Juli 2015: Der iranische Außenminister freut sich, dass das Atom-Abkommen fast perfekt ist. Für die Menschenrechte bringt es nichts, monieren Kritiker. Foto: dpa

Atomabkommen im Iran, USA-Annäherung mit Kuba: Über die diplomatischen Erfolge freuen sich viele Politiker – aber nicht Martin Lessenthin. Den Menschen vor Ort bringe es wenig, sagt der Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechtechte im Interview.

Herr Lessenthin, mit dem Iran gibt es ein historisches Atom-Abkommen. Die USA und Kuba nähern sich einander nach Jahrzehnten des Embargos. Über die diplomatischen Erfolge freuen sich viele Politiker – Sie auch?
Prinzipiell sind diese Annäherungen aus menschenrechtlicher Sicht zu begrüßen. Aber, was ich ganz deutlich sagen will: Das alles hat keine unmittelbare Auswirkung auf die Menschenrechte vor Ort. Der Iran richtet gemessen an der Bevölkerungsgröße weltweit die meisten Menschen hin. 2014 waren es laut einem UN-Bericht 753 an der Zahl, und wegen des Atomabkommens werden es nicht weniger werden. Im Gegenteil: Die Zahl der Hinrichtungen stieg während der Atomverhandlungen weiter. In Kuba wird keiner Oppositionspartei wegen der neuen Beziehungen zu den USA die Arbeit erlaubt. Wir befürchten eher eine Verschlechterung der Situation.
Warum?
Weil die positiven Nachrichten im Bezug auf diese Länder die Menschenrechtssituation in beiden Ländern überstrahlen. Wenn es Verbesserungen zu geben scheint, muss man genau hinsehen: Zwar wurden in Kuba im Januar 31 politische Gefangene freigelassen – aber es gab auch neun neue Verhaftungen.
Anfang der Woche war Landeswirtschaftsminister Nils Schmidt mit einer Delegation im Iran. Maschinenbauer hoffen auf neuen Absatz. Eine Reporterin dieser Zeitung ist mitgefahren. Finden Sie die Reise falsch?
Nein. Wir wollen aber nicht, dass Unternehmen sich moralisch frei kaufen, indem sie sagen: ‚Wir schaffen dort Arbeitsplätze’. Wir fordern beides: Austausch ist gut, aber wo immer zum Beispiel unser Außenminister hinfährt, soll er Freigelassene mitbringen. Wirtschaftsdelegationen rate ich: Gehen Sie im Iran in ein Gefängnis, um die verheerenden Bedingungen dort zu sehen. Das Atomabkommen ist im Prinzip gut – aber die Menschenrechte hätten Teil der Verhandlungen sein müssen. Wegen der Angst vor atomarer Bedrohung werden andere Probleme beiseite geschoben.
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte gibt es seit 1972. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Unsere zentrale Aufgabe: Wir betreuen politische Gefangene im Ausland. ZumBeispiel machen wir Gefangene in denMedien bekannt. Bekanntheit ist nämlich der beste Schutz: Wenn jemand bekannt ist, kann man ihn nicht so einfach verschwinden lassen. Außerdem haben wir ein politisches Patenschaftsprogramm für politisch Gefangene.
Was machen Paten für politische Gefangene?
Politiker nutzen Ihre Bekanntheit für die Freilassung der Gefangenen. Sie sprechen mit Botschaftern und in den Medien. Für den Iran haben wir derzeit 76 Paten, für Kuba 62. Die Paten stammen aus allen Parteien.
Auch aus der Linkspartei? Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte stand in der Kritik, antisozialistischen Regimes nahezustehen.
Diese Vorwürfe stimmen nicht. Nach unserer Gründung 1972 hatten wir einen Fokus auf Menschenrechtsverletzungen in der DDR und der Sowjetunion. In der DDR haben wir über 25000 Personen betreut, davon über 2200 politische Gefangene. Deshalb wurden wir als staatsfeindlich eingestuft und von der Stasi durch bewusste Falschinformationen bekämpft. Unabhängig davon finden wir heute in der Linkspartei kaum jemanden, den wir als Paten für politische Gefangene geeignet sähen. Wie soll die Linkspartei die moralische Kraft einsetzen, die ein politischer Gefangener braucht, solange sie nicht bereit ist, die Menschenrechtsverstöße der DDR ganz grundsätzlich zu verurteilen?
Welchen Einfluss haben Touristen? Die Zahl der Reisenden in den Iran nimmt zu.
Ich bin gegen Boykotte. Touristen bewirken zumindest, dass Informationen ins Land gelangen und politische Lügen entlarvt werden. Ein Beispiel: Die Dauermasche von Fidel und Raul Castro ist: `Wegen des Embargos der USA kriegen unser Bürger keine Medikamente’. Aber das ist Blödsinn. Das Embargo hat finanzielle und technologische Auswirkungen. Aber keine Tablette fehlt in Kuba, weil es das Embargo gibt. Wenn Menschen aus dem Ausland kommen, gibt es darüber vielleicht mit den Einheimischen Gespräche.

Stuttgart -

Zur Person -

Martin Lessenthin ist Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte

Die Nichtregierungsorganisation wurde 1972 gegründet und setzt sich für die Wahrung der Menschenrechte ein.

In Deutschland hat die Organisation 3000 Mitglieder, weltweit 26 Sektionen.