Sabine Scheunert verantwortet bei der Marke Mercedes-Benz das gesamte digitale Kundenerlebnis und sämtliche IT-basierten Aktivitäten für Marketing, Vertrieb und Kundenbindung Foto: Horst Rudel

Mercedes setzt auf das vernetzte Auto und forciert in seinem gesamten Auftritt digitale Technologien. Die Chefin der eigens dafür geschaffenen Einheit sagt, worauf es dabei ankommt.

Stuttgart -

Frau Scheunert, Mercedes investiert viel Geld in digitale Dienstleistungen. Wie wird sich das für die Kunden bemerkbar machen?

Wir bauen rund um Mercedes ein ganzes Ökosystem von Angeboten auf, die dem Kunden vor allem mehr Zeit bringen sollen. Ein Beispiel dafür ist, dass unbeliebte Tätigkeiten, wir nennen diese „Pain Points“, im Zusammenhang mit dem Autofahren durch die Digitalisierung schneller und bequemer gelöst werden. Der Kunde wird nach dem Tanken bald nicht mehr bei Wind und Wetter zum Bezahlen gehen und in einer langen Warteschlange stehen müssen, sondern kann über unsere digitalen Angebote auch bequem vom Auto aus bezahlen. Auf ähnliche Weise lässt sich auch die Suche nach Parkplätzen erleichtern.

Und welchen Nutzen zieht Mercedes aus den digitalen Angeboten?

Mit unseren Angeboten können wir die Kundenbindung festigen und außerdem Menschen erreichen, die bisher nicht Mercedes fahren, sich aber für Mobilität interessieren. Erst im September haben wir unsere App „EQ Ready“ herausgebracht, die Ihre Fahrten und Ihr individuelles Fahrverhalten aufzeichnet, wenn Sie dem zuvor zugestimmt haben. Danach teilt sie Ihnen mit, welche dieser Strecken Sie bereits heute elektrisch hätten zurücklegen können. Das gibt Autofahrern die Möglichkeit, sich schon heute mit Elektrofahrzeugen zu beschäftigen und Vertrauen in diese Technologie zu entwickeln.

Die Auswertung des Fahrverhaltens basiert auf der intensiven Nutzung von Kundendaten. Sind die Kunden überhaupt bereit, Ihnen diese Daten zur Verfügung zu stellen?

Nach unserer Erfahrung ist der Kunde dazu gern bereit, wenn er einen Nutzen daraus ziehen kann. Das gilt allerdings nur, wenn er Vertrauen in den Umgang mit seinen Daten hat. Deshalb kann er bei uns selbst entscheiden, welche Daten für welche Zwecke genutzt werden. Die Daten werden nur mit seiner Zustimmung verwendet, die er auch wieder zurückziehen kann. Auch kann er sich jederzeit darüber informieren, welche Daten über ihn bei uns gespeichert sind.

Amerikanische Technologiekonzerne wie Google und Amazon verfolgen da einen anderen Ansatz – sie wollen mit den Daten auch Geld verdienen. Sind diese Ihnen gegenüber nicht im Vorteil?

Natürlich haben manche amerikanische Anbieter enorm hohe Nutzerzahlen. Dennoch glaube ich nicht, dass wir hier im Hintertreffen sind. Unsere Chance besteht darin, rund um das Auto und die Mobilität ein so attraktives Ökosystem aufzubauen, dass der Kunde gar nicht mehr bei anderen Anbietern suchen muss.

Google und Amazon gehen bereits einen Schritt weiter und bieten eine Spracherkennung an, die Fragen der Nutzer verstehen und beantworten kann. Warum binden Sie diese digitalen Wettbewerber in Ihr System ein?

Wir haben ja mit „Ask Mercedes“ seit einigen Tagen eine eigene App mit Spracherkennung, die sowohl Fragen zur Bedienungsanleitung als auch andere Mercedes- oder Daimler-relevante Fragen beantworten kann. Zusätzlich beziehen wir auch Google Home und Amazon Alexa in unsere Angebote ein, weil viele Kunden diese Sprachassistenten heute bereits zu Hause haben. Damit können Kunden mit Geräten, die sie bereits nutzen, auch auf unsere Dienste zugreifen. Der Kunde muss sich nicht bei uns eingliedern, vielmehr holen wir ihn mit unseren Angeboten in seinem Lebensraum ab.

Dienen diese digitalen Angebote eher dem Kontakt zu den Kunden, oder können Sie mit diesen irgendwann auch Geld verdienen?

Zum einen ist es uns wichtig, den Kontakt zu allen Kunden, also auch Zweit- und Drittbesitzern, die wir bis vor Kurzem gar nicht kannten, zu ermöglichen, und zum anderen, unseren Kunden so viel Mehrwert zu bieten, dass er auf das Ökosystem von Mercedes nicht mehr verzichten möchte. So steigern wir die Kundenbindung und können im engen Kontakt mit unseren Kunden neue Geschäftsfelder eröffnen. Die Apps selbst bieten wir kostenlos an – etwas anderes wäre am Markt auch gar nicht durchsetzbar. Allerdings ist es durchaus denkbar, mit Partnern zusammenzuarbeiten und auf Basis unserer Daten den Kunden Vorschläge zu unterbreiten. Denn je länger jemand in unserem System zu Hause ist, desto besser kennen wir ihn und umso bessere mehrwertbringende Angebote können wir ihm machen.

Wie kann ein solcher Vorschlag in der Praxis aussehen?

Wenn Sie etwa jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit lange einen Parkplatz suchen müssen, erkennt die App bzw. das vorausschauende Fahrzeug dies und kann die Zeit dafür von vornherein bei der Routenplanung einkalkulieren. Die App bzw. das Fahrzeug kann dann auch einen freien Parkplatz oder ein freies Parkhaus vorschlagen. Solche, für den Kunden mehrwertbringende Dienste können wir zusammen mit den Parkplatzanbietern anbieten. Denn die entscheidende Frage ist doch, ob zukünftig ein Kunde noch einen Mercedes kauft, wenn solche mehrwertbringende Funktionen in seinem Auto nicht vorhanden sind.

Zu Ihren digitalen Dienstleistungen gehört ja auch das Carsharing, das Anbieten von Fahrzeugen direkt von deren aktuellem Standort aus. Reicht das aus, um gegen globale Dienstleister wie Uber zu bestehen, für die weltweit viele Autos und Fahrer im Einsatz sind?

Wir verfolgen mit unseren Mobilitätsdienstleistungen ein deutlich anderes Konzept als Uber. So schlagen wir mit unserer App Moovel nicht nur Fahrten mit dem Auto, sondern auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln vor. Gegenüber dem Taxigewerbe arbeiten wir ebenfalls mit einem anderen Ansatz als Uber. So bietet unsere App Mytaxi auch Taxiunternehmen die Möglichkeit, Aufträge zu erhalten.

Der deutsche Datenschutz gilt als einer der strengsten der Welt. Bremst er die Entwicklung der digitalen Angebote?

Wenn Sie das Angebot eines amerikanischen Datenunternehmens nutzen wollen, müssen Sie meist umfangreiche Geschäftsbedingungen unterschreiben, die in der Regel eine weitreichende Zustimmung zur Verwertung der Daten enthält. Ohne diese Zustimmung ist der gesamte Dienst nicht nutzbar. Doch die Sensibilität der Menschen für den Umgang mit den Daten wächst, auch in den USA. Durch einen sorgfältigen Umgang können wir uns daher positiv von Anbietern aus anderen Weltregionen abheben. Womöglich fühlt sich ein Teil der US-Kunden bei unseren Angeboten nach europäischen Standards bald wohler als in amerikanischen Systemen. Somit bieten die strengen Regeln für uns durchaus auch Chancen.