Unser Kolumnist verfolgt das Mitgliedervotum der SPD mit Interesse. Foto: dpa

In Deutschland kann man offen seine politische Meinung kund tun, die SPD-Mitglieder dürfen sogar über die Große Koalition abstimmen – eine große Errungenschaft, meint unser Kolumnist. Er ist in Syrien nicht zur Wahl gegangen, trotz der gravierenden Folgen.

Stuttgart - Vor ein paar Wochen wurde ich eingeladen, vor jungen politisch interessierten Menschen einen Vortrag über Syrien zu halten. Auf dem Weg dorthin fragte mich ein Freund, welche Partei ich in meiner alten Heimat gewählt habe. Zuerst war ich verwundert über diese Frage, später in der Diskussion nach meinem Vortrag kam sie wieder auf. Und mir wurde klar, dass ist keine dumme Frage: Vor dem Krieg haben sich nur wenige Deutsche mit Syrien beschäftigt, ich denke, die wenigsten kannten Syrer persönlich.

Seitdem Krieg in meinem Geburtsland herrscht, sieht man in den Nachrichten fast täglich Bilder von Syrien. Man sieht ein zerstörtes Land in chaotischen Verhältnissen. Jeder kennt den Namen Assad, und dass in Syrien keine Demokratie herrscht, wissen nicht nur politisch Interessierte. Seit wann es aber die Baath Partei gibt, ob sie gewählt wurde und wie das politische Leben vor dem Krieg war, das wissen die Wenigsten.

Es herrscht das Einparteiensystem

In Deutschland einem jungen Wähler die Frage zu stellen, für welche Partei er sich stark macht, ist logisch und legitim. Die demokratische Vielfalt bietet eine breite Wahlfreiheit. Wer in Syrien das Gleiche tut, kann als Verschwörer im Gefängnis landen. In Deutschland dagegen können die SPD-Mitglieder sogar (noch bis diesen Sonntag) für oder gegen die Große Koalition abstimmen.

Seit meiner Geburt in Syrien waren meine Augen auf eine einzige Partei gerichtet – nicht, weil meine Eltern oder später ich begeisterte Anhänger dieser Partei gewesen wären, sondern weil wir schlicht keine Alternative hatten und haben durften. Es herrscht das Einparteiensystem.

1947 wurde die Baath-Partei gegründet, 1963 übernahm sie nach einem Putsch unter Bashar al Assads Vater und einigen seiner Kameraden die Macht. Nach dem Tod seines Vaters wurde Bashar al Assad mit 34 Jahren im Jahr 2000 an die Spitze der Partei gesetzt. Für ihn wurde das Grundgesetz geändert, nach dem man eigentlich erst ab dem 40. Lebensjahr zum Präsidenten ernannt werden konnte.

Ausspioniert von Kommilitonen

So genannte Wahlen gibt es alle sieben Jahre in Syrien, zu der jeder Bürger ab 18 aufgerufen wird. Auf dem Wahlzettel hat jeder Syrer die Möglichkeit, ein Kreuz zu setzen, die einzige Frage dazu lautet: Bist du für oder gegen Bashar al Assad. Offiziell sind die Wahlen freiwillig, inoffiziell ist aber jeder gut beraten, seine Stimme abzugeben, um keine Probleme zu bekommen.

Ich bin nicht zur Wahl gegangen. Gute Jobs als Journalist habe ich dadurch nie bekommen. Wer in Syrien Karriere machen will, tritt der Baath-Partei bei, das betrifft alle Berufe und alle sozialen Schichten. Wer kein Mitglied ist, hat es schwer, beruflich voran zu kommen und wird nicht selten vom Geheimdienst beobachtet.

Schon während meiner Schulzeit war die Partei präsent, denn ich musste jedes Jahr zu Schulbeginn Gebühren für sie zahlen, ich hatte gar keine andere Wahl.

In der Uni wurde ich mit Hilfe von Studenten, die Baath Partei-Mitglieder waren, ausspioniert und letztendlich auch festgenommen. Ich bin sehr froh, in einem demokratischen Land Schutz gefunden zu haben und frei und ohne Angst über Politik diskutieren zu können.

Zur Person