Der alte und der neue Mercedes-Motorsportchef: Norbert Haug (links) und Toto Wolff. Foto: dpa

Die Ära Norbert Haug bei Mercedes Motorsport ist mit der Verpflichtung von Toto Wolff endgültig abgeschlossen. Der Österreicher wird im Team einiges anders anpacken als sein Vorgänger.

Stuttgart - Torger Christian, kurz Toto, Wolff, bezeichnet sich als optimistischen Pessimisten. Also einer, der ein halbleeres Glas sieht, sich aber vorstellt, es sei halbvoll. Im PS-Jargon ausgedrückt: Wir sind zu langsam, aber es besteht die begründete Hoffnung, schneller zu werden. Deshalb hat Mercedes ihn als Motorsportchef geholt, als Nachfolger der zuletzt wenig erfolgreichen Institution Norbert Haug. Vor allem aber hat die Motorsport-Abteilung des Daimler-Konzerns den Österreicher als Executive Director des Formel-1-Teams verpflichtet, weil er ein Selfmademan ist, einer, der exakt weiß, wohin er will, und der überdies sensibel spürt, wie er dahin kommen kann.

Seine Vita ist Beleg für dieses stete Streben. Wolff ist hungrig auf Erfolg. Er wuchs in Wien bei der Mutter, einer polnischen Ärztin, auf, verlor den Vater als Teenager. Und er ging seinen Weg. Die Rennfahrer-Karriere gab er 1994 nach dem schweren Unfall von Landsmann Karl Wendlinger in Monaco auf; er studierte Handelswissenschaften, arbeitete in Warschau als Assistent der Verkaufsleitung einer Stahlfirma. Dann brachte er einen Computerspiele-Entwickler an die Börse, es war sein Durchbruch in der Finanzwelt. Der heute 41-Jährige gründete 1998 die Beteiligungsgesellschaft Marchfifteen, danach vervielfachte er sein Vermögen durch kluge Finanzinvestitionen. Wolff ist ein Analyst, der aus seinen Beobachtungen meist die treffenden Schlüsse zieht.

Diese Begabung soll er für Mercedes einsetzen. „Ich muss mir ein paar Wochen die Teamstruktur ansehen, Ressourcen analysieren“, sagt der neue Mann, „dann muss ich entscheiden, an welchen Stellschrauben wir drehen, um schnell zum Erfolg zu kommen.“ Dabei wird der gebürtige Wiener, der in Ermatingen/Schweiz am Bodensee lebt, in engem Kontakt mit Teamchef Ross Brawn und Aufsichtsratschef Niki Lauda stehen. Wobei die technischen Entscheidungen in Brawns Zuständigkeit fallen, die kommerziellen und strategischen bei ihm liegen. „Ich richte mit einem Schraubenschlüssel in der Hand mehr Schaden an, als ich nütze“, scherzt Wolff. Um die Antwort, wer denn nun bei divergenten Ansichten das allerletzte Wort habe, drückt er sich diplomatisch. Darüber spricht man nicht öffentlich. Im Zweifel ist es Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche. Noch eine weitere Lektion hat der Neuzugang bereits verinnerlicht. „Das sind die üblichen Spekulationen“, entgegnet Wolff auf die Frage, ob McLaren-Cheftechniker Paddy Lowe, ein Vertrauter von Fahrer-Neuzugang Lewis Hamilton, zu Mercedes komme.

80 Prozent der Arbeitszeit soll die Formel 1 in Anspruch nehmen

Wolff tritt in tiefe Fußstapfen, im Kontrast zu Haug, der im Mercedes-Motorsport omnipräsent war, wird der Nachfolger primär das Feld Formel 1 beackern. Dort wird die Saat fürs weltweite Markenimage gelegt, 80 Prozent der Arbeitszeit soll die Formel 1 in Anspruch nehmen. Sein Büro bezieht Wolff deshalb in Brackley; die Frage, wer die Räume von Haugs Reich in Fellbach nutzt, hat für Mercedes nicht oberste Priorität. „Ich werde nicht bei jedem DTM-Rennen sein, sondern nur bei den wichtigsten“, verrät er, „aber bei jedem Grand Prix.“. Abgesehen davon, dass Wolff in Formel 1 und DTM den Stern aufpolieren soll, muss er in beiden Serien noch ein paar zusätzliche Klippen umschiffen.

Bisher sah sich der Mann als Finanzinvestor, beim Formel-1-Team Williams hält er 15 Prozent, bei Daimler-Tochter HWA aus Affalterbach, als Team in der DTM engagiert, ist er mit an Bord; nun wird er beim F1-Team Mercedes 30 Prozent der Anteile erwerben. Da scheinen Konflikte programmiert. Williams und Mercedes konkurrieren auf der Strecke, in beiden Teams steckt sein Geld. Und HWA ist nicht das einzige DTM-Team mit einem Stern auf der Haube – ist der neue Chef nicht zwangsläufig befangen? „Ich sehe keine Konflikte – ich bin zu 100 Prozent bei Mercedes“, sagt er, „man hat als Teilhaber auch eine moralische Verantwortung und kann nicht einfach aussteigen.“ Ganz ausschließen will Wolff eine Neuordnung seiner Finanztätigkeiten im Rennsport aber nicht.

Konflikte sind für einen wie Wolff da, um gelöst zu werden. Sein Treibstoff ist der Wille zum Erfolg – dabei haben der Investor und der Motorsportchef das gleiche Ziel. „Das macht den Rennsport so charmant – mit dem sportlichen Erfolg stimmt auch das Geld“, sagt er. Toto Wolff dürfte überzeugt sein: Das Glas bei Mercedes ist halb voll. Mindestens.