Die Batteriefertigung von Mercedes im Werk Kamenz: Beschäftigte mit Kompetenzen im Bereich der Elektromobilität werden beim Autobauer immer wichtiger. Foto: /Mercedes-Benz AG

Mercedes-Benz verstärkt die Qualifizierung der Belegschaft. 80 000 Beschäftigte können neue E-Learning-Angebote wahrnehmen. Personalvorständin Kohleisen lobt zwei Pilotprojekte in Untertürkheim und Berlin.

Der Begriff vom lebenslangen Lernen ist längst Allgemeingut – bei Mercedes-Benz soll er nun verstärkte praktische Konsequenzen haben. Die Digitalisierung sei in ihren Augen ein noch größerer Treiber des Wandels als die Transformation zur Elektromobilität, sagt die Arbeitsdirektorin Sabine Kohleisen. Die Stellenprofile würden sich alle verändern: der Monteur werde zur Elektrofachkraft, die Marketingsachbearbeiterin zur Datenexpertin und der Logistiker zum Software-Ingenieur. „Auf dieser Reise werden wir unser Team begleiten und noch mehr investieren als bisher.“

Allein 2021 seien trotz Corona 1,3 Millionen Stunden für Qualifizierung und Ausbildung aufgewendet worden – 155 Millionen Euro wurden ausgegeben. Nun sollen bis 2030 allein in Deutschland mehr als 1,3 Milliarden Euro in Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um alle bisherigen Aktivitäten neu zu bündeln – das seien 1000 Euro pro Beschäftigtem im Jahr und mehr als bisher.

„Erfahrene Dienstleister“ für die E-Learning-Plattformen

„Turn2Learn“ heißt das Schlagwort im Konzern, der sich mit der Strategie als Vorreiter sieht. Es geht insbesondere darum, allen Mitarbeitern weltweit diverse digitale E-Learning-Plattformen bereitzustellen, wozu „sehr erfahrene Dienstleister“ engagiert wurden, die in dem Bereich auch eine große Erfahrung hätten. Als ein Beispiel nennt sie Linked-In Learning. Dort könnten die Mitarbeiter rund um die Uhr ein „unfassbar großes Angebot“ mit Tausenden von Online-Kursen von fachlicher bis zu privater Weiterbildung wahrnehmen. Der Beschäftigte könne eigenverantwortlich entscheiden, was ihn interessiert und dies dann mit seiner Führungskraft abstimmen.

Zweites Element sind „passgenaue Qualifizierungspfade“, die auf veränderte Stellenprofile passen und „das ganze Berufsleben begleiten“, wie es heißt. Bei der Auswahl der Formate ermögliche der Arbeitgeber eine hohe Selbstbestimmung der Beschäftigten. Dazu wurden mit dem Betriebsrat Vereinbarungen getroffen. Bei Modulen, die für ein neues Profil qualifizieren oder eine notwendige Qualifizierung in Richtung Elektromobilität darstellen, kann die Nutzung der Plattformen in der Arbeitszeit erfolgen. Wer sich aber zum Yogalehrer weiterbilden oder eine neue Sprache lernen wolle, müsse dies außerhalb der Arbeitszeit tun.

Die „erste Welle“ betrifft vornehmlich die Verwaltung

116 000 Mitarbeiter hat Mercedes-Benz in Deutschland; 80 000 von ihnen – vornehmlich aus der Verwaltung – sollen „in der ersten Welle“ von den neuen Angeboten profitieren. Außerdem sei man „dran, mit dem Betriebsrat ausgewählte Produktionsbereiche zu involvieren, um zu gucken, wie wir da das Angebot zuschneiden können“.

Wie es in einer Phase „von Unsicherheit, aber auch großer Aufbruchstimmung“ vorangeht, verdeutlicht die Personalvorständin an zwei Pilotprojekten. So sind 2021 am Standort Berlin-Marienfelde die „Digitalen Pioniere“ an den Start gegangen. 20 Freiwillige aus der Produktion lassen sich zum Junior-Softwareentwickler ausbilden; im September stehen erste Abschlüsse an. „Wir sind total begeistert von der Energie bei den Kollegen und haben es daher auf Untertürkheim ausgeweitet“, sagt Kohleisen. Somit wurden kürzlich am Stammsitz „Digitale Superhelden“ gesucht, die sich zu Datenspezialisten weiterbilden lassen. Auftakt war am 22. Juni.

Erst zählt die Eigeninitiative – später vielleicht auch mehr Druck

Zunächst haben 480 Bewerber die „Digital Challenge“ durchlaufen – Auswahlgespräche, in denen digitale Affinität, Sprachkenntnisse und Motivation erkundet wurden. Zu besetzen waren lediglich 20 Plätze, doch soll ein sukzessives Nachrücken für die Erstabsolventen möglich sein – je nach den jeweiligen Qualifizierungsnotwendigkeiten.

In der Übergangsphase von der alten Aggregatewelt in die E-Mobilität setzt das Unternehmen noch „sehr stark auf die Eigeninitiative der Mitarbeiter“, betont die Arbeitsdirektorin. Künftig werde es „vielleicht auch noch gezieltere Ansprachen geben, um den Weg in neue Profile zu ebnen“. Die Beschäftigten lebten aber nicht in einer Blase, sondern sähen den Veränderungsdruck – und dass man sich aktiv einbringen müsse. Bei berufsspezifischen Anforderungen wie die Ausbildung in Hochvolttechnologie für die E-Fahrzeugmontage sei dann auch eine direkte Ansprache notwendig.

„Werden ein schlankeres Unternehmen“

Die Weiterbildungswelle sei nur ein Weg, um die Transformation zu meistern – er reiche aber nicht aus, bekennt Kohleisen. Denn „wir werden wahrscheinlich ein schlankeres Unternehmen werden“. So müsse man „gemeinsam mit dem Team in Untertürkheim über die lange Strecke verschiedene andere Pfade entwickeln.“ Da werde man auch über mehr Flexibilität und Mobilität – also den Wechsel nach Sindelfingen – reden müssen, zudem über sozialverträgliche Instrumente wie Teilzeit und Abfindungsprogramme.

Sie selbst, berichtet die 58-Jährige, sei schon mal durch das E-Learning-Angebot „durchgesurft“ und plant: „Ich möchte mir einen der Dataworker-Pfade angucken.“ Ihr sei die Frage wichtig, wie sie etwa mithilfe von Künstlicher Intelligenz genauer auf die Mitarbeiterbelange eingehen könne.