Neue politische Heimat: Melis Sekmen und CDU-Chef Friedrich Merz. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Melis Sekmen ist Anfang Juli von den Grünen zur CDU gewechselt. Die Politikerin berichtet von Schubladendenken, ihrer Enttäuschung über Ministerpräsident Kretschmann – und einer unschönen Nachricht. Die Grünen wehren sich.

Diese eine Nachricht hat Melis Sekmen vielleicht noch einmal verdeutlicht, dass ihr Parteiwechsel wohl die richtige Entscheidung war. Von den Grünen zur CDU – einen Schritt, den die Mannheimer Politikerin und Bundestagsabgeordnete Anfang Juli bekannt gegeben hat. Eineinhalb Monate später berichtet sie im Gespräch mit unserer Zeitung von jener Nachricht, die sie als Rückmeldung auf ihren Wechsel erhalten hatte.

 

„Menschen nicht nach ‚sogenannten’ Vielfaltskriterien bewerten“

Eine nun Ex-Parteikollegin schrieb ihr: „Wie kann man als Migrant*innen-Kind der Partei so schaden?“ Sekmen kann darüber nur den Kopf schütteln: „Das ist ein interessantes Menschenbild, das man in mir und den Personen mit ähnlichem Hintergrund sieht.“ So spreche man Menschen Kompetenzen ab, respektlos sei das, echauffiert sich die 30-Jährige mit türkischen Wurzeln, die in Mannheim aufgewachsen ist. Dort, wo ihre Eltern heute noch leben – und wo Melis Sekmen ihren Wahlkreis hat. „Ich bin“, sagt Sekmen, „an erster Stelle Mannheimerin.“

In der Großstadt im Nordwesten Baden-Württembergs hat die junge Politikerin den Aufstieg mehrerer Mannheimer mit Migrationsgeschichte miterlebt, unter anderem den des bekannten Comedian Bülent Ceylan. Diese und weitere Aufstiegsgeschichten sowie ihre eigene Karriere hätten ihr deutlich gemacht: Es ist egal, woher jemand kommt. Was zählt sei: wohin jemand will. Bei den Grünen aber habe sie immer wieder der Fokus auf die Herkunft gestört. Heute sagt Sekmen in ihrer neuen Rolle als CDU-Politikerin: „Wir sollten Menschen nicht nach ‚sogenannten’ Vielfaltskriterien bewerten, sondern nach ihrem Tun und ihren Werten.“

Sekmen möchte auch „unbequeme Themen“ benennen können

Es sind Themen wie diese, die Sekmen allmählich von den Grünen entfremdet hat. Themen, die sie seit Dezember vergangenen Jahres immer wieder zur Frage bringen: Möchte sie weiter Politik für die Grünen machen? „Ich kann keine Meinungen vertreten, für die ich nicht stehe“, sagt sie heute und nennt Positionen der Grünen in der Migrations -oder Wirtschaftspolitik.

„Ich möchte auch unbequeme Themen benennen können, auch wenn sie nicht in die politische Erzählung der Partei passen – ohne in eine Schublade gesteckt zu werden“, sagt die 30-Jährige. Bei der CDU sei das möglich. „Das sollte aber auch in unserer Gesellschaft möglich sein“, so Sekmen. Sie habe etwa den großen Flüchtlingsstrom 2015 als Kommunalpolitikerin in Mannheim miterlebt und wisse, was das für die Menschen vor Ort bedeutet habe. „Das hat Spuren hinterlassen, ein zweites Mal wäre eine Zumutung“, sagt sie. Migration müsse man steuern.

Kretschmann hätte einfach mal zum Hörer greifen können“

13 Jahre hat Sekmen der Partei die Treue gehalten, 2021 holte sie das beste Erststimmenergebnis, das die Grünen in Mannheim je erzielt haben, über die Landesliste der Partei schaffte die junge Politikerin den Sprung nach Berlin, weshalb einige Grüne nach Sekmens Wechsel das Mandat zurückforderten. Die Mannheimerin hat sich im Laufe der Zeit verändert, auch die Grünen hätten sich verändert, sagt sie.

Die Entscheidung für die Trennung habe sie sich alles andere als einfach gemacht, viele Gespräche geführt, mit grünen Fraktionskollegen im Bundestag sowie mit Landespolitikern der Partei. Auch mit einem der einflussreichsten und bekanntesten Grünen, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wollte sie sprechen, ihn um seine Einschätzung bitten. Doch dazu kam es nicht.

Der Landesvater sah bei der Gesprächsanfrage im April keinen Bedarf – und legte später in der Landespressekonferenz nach. „So jemanden würde ich mit spitzen Fingern anfassen“, sagte Kretschmann nach der Verkündigung von Sekmens Wechsel zur CDU. Der Satz in aller Öffentlichkeit hat die 30-Jährige getroffen: „Dass er mich persönlich angeht, das fand ich daneben. Er hätte einfach mal zum Hörer greifen können“, sagt Sekmen. Eine Stilfrage sei das.

Bei den Grünen habe es Zweifel an Sekmens Zuverlässigkeit gegeben

Die Grünen wollen Sekmens Vorwürfe eines „Schubladendenkens“ innerhalb der Partei nicht auf sich sitzen lassen. „Es liegt in der DNA unserer Partei, eine offene Debattenkultur zu pflegen – dazu gehört es natürlich immer, auch Kompromisse einzugehen“, sagt Tamara Beckh, die Sprecherin des Mannheimer Grünen-Kreisverbands. Melis Sekmen habe ihre nun angesprochenen Themen zu Migration und Wirtschaft nicht „in den basisdemokratischen Prozess“ eingebracht, etwa durch Anträge auf Parteitagen.

Aus Reihen der Grünen-Bundestagsfraktion ist der Vorwurf zu hören, Sekmen verfolge mit ihrem Wechsel zur CDU vor allem eigene Interessen, um auch für die nächste Legislaturperiode ihren Platz im Bundestag zu sichern. Denn bei den Grünen sei ein attraktiver Listenplatz nicht garantiert gewesen, heißt es. Es habe Zweifel an Sekmens Zuverlässigkeit gegeben, zudem habe sie ihre politischen Forderungen oft nicht mit Leben gefüllt und sich immer wieder in die Opferrolle begeben.

„Nicht in den ideologie-geladenen Diskussionen aufreiben lassen“

Sekmen wehrt sich gegen das Bild des angeblich strategischen Parteiwechsels: „Ich bin damit nicht den einfachen Weg gegangen, ich hätte auch eine Maske überziehen und etwas vorspielen können, aber das wäre den Menschen gegenüber nicht ehrlich gewesen“, sagt sie. Auch bei der CDU wisse sie nicht, ob sie 2025 wieder in den Bundestag gewählt werde.

Doch warum hat sie nicht versucht, für ihre Überzeugungen innerhalb der Grünen einzutreten? So hatte es auch Kretschmann nach Sekmens Wechsel angemahnt. Die 30-Jährige sah darin keine Option mehr. „Ich wollte mich nicht in den ideologie-geladenen Diskussionen aufreiben lassen, sondern inhaltlich vorankommen, gerade bei Positionen, die für mich selbstverständlich sind“, sagt sie.

Sekmen sieht in ihrem Wechsel von Grün zu Schwarz keine 180-Grad-Wende

Immer wieder seien ihr bei den Grünen Steine in den Weg gelegt, ihr politischer Gestaltungsraum eingeschränkt worden, erzählt sie. Bei den Christdemokraten sieht sie hingegen eher die Chance, ihre Ideen voranzutreiben: Die Vernetzung zwischen Ökologie und Ökonomie ist Sekmen wichtig – für eine erfolgreiche Transformation der Wirtschaft. Dafür habe sie 2017 ein Innovationszentrum für Greentech initiiert. „Doch wir brauchen die richtigen Rahmenbedingungen, die an der Praxis orientiert sind “, sagt sie.

Steuerentlastungen, Bürokratieabbau bei Unternehmensgründungen, wie man Menschen davon überzeugt, in Deutschland zu investieren – und wie der Vermögensaufbau bei kleinen und mittleren Haushalten gelingen kann. „Warum diskutieren wir nicht über so etwas?“, fragt sie. Eine 180-Grad-Wende sieht sie in ihrem Wechsel nicht, schließlich komme sie aus einem grün-schwarzen Landesverband. Und von ihrer grünen DNA ist ja immer noch was übrig. Trotz der Vorwürfe gehe sie im Guten, sagt Sekmen, der Abschied von den Grünen „tat auch weh“. Es sei wie eine Trennung mit unterschiedlichen Phasen. „Ich habe diese hinter mir.“