Boris Becker einst in Wimbledon: mit offenem Visier ab ans Netz Foto: dpa

Die Zeiten der Serve-and-Volley-Spieler wie Pete Sampras oder Stefan Edberg sind vorbei. Auch auf dem Weissenhof sieht man kaum noch solche Spieler.

Stuttgart - Erste Anzeichen dafür, dass es um das gepflegte Rasentennis nicht mehr zum Allerbesten steht, die hat es im Londoner All England Tennis Club bereits 1994 gegeben. In einem denkwürdigen Männer-Finale schlugen sich da auf dem Heiligen Rasen von Wimbledon „Pistol Pete“ Sampras (17 Asse) und der Kroate Goran Ivanisevic (25 Asse) die Aufschläge und Volleys nur so um die Ohren. „An diesem extrem heißen Tag flogen die trockenen Bälle wie Kanonenkugeln“, notierte damals die „Daily Mail“. Längere Ballwechsel gab es keine – ein Umstand, der auf der Tribüne für Langeweile und wenig Heiterkeit sorgte.

Als der alternde Ivanisevic nach der Niederlage von 1994 dann die Wimbledon-Ausgabe von 2001 als erster Spieler mit einer Wildcard gewann, weil gegen sein Service, seine mutigen Netzattacken und seine kraftvollen Volleys kein Kraut gewachsen war, da war das Maß voll. An der Church Road musste schleunigst eine Lösung her. Schwerere, mit einer dickeren Filzschicht versehene Bälle, dazu eine veränderte Rasenmischung, die den Tennisball langsamer macht und höher abspringen lässt – das waren die formalen Änderungen, zunächst im All England Club, später weltweit, die den Übergang hin zu einer neuen Epoche im Rasentennis begünstigt haben.

„Eine spezielle Kunst des Tennis ist ausgestorben“

„Natürlich haben mir die neuen Bedingungen in die Karten gespielt“, sagt Roger Federer, der an diesem Mittwoch in Stuttgart um 16 Uhr (Eurosport) gegen die aufstrebende, 18-jährige US-Hoffnung Taylor Fritz sein erstes Spiel auf dem Centre-Court des Weissenhof bestreitet. „Heutzutage haben die Jungs Angst, wenn sie ans Netz gehen“, sagt Pete Sampras, der letzte Held der Serve-and-Volley-Generation, der 2001 nach sieben Titeln an der Church Road im Viertelfinale gegen Roger Federer ausschied – der Stabwechsel war vollzogen. „Es ist sehr schade“, ergänzt Pete Sampras heute reichlich wehmütig: „Eine spezielle Kunst des Tennis ist ausgestorben.“

Auf dem Killesberg sind daher ebenfalls kaum mehr Typen zu finden vom Schlage eines „Bum-Bum-Boris“ Becker, der 1985 als 17-Jähriger gegen den Südafrikaner Kevin Curren zum jüngsten Wimbledon-Champion aller Zeiten avancierte. Neben seinem gewaltigen Aufschlag wurde der Rotschopf auch mit dem „Becker-Hecht“ berühmt, mit dem er am Netz im Stile eines Fußballtorwarts agierte. Offensive Netzstürmer wie Becker, wie Sampras, Ivanisevic, Richard Krajicek oder Stefan Edberg, sie gibt es auf der Tennistour kaum mehr.

Einer der letzten seiner Art ist Radek Stepanek. Der Freund von Martina Hingis ist in der erweiterten Weltspitze ein Fossil, weil ein Serve-and-Volley-Spieler. In Stuttgart hat er die Quali überstanden, den Usbeken Denis Istomin in Runde eins besiegt und trifft nun im Achtelfinale auf Marin Cilic.

Federer hat im Verlauf seiner Karriere sein Rasenspiel modifiziert

Während der 37-jährige Stepanek einer aussterbenden Spezies angehört, hat die aktuelle Generation, im Gros Mitte, Ende der Achtziger und in den frühen Neunziger Jahren geboren, auch auf Rasen das Grundlinienspiel verinnerlicht. Federer hat im Verlauf seiner Karriere sein Rasenspiel modifiziert, nun geht er bei eigenem Aufschlag nur noch bei rund zehn Prozent seiner Aktionen ans Netz. Neben den Bällen und der neuen Weidegrasmischung aus Wimbledon hat aber auch das Material zum Wandel beigetragen: Die Schläger sind leichter, die Schlägerköpfe größer geworden; zudem hat sich die Schlägerbespannung geändert – sie lässt inzwischen ein wesentlich aggressiveres Topspinspiel mit der Vorhand zu. Ein taktisches Mittel, das Jim Courier, die ehemalige Nummer eins aus den USA, als Ersten zum Erfolg führte.

„Der Wechsel zu Kunstsaiten hat neben dem Service auch den Return und die Passierbälle schneller gemacht“, sagt Roger Federer. Das spielt dem Rückspieler trotz ständig neuer Aufschlagrekorde – aktuell hält der ebenfalls auf dem Weissenhof spielende Australier Samuel Groth mit 263 Stundenkilometern die Bestmarke – in die Karten.

„Die Jungs wie Nadal oder Djokovic sind im Vergleich zu uns physisch stärker, ihre Technik hat sich verbessert“, ergänzt der Altmeister Ivan Lendl, der insgesamt 270 Wochen an der Spitze der Weltrangliste stand. Es werde inzwischen mit wesentlich mehr Spin gespielt. „Und wenn der Ball kräftig rotiert“, ergänzt Lendl, „dann macht es das wesentlich schwieriger, nach ihm am Netz zu fischen.“

1898 wurde das erste Internationale Weissenhofturnier ausgerichtet. Dr. Gert Brandner, Vorsitzender des Tennisclub Weissenhof, blickt mit stolz auf das traditionsreiche Stuttgarter Sportereignis zurück.