„Keine Ideologie, keine Überzeugung kann für sich in Anspruch nehmen, über dem Gesetz zu stehen“, sagte Wolfgang Kubicki, FDP. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

In kontroverser Debatte über Meinungsfreiheit ziehen die Parlamentarier die Grenzen unterschiedlich.

Berlin - Es gibt allen Anlass, im Bundestag über Meinungsfreiheit zu diskutieren – da sind sich die Parlamentarier am Mittwochnachmittag ausnahmsweise mal über alle Parteigrenzen hinweg einig. Aber damit hört es dann auch schon auf. In der aktuellen Stunde zum Thema, welche die FDP-Fraktion beantragt hat, können die Abgeordneten sich nicht einmal einhellig auf die Definition des Begriffes verständigen.

Dabei sind gerade in den vergangenen Tagen zwei Vertreter des Parlaments in die Situation geraten, am freien Sprechen gehindert zu werden. Eine Lesung Thomas de Maizières aus dessen neuem Buch wurde bei einem Göttinger Festival von vermummten Linken blockiert, der Veranstalter sogar körperlich angegangen, ähnlich wie kurz zuvor der ehemalige AfD-Chef Bernd Lucke. Und FDP-Chef Christian Lindner klagt über eingeschränkte Meinungsfreiheit, weil er bei liberalen Studenten an der Uni Hamburg nicht sprechen durfte. Schon die beiden Fälle liegen sehr unterschiedlich – während es im Fall de Maizières radikale Blockierer waren, hatte Lindner schlicht die Hausordnung der Uni gegen sich, die keine solchen politischen Auftritte zulässt. Auch letzteres könnte man grundsätzlich kritisieren, allein: Lindner ist in der von seiner Fraktion beantragten Debatte gar nicht erst anwesend. Für seine Fraktion eröffnet der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki die Debatte. „Keine Ideologie, keine Überzeugung kann für sich in Anspruch nehmen, über dem Gesetz zu stehen“, sagt er. Auch die Grüne Manuela Rottmann verurteilt die Blockade als „anmaßend und dumm“.

Durch Beleidigungen und Bedrohungen „mundtot“ gemacht?

Maizière dagegen spricht, „nicht zuerst als Betroffener“, sondern für alle, denen es genau so ging, wie er sagt. Meinungsfreiheit sei keine Forderung nach links oder rechts, betont der ehemalige Innenminister. „Zur Meinungsfreiheit gehört, dass ein umstrittener Professor eine Rede halten kann, dass ein Verlag, dessen Programm mir überhaupt nicht gefällt, einen angemessenen Platz auf der Buchmesse bekommt.“

Die meisten anderen Redner geben ihrer Sorge in zwei Richtungen Ausdruck: Da ist zum einen der wachsende Druck – nicht nur auf Politiker, sondern auch auf ganz normale Nutzer des Internet, die durch Beleidigungen und Bedrohungen „mundtot“ gemacht werden sollten, wie Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) sagt. Und da sind zum anderen Meinungsumfragen, in denen eine satte Mehrheit sagt, sie traue sich nicht immer, frei ihre Meinung zu äußern.

Freiheit, seine Meinung zu äußern, ist ein Bürgerrecht

Das sind zwei sehr unterschiedliche Problemfelder – und sie treffen in der Debatte auf sehr unterschiedliche Weltbilder. Es sind die Redner der AfD, die sich weniger um Hassreden im Internet scheren als um ihre Sicht, wonach sich „die bleierne Decke der politischen Korrektheit“ über das Land gelegt habe, wie der Parlamentarier Marc Jongen behauptet. Und sein Kollege Martin Reichardt konstatiert einen „Verlust der Meinungsfreiheit“, weshalb er die Vertreter von SPD, Linken und Grünen als „Gesinnungstotalitaristen“ bezeichnet.

Die SPD-Abgeordneten Saskia Esken und Barbara Hendricks versuchen es mit Sachlichkeit: Esken verweist darauf, dass die Freiheit, seine Meinung zu äußern, ein Bürgerrecht ist, das der Staat beschützt – für das es aber auch Grenzen gibt. Ein Maulkorb zähle nicht dazu, aber Beleidigung oder Volksverhetzung. Hendricks betonte: „Genauso wie wir die teils unerträglichen Aussagen der AfD ertragen müssen, werden Sie diesen Widerspruch ertragen müssen.“ Und: „Es gibt nicht die Freiheit, unwidersprochen nationalistische Hetze zu verbreiten.“