann, als Merkel die neue starke CDU-Frau Annegret Kramp-Karrenbauer preist, ihre mögliche Nachfolgerin, deren Landtagswahlerfolg letztlich zum Entgleisen des sozialdemokratischen Martin-Schulz-Zuges geführt habe. „AKK“ wird später mit 98,8 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt werden. Sie ist der Star des Parteitags, erst recht als sie eine echte Debatte über das neue Grundsatzprogramm und zur Kritik auffordert: „Ich bin damals auch nicht in die Junge Union eingetreten, um meinem Landesvorsitzenden zuzujubeln, sondern ihm Feuer unter dem Hintern zu machen.“

Am Ende sagt die CDU Ja zur GrokO

Da tobt der Saal, und Merkel findet sich in der für sie ungewohnten Nebenrolle wieder. „Angela Merkel war noch nie eine Rampensau“, sagt einer aus der Regierungszentrale, „sie ist aber doch nicht neidisch, wenn sie jetzt eine Generalsekretärin hat, die die Partei mitreißen kann, während sie gute Regierungsarbeit macht.“ Das ist die neue Arbeitsteilung in der Regierungspartei CDU. Angela Merkel steuert ohne große Begeisterung, aber doch unumstritten auf ihre vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin zu, die programmatische Wiederbelebung, die sie nicht mehr leisten kann oder will, hat sie an ihre wichtigste Helferin ausgelagert.

Weg nämlich ist die inhaltliche Orientierungslosigkeit, die manche Delegierte nach zwölf Merkel-Jahren im Kanzleramt beklagen, mit der personellen Neuausrichtung noch lange nicht. In der Berliner Station reihen sich viele kritische Beiträge aneinander. Der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann meint, es hätte „besser verhandelt werden müssen“, der nächste Redner wünscht sich ein Parteiprogramm mit mehr klaren Worten und weniger Politprosa. Und doch schließen die Kritiker alle damit, dass sie dem Koalitionsvertrag zustimmen werden – die strategischen Signale der Kanzlerin verfehlen ihre Wirkung nicht. „Sie hat“, sagt der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger, „parteiintern für einen guten Auftakt in ihre vierte Amtszeit gesorgt.“

Am Ende sagt die CDU deutlich Ja zu einer neuen großen Koalition mit Angela Merkel an der Spitze. „Sie wirkt“, sagt ihre Stellvertreterin Julia Klöckner, die designierte Landwirtschaftsministerin, „wie befreit.“ So würde die Bundeskanzlerin selbst das natürlich nie ausdrücken. Bei Merkel klingt das so: „Nach schwieriger Zeit haben wir heute einen guten Tag hingelegt – alles Gute und tschüss.“