Muhammad-Karikaturen lösten 2005 eine Welle der Empörung in der islamischen Welt aus. Foto: Scanpix_Denmark

„Einen schwarzen Tag für die Pressefreiheit“ nannten viele Medien den Anschlag von Paris. Dabei gilt sie vor europäischen Gerichten als eines der höchsten Güter. Gefahr droht ihr anderswo.

Berlin/Stuttgart - War die Welt noch in Ordnung, als Kurt Tucholsky 1919 seinen legendären Satz formulierte: „Was darf die Satire? Alles.“ Der blutige Anschlag auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ mit seinen zwölf Opfern spricht eine andere Sprache. Auch in Deutschland ist eine Diskussion über die Freiheit von Wort und Bild, von Spott und Parodie entbrannt.

„Wenn wir unsere Pressefreiheit verteidigen wollen, dann dürfen wir uns nicht ducken“, warnt die Chefin des Satiricums im thüringischen Greiz, Eva-Maria Máriássy. Und der Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“, Tim Wolff, formuliert es noch drastischer. „Satire ist ein Menschenrecht, ein Grundrecht, und alle Menschen haben ein Recht darauf, verarscht zu werden“, sagte er der Deutschen Welle.

Der Leiter des Deutschen Kabarettarchivs in Mainz, Jürgen Kessler, sieht klare Grenzen: „Pure Herabsetzung und die Verletzung der menschlichen Würde sind für mich schlechte Satire.“

Was genau Satire eigentlich ist und wo sie ihre Grenzen findet, ist umstritten und muss oft im Einzelfall vor Gericht geklärt werden. Eine Definition sucht man in deutschen Gesetzeswerken vergeblich, wie der Tübinger Rechtsprofessor Norbert Flechsig sagt.

„Die höchsten deutschen Gerichte haben Übertreibung und Spott als Wesensmerkmale der Satire benannt“, sagt Flechsig. „Deswegen sind die Grenzen des guten Geschmacks hier nicht relevant.“ Die Absicht, Missstände zu kritisieren, gehöre aber genauso zum Wesen der Satire: „Wenn eine Karikatur das nicht erfüllt, hat sie schlechte Chancen, als Satire durchzugehen“, sagt der Medienrechtler.

Entscheidend für eine rechtliche Bewertung von Satire ist die Frage, ob sie als Kunst oder als Meinungsäußerung gilt. Der Unterschied ist, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenzen in einfachen Gesetzen findet, wie sie im Strafgesetzbuch stehen. Der Tatbestand der Beleidigung kann hier schon dazu führen, dass eine Publikation gerichtlich unterbunden wird. Im Falle der Mohammed-Karikaturen könnte auch der sogenannte Blasphemie-Paragraf des Strafgesetzbuchs einschlägig sein. Er wird aber äußerst selten angewandt, weil die Meinungsfreiheit von den Gerichten als zu wichtig eingestuft wird und er internationalen Abkommen zuwiderläuft. Laut Blasphemieparagrafen ist es verboten, Religionen zu beschimpfen, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird. Das sei aber nicht gegeben, wenn selbst ernannte Hüter einer Religion meinen, Rache für angebliche Beleidigungen nehmen zu müssen, sondern wenn die Satire selbst ein Aufruf zur Gewalt sei, meint Flechsig.

Versteht man Satire als Form der Kunst, sind es nur die Grundrechte mit Verfassungsrang, die eine Veröffentlichung verbieten könnten. Zum Beispiel die Religionsfreiheit. Ob sie durch eine Karikatur eingeschränkt wird, muss im Einzelfall entschieden werden. Die Anforderungen sind hoch. Und grundsätzlich haben Religionen keinen Anspruch darauf, von Satire verschont zu bleiben. „Charlie Hebdo“ setzt sich auffallend häufig mit religiösen Themen auseinander - bissiger und böser als viele andere. Schon 2011 verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume in Paris, nachdem das Blatt zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien eine Sonderausgabe mit einem „Chefredakteur Mohammed“ herausgebracht hatte.

Dass gerade Satire und Religion leicht in Spannung geraten, haben Künstler immer wieder erfahren. Traurige Höhepunkte waren die Anschläge auf Medienschaffende wie die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh 2004. Der deutsche Karikaturist Klaus Staeck, bekannt für seine politischen Poster, hält bei religiösen Themen eine besondere Sensibilität für erforderlich. Dennoch dürften auch sie nicht dem Meinungsstreit entzogen werden, sagte er.

Eine Gefahr droht der Meinungsfreiheit vor allem durch die Selbstzensur der Journalisten aus Angst vor Repressionen. Der Berliner Karikaturist Klaus Stuttmann spricht von einer „Schere im Kopf.“

Angesichts der zwölf Toten in Paris behielt nur der Berufsspotter Martin Sonneborn, der als Spitzenkandidat der Satirepartei „Die Partei“ ins Europaparlament eingezogen ist, sein böses Mundwerk. „Bei ‚Titanic‘ könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur sechs Redakteure.“ Und da ist sie gleich wieder, die Frage: Darf Satire das?