Eigentlich ist Alkohol für gläubige Muslime tabu. Foto: dpa-Zentralbild

Warum trinken Flüchtlinge, obwohl ihr Glaube es ihnen eigentlich verbietet? Dieser Frage geht unser Kolumnist Mohamad Alsheikh Ali nach. Er hat mit Abu Ali aus Syrien gesprochen, der als Flüchtling ein Alkoholproblem bekommen hat.

Stuttgart - Ich will heute die Geschichte von Abu Ali erzählen. Jeden Tag, wenn die Sonne aufgeht, verlässt er seine Flüchtlingsunterkunft und läuft auf die Straße. Bei Sonnenuntergang kommt er zurück. Er ist immer betrunken und singt traurige Lieder. Ich wollte wissen, was dahinter steckt. Wie kommt es, dass er so viel Alkohol trinkt, obwohl ihm das sein Glauben doch verbietet.

Die erste halbe Stunde hat er kein Wort gesprochen. Dann hat er den Namen Rima geschrien. Er wolle sie umarmen, ihre Stimme hören, ihr Gesicht sehen. Abu Ali ist ein Flüchtling aus der schweigenden Welt, wie wir unser Heimatland Syrien nennen. Er ist 37 Jahre alt und stammt aus Addra. Das ist ein kleines Dorf zwischen Damaskus und Homs. Seit einem Jahr lebt er in Stuttgart. In Syrien hat er keinen Alkohol getrunken, aber hier, sagt er, braucht er ihn, um die Probleme zu vergessen. „Ich weiß, dass das keine Lösung ist. Aber der Alkohol ist meine Medizin.“

Rima ist neun Jahre alt und behindert

Rima, flüstert er, sei seine Tochter. Sie sei neun Jahre alt und behindert. „Als ich nach Deutschland geflohen bin, ging es mir nicht nur um mein Leben“, sagt Abu Ali mir. „Ich bin hergekommen, damit Rima behandelt werden kann.“ Zuerst ist er nach Ägypten geflohen, aber nach dem Militärputsch im Juli 2013 musste er das Land verlassen und in die Türkei fliegen. Inzwischen ist er als Flüchtling in Deutschland anerkannt. Drei Jahre darf er hier bleiben. Doch Abu Ali überlegt, nach Syrien zurückzukehren.

Er muss die ganze Zeit an seine Familie denken – und vor allem an Rima, die noch in Addra ist, wo es kein Krankenhaus gibt. Wegen des Krieges ist es schwer, die nächste Klinik in Damaskus zu erreichen. Wenn man durch kommt, dauert es immer noch ein bis zwei Stunden. Doch meistens sind die Straßen dicht. Abu Ali ist sich bewusst, dass ihm die Rückkehr sein Leben kosten kann. Aber er sieht keine andere Möglichkeit, weil er seine Familie nicht zu sich nach Stuttgart holen kann. Das hat vor allem praktische Gründe. Seine Angehörigen müssten für den Familiennachzug den Visumsantrag selbst in einer deutschen Botschaft oder in einem deutschen Konsulat im Ausland stellen. Die Botschaft in Damaskus ist aber geschlossen, sodass seine Frau und die drei Kinder Rima, Ahmad und Ali keine Chance haben auf ein Visum. Auch in der Türkei sollen die Wartezeiten teils mehr als ein Jahr betragen. „Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ihnen etwas passieren würde“, sagt Abu Ali.

Zur Person des Autors:

Mohamad Alsheikh Ali ist ein syrischer Journalist, der seit März 2015 als Flüchtling in Stuttgart lebt. Er blickt für unsere Zeitung auf sein Leben in Stuttgart. Die Übersetzung der Kolumne übernimmt Mahmoud Youssef Ali, ein syrischer Student aus Karlsruhe.