Erst posieren, dann einsteigen: Gewinner Wolfgang Kirchner neben dem Flügeltürer Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Generationen träumten vom Mercedes 300 SL, genannt Flügeltürer. Doch die wenigsten sehen diesen seltenen wie legendären Sportwagen von innen. Jetzt durfte ein Gewinner von Cars & Coffee des Mercedes-Benz Museums mitfahren.

Stuttgart - Das größte Interesse unter den Besuchern des Mercedes-Benz Museums in Bad Cannstatt lösen regelmäßig zwei Modelle aus: Zum einen ist es der Rennwagen SLR, zum zweiten der 300 SL Coupé – ein Auto, das 1999 bei einer Leserwahl der Oldtimer-Zeitschrift Motor Klassik zum „Sportwagen des Jahrhunderts“ gewählt wurde: „Er gehört eindeutig zu unseren Stars hier“, sagt eine Museumssprecherin. Verständlich, dass sich um diesen Flügeltürer die Menschengruppen scharen, wie kürzlich bei der Sommeraktion Cars & Coffee des Museums.

Zu den Bewunderern gehört Horst Ehrmann. „Ich war zehn, als ich ihn zum ersten Mal sah: Seitdem ist er mein Traumauto.“ Der 71-Jährige betrachtet den 300 SL (die Buchstaben stehen für Sport Leicht) und hat Experten-Kenntnisse parat. „Viele Schauspieler hatten einen: Paul Hubschmid, Zsa Zsa Gabor, Sophia Loren. Er ist eine Ikone.“

Kein Wunder: Mit seinen weit ins Dach reichenden, aufwärts schwingenden Portalen ist er eine Besonderheit. 1954 war das eine Sensation - allerdings hat eine konstruktive Notwendigkeit dem SL die Flügel beschert. Er wurde für den Rennsport konzipiert, musste leicht sein und erhielt einen Stahlrohrrahmen als Unterbau der Karosse; deshalb ragen die Schweller so hoch, dass sich konventionelle Türen kaum realisieren ließen. Rennleiter Alfred Neubauer schlug schließlich die Flügeltüren vor.

Vor dem Museum steht der Flügeltürer bereit

Mal in so einem Auto zu fahren, oder wenigstens mitzufahren, das wär doch was. Ein Wunsch, der für Wolfgang Kirchner in Erfüllung geht: Bei Cars & Coffee gewinnt er die Mitfahrt in dem Zweisitzer. Dieser steht nun auf dem Hügel vor dem Museum bereit.

Der 63-Jährige merkt gleich: Der massive Schweller stört auch beim Einstieg. Ralph Böcklen, Leiter der Classic-Abteilung, verrät den Trick: „Sie stellen erst das linke Bein ins Auto, setzen sich dann auf den Schweller, holen das rechte Bein nach und gleiten schließlich in den Sitz.“ So gebrieft, klappt das Entern problemlos. Kirchner greift nach dem Griff in der Tür und zieht sie abwärts.

Das Cockpit ist eng; silbern eingefasste Rundinstrumente beherrschen das schwarzlackierte Armaturenbrett. Zwischen den Sitzen ragt der schlanke Schaltknüppel auf – die meisten zeitgenössischen Mercedes verfügen noch über Lenkradschaltung. Weitere Besonderheit: das klappbare Lenkrad; es erleichtert dem Fahrer zumindest etwas, sich zwischen Sitz und Pedalerie einzusortieren. Fahrer Böcklen und Copilot Kirchner versinken in den weich gepolsterten Ledersitzen. Gurte? Fehlanzeige – es gibt auch wenig zum Festhalten; nur den Griff im breiten Armausschnitt.

Das Heck tänzelt und rutscht weg

Dabei könnte Beifahrer Kirchner etwas Halt gut gebrauchen, denn der 215 PS starke Sportwagen liebt Kurven. Von einem Könner wie Ralph Böcklen bewegt, ist der in den USA als „Gullwing“ (übersetzt „Möwenschwinge“) bekannte SL selbst aus heutiger Sicht noch schnell. Und er ähnelt in seinen Eigenarten den frühen Porsche 911, verzeiht weder zu zackiges Abbiegen noch unüberlegtes Gasgeben im Scheitelpunkt – dann tänzelt das Heck und rutscht weg.

Auf der Geraden jedoch lässt Böcklen den Wagen laufen, gönnt dem Reihensechszylinder die hohen Drehzahlen, die er liebt. Ab 4000 Umdrehungen pro Minute setzt deutlicher Schub ein; der Dreiliter-Direkteinspritzer unter der flachen Haube grollt ohrenbetäubend aus den Ansaugkanälen und faucht aus dem kaum gedämmten Auspuff. „Bei der Entwicklung ging es ausschließlich um Effizienz. Der SL sollte so leicht und schnell wie möglich sein“, erklärt Böcklen. So verzichteten die Ingenieure eben auch auf Dämmmaterial. Zu jeder Zeit spüren die Insassen, und so auch Kirchner: Der SL lebt, er keucht und arbeitet.

Ans Bremsen muss sich der Fahrer erst gewöhnen, wie Böcklen demonstriert: „Hier: Ich bremse schon. Auf der ersten Hälfte des Pedalwegs passiert gar nichts. Jetzt! Diese vier bis fünf Millimeter nutze ich.“ Der Flügeltürer wird langsamer und kommt zum Stehen. Spritztour-Gewinner Kirchner strahlt. „Das ist schon toll, ein faszinierendes Auto.“ Und selten. Von 1954 bis 1957 wurden gerade einmal 1400 Stück gebaut.

Heute kostet der Flügeltürer circa 1,5 Millionen Euro

Und wie damals ist es ein Auto für die Reichen. Seinerzeit kostete es 29 000 Euro. Bis heute hat es „eine gigantische Wertentwicklung“ gegeben, sagt die Museumssprecherin: Je nach Zustand muss man für den Flügeltürer zwischen einer und 1,5 Millionen Euro hinlegen. Normalverdiener können den Sportwagen etwa über Mydays.de für rund 200 Euro eine halbe Stunde lang mit Instruktor fahren. So ist das mit Träumen.

Hintergrund:

Bis 6. September bietet das Mercedes-Benz Museum mit Cars & Coffee Autofans und Besitzern von Klassikern jeden Sonntag zwischen 9 und 14 Uhr auf dem Hügel vor dem Museum einen Treffpunkt. Erstmals ist die Veranstaltung markenoffen.

Am Sonntag, 9. August, haben Interessenten bei einem Gewinnspiel vor Ort die Möglichkeit, einen „Führerschein“ im Motorpatentwagen zu gewinnen. Es handelt sich dabei um eine Replika des ersten von Carl Benz gebauten Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Der Gewinner wird bis 12.30 Uhr ermittelt; je nach Wetter findet die Prüfung sofort oder zu einem anderen Zeitpunkt statt. Nach einer kleinen Einführung darf der Gewinner eine Runde in dem Wagen drehen und erhält im Anschluss ein Zertifikat, das wie die alten Führerscheine aussieht. (bs)