Mercedes revolutioniert das Autobahnfahren: Selbstfahrende Serienfahrzeuge können jetzt im fließenden Verkehr zeitweise die komplette Verantwortung übernehmen. Nur die Polizei muss sich noch daran gewöhnen.
Lautlos gleitet der Mercedes über die A 115 von Berlin-Spandau in Richtung Magdeburg. Auf dem großen Display neben dem Cockpit läuft 3 Sat, und bei Tempo 90 schaut der Fahrer entspannt eine Doku über Thailands faszinierende Inselwelt. Links rauschen Autos vorbei, doch die sind uninteressant – das Auto fährt autonom in der Stufe drei von fünf. Damit übernimmt der Drive Pilot zeitweise die Verantwortung.
Mercedes plant, Anfang nächsten Jahres eine neue Version des Drive Pilot auf den Markt zu bringen. Diese wird mehr sein als ein Staupilot und das autonome Fahren auf eine neue Stufe heben. Auf der Autobahn kann der Wagen bis zu 95 km/h fahren, während der Fahrer sich entspannen, lesen oder Filme schauen kann.
Der Fahrer muss jedoch jederzeit bereit sein, innerhalb von zehn Sekunden das Steuer zu übernehmen, falls das System es verlangt. Das System schaltet sich etwa bei schlechten Wetterbedingungen und in Tunneln aus – ein rotes Signal und ein vibrierender Gurt fordern den Fahrer dann zur Übernahme auf.
Entscheidender Sprung: Das Auto übernimmt die Verantwortung
Fünf Stufen des autonomen Fahrens existieren, doch der Sprung von Stufe zwei zu Stufe drei ist der eigentliche „moonshot“, sagt Martin Hart, Chef des autonomen Fahrens von Mercedes-Benz. Also ein bahnbrechendes Projekt, das früher unvorstellbar war. Bereits vor zwei Jahren brachte Mercedes das weltweit erste System auf den Markt, das selbstständig 60 km/h fahren konnte. Nun geht das Unternehmen mit der neuen Version einen Schritt weiter und bietet zunächst in Deutschland ein System an, das auch im flüssigen Verkehr einsetzbar ist. Der Drive Pilot werde somit das weltweit schnellste Level-3-System in einem Serienfahrzeug sein, erklärt Mercedes.
Die neueste Version des Drive Pilot bringt jedoch noch einige Einschränkungen mit sich. So funktioniert das System bisher nur auf der rechten Spur und erfordert ein vorausfahrendes Fahrzeug. Verlässt dieses die Autobahn, sucht sich das System automatisch ein anderes Fahrzeug, an das es sich anhängt.
Entwicklungschef Markus Schäfer ist überzeugt, dass die Kunden den Drive Pilot künftig „öfter einsetzen und ihre Zeit noch effizienter nutzen werden können“. Mercedes unterstreiche damit seine führende Rolle im Bereich des autonomen Fahrens.
Kostenloser Umstieg für Mercedes-Kunden auf die neue Version
Die für das System notwendigen Kameras, Sensoren und Antennen sind bereits in der aktuellen Version integriert, sodass für die erweiterte Funktion nur eine neue Software nötig ist. Kunden, die umsteigen wollen, können diese über das Mobilfunk-Modul des Autos kostenlos herunterladen. Für das ursprüngliche System hatten sie 6000 Euro gezahlt – einen Preis, der auch für das neue System gilt.
Neben der Technologie muss sich auch die Gesetzgebung weiterentwickeln. Deutschland ist bei der Regulierung autonomer Fahrzeuge auf Autobahnen bereits weit fortgeschritten und erlaubt Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h. Doch andere Regeln, etwa die Kennzeichnung autonom fahrender Autos, hinken hinterher.
Nur in den US-Bundesstaaten Nevada und Kalifornien sind bisher spezielle türkise Beleuchtungen erlaubt, die anzeigen, dass ein Auto autonom fährt. Im Rest der Welt ist dies noch nicht der Fall, was mitunter zu Verwirrung führt – wie bei einem Vorfall, bei dem die Polizei einen Fahrer wegen der Handynutzung anzeigte, ohne sehen zu können, dass das Auto autonom unterwegs war. Das Verfahren wurde später eingestellt, da der Fahrer anhand des automatisch erstellten Protokolls nachweisen konnte, dass das Auto gerade nicht vom Fahrer gesteuert wurde.
Schlafen darf der Fahrer im Mercedes nicht
Schlafen oder den Fahrersitz zu verlassen ist allerdings verboten – das wird durch eine unsichtbare Kamera im Anzeigesystem überwacht. Sollte der Fahrer den Aufforderungen des Systems, das Steuer zu übernehmen, nicht folgen, wird das Auto automatisch sicher zum Stillstand gebracht und die Warnblinkanlage eingeschaltet. Szenen wie bei Tesla, wo Fahrer vom Rücksitz aus Videos streamen, sollen bei Mercedes nicht vorkommen. Auch wenn das System von Mercedes – anders als der lediglich auf Stufe zwei arbeitende Autopilot von Tesla – autonomes Fahren tatsächlich zulässt.
Mit der Verantwortung wechselt die Haftung
Bis Stufe zwei, zu der etwa Abstands-, Brems- und Spurassistenten gehören, wird der Fahrer von der Elektronik zwar unterstützt, bleibt aber voll in der Verantwortung. Bei Stufe drei wechselt die Verantwortung – und damit auch die Haftung. Schäden durch Fehler im autonomen Fahrbetrieb zahlt der Hersteller und nicht der Kunde oder seine Versicherung. Es handelt sich dann um einen Produktmangel – ähnlich wie dies bei Unfällen durch fehlerhafte Bremsen der Fall wäre.
Längst arbeitet Mercedes an der nächsten Generation des Drive Pilots, die Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h ermöglichen soll. Auch die Beschränkung auf die rechte Fahrspur sowie die Notwendigkeit eines vorausfahrenden Fahrzeugs sollen wegfallen. Doch diese Neuerungen werden erst gegen Ende des Jahrzehnts zur Verfügung stehen, wenn die Technologie ausreichend getestet ist.
„An erster Stelle steht die Sicherheit“, betont Martin Hart. Dafür bleibt man sogar freiwillig hinter dem gesetzlich möglichen Tempo zurück. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen die Gesetzgeber schneller sind als die Ingenieure.