Amanda Knox (hier in einem Archivbild 2008) bekommt eine Entschädigung. Foto: AP

Italien muss der ehemals wegen Mordes verurteilten Amerikanerin eine Entschädigung bezahlen. Was vor mehr als elf Jahren in Perugia geschah, bleibt weiter rätselhaft.

Straßburg - Darüber, was genau am Abend des 1. November 2007 in der Via della Pergola geschehen war, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht befunden, als er am Donnerstag sein Urteil verkündete. Vor mehr als elf Jahren war die britische Austauschstudentin Meredith Kercher unter dieser Adresse im italienischen Perugia tot aufgefunden worden. In der Folgezeit entwickelte sich eines der größten Justizdramen der italienischen Neuzeit. In den Hauptrollen ein Staatsanwalt, der in seiner Anklage von einem „satanischen Ritus“ und „dämonischen Motiven „ sprach und eine Angeklagte, die von den Medien mit dem Attribut „Engel mit Eisaugen“ bedacht wurde: Amanda Knox.

Amanda Knox, die damals 20-jährige Austauschstudentin aus Seattle, hat wie wohl kaum ein zweiter Mensch die Hoffnungen und das Leid erlebt, die der gerichtliche Instanzenzug bieten kann. Im Dezember 2009 wurde sie in Italien für den Mord an ihrer damaligen WG-Mitbewohnerin verurteilt, die halb nackt, vergewaltigt und mit durchschnittener Kehle gefunden worden war. Knox verbrachte vier Jahre in einem italienischen Gefängnis, ehe ein Berufungsgericht sie freisprach. Doch auch der Freispruch wurde wieder aufgehoben, im Januar 2014 wurde Knox erneut wegen Mordes zu einer Haftstrafe von mehr als 28 Jahren verurteilt – die 14 Monate später vom obersten Gerichtshof Italiens wieder zurückgenommen wurden. Was blieb war eine dreijährige Freiheitsstrafe wegen Verleumdung eines Dritten, den Mord begangen zu haben. Völlig abgeschlossen war der Fall bis Donnerstag juristisch gleichwohl nicht: Amanda Knox hatte sich stets über das Verhalten der italienischen Polizei und Behörden beklagt – und nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zumindest teilweise Recht bekommen.

Der Gerichtshof hat Italien nun dazu verurteilt, 10 400 Euro als eine Art Schmerzensgeld an Amanda Knox zu bezahlen. Die italienischen Behörden hätten bei der Befragung von Knox mehrere Menschenrechte verletzt. So sei man nicht den Anschuldigungen der US-Amerikanerin nachgegangen, von der Polizei geschlagen und unter Druck gesetzt worden zu sein, hieß es. Außerdem habe Italien nicht zufriedenstellend begründet, warum Knox im Jahr 2007 bei einem wichtigen Polizeiverhör keinen Anwalt gestellt bekommen habe. Damit habe Italien gegen das Recht auf ein faires Verfahren sowie gegen das Misshandlungsverbot verstoßen, begründeten die Straßburger Richter ihr Urteil. Neben dem Schmerzensgeld stehen Knox weitere 8000 Euro an Auslagen zu.

Ob die Ereignisse in der Novembernacht 2007 ein Sexualverbrechen waren, ein Raubmord oder ein Streit, der eskaliert war, das bleibt nach wie vor offen. Amanda Knox selbst hat in ihrem 2013 erschienenen Buch „Zeit, gehört zu werden“ wie schon vor Gericht ihre Unschuld beteuert. Es ist nur eines von zahlreichen Werken, in denen über die Vorkommnisse im umbrischen Perugia spekuliert wird. Auch der Vater der ermordeten jungen Frau hat zur Schreibmaschine gegriffen („Der Mord an unserer Tochter und die herzzerreißende Suche nach der Wahrheit“), mehrere Krimiautoren ebenso. Der Streamingdienst Netflix hat eine – von vielen Kritikern hoch gelobte – Dokumentation über den Fall erstellt, ein Spielfilm istin den Kinos erschienen. Gleichwohl bleiben viele Fragen bis heute ungeklärt.

Vergleichsweise zügig wird sich hingegen klären lassen, ob die Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tatsächlich das letzte juristische Kapitel in der Causa Amanda Knox gewesen ist. Die italienische Regierung hat drei Monate Zeit, Einspruch gegen das Urteil einzulegen. In diesem Fall ginge es in Straßburg weiter.