Oft sind die Notfallsanitäter schneller am Unfallort als der Notarzt. Was dann geschieht, spielt sich oft in einer rechtlichen Grauzone ab. Foto: dpa/Marcel Kusch

Sanitäter sind keine Ärzte, deshalb dürfen sie eigentlich keine invasiven Eingriffe vornehmen. Die Politik will Klarheit schaffen.

Berlin - Es sind Minuten, die über Leben und Tod entscheiden können. Wenn Menschen in einem medizinischen Extremfall umgehend lebensrettende medizinische Hilfe brauchen, dann sind es in der Regel Notfallsanitäter, die als erste am Ort des Geschehens eintreffen. Doch ausgerechnet das, was sich in diesen alles entscheidenden Augenblicken abspielt, geschieht in einer rechtlichen Grauzone. Wenn eilends der Brustkorb punktiert werden, bei Unterzuckerung eine Glukose-Spritze gesetzt oder ein Luftröhrenschnitt vorgenommen werden muss, dann ist ganz formal der Sanitäter gar nicht zuständig. Wer in Deutschland nicht Arzt oder Heilpraktiker ist, darf nicht heilkundlich tätig werden. Natürlich helfen die Notfallsanitäter dennoch. Sie können sich dann auf den „rechtfertigenden Notstand“ berufen. Rechtlich ist das heikel. Der setzt nämlich voraus, dass der Zustand des Patienten so bedrohlich ist, dass ein Warten auf das Eintreffen des Notarztes nicht möglich ist. Das ist im Nachhinein nicht immer eindeutig. Der Notfallsanitäter handelt also sehr oft unter einem gewissen Strafbarkeitsrisiko.

Der Bundesrat ist vorgeprescht

Das ist keine theoretische Erwägung. In einem Papier des Bayerischen Roten Kreuzes wird darauf hingewiesen, dass in diesem Bundesland „in 54 Prozent aller Fälle der Notarzt mehr als zwei Minuten später als der Rettungswagen mit dem Notfallsanitäter an der Einsatzstelle“ eintrifft. In jedem fünften Fall dauert diese Lücke länger als zehn Minuten. Die Politik will nun Klarheit schaffen. Die Notfallsanitäter bräuchten „Rechtssicherheit“, sagt die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther unserer Zeitung, „um eigenverantwortlich handeln und Leben retten zu können“. Die entsprechenden Kompetenzen werden ihnen längst im Rahmen der Ausbildung vermittelt. Dass derzeit zwischen einem potenziell rechtswidrigen Eingriff und einem potenziell rechtswidrigem Unterlassen abgewogen werden müsse, sei „ein unhaltbarer Zustand“. Über den richtigen Weg wird nun heftig gerungen.

Der Bundesrat hat einen von Rheinland-Pfalz, Bayern und Schleswig-Holstein eingebrachten Entwurf gebilligt. Er sieht vor, dass die Notfallsanitäter künftig grundsätzlich zu heilkundlichen Tätigkeiten berechtigt sind. Nun muss der Bundestag reagieren.

Die Ärzte befürchten Verlust von Kompetenzen

Der Beschluss der Länderkammer hat in der Ärzteschaft mächtig eingeschlagen. Dort befürchtet man seit längerem, eine schleichende Verlagerung ärztlicher Kompetenzen auf andere Heilberufe. Nicht ganz zu Unrecht. Tatsächlich tritt etwa die SPD-Gesundheitspolitikerin Bettina Müller dafür ein, bestimmte bislang Ärzten vorbehaltene Leistungen auch anderen Berufsgruppen zu übertragen, etwa in der Krankenpflege oder bei Physiotherapeuten. Das erklärt die Skepsis in der Ärzteschaft. So heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, die auch mit dem Berufsverband der Deutscher Chirurgen abgestimmt ist, dass eine Substitution ärztlicher Leistungen im Kontext einer Notfallsituation „zum Wohle und zum Schutz der erkrankten oder verletzten Patienten abgelehnt“ werde.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nun im Wege eines Formulierungsvorschlags seines Hauses an die Koalitionsfraktionen eine vermittelnde Position eingenommen. Sie sieht im Kern vor, dass den Rettungssanitätern keine eigenständige Heilkundekompetenz übertragen werden soll. Es soll aber jeweils auf Länderebene die Möglichkeit geschaffen werden, für besondere standardisierte Notfallsituationen per Delegation die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Notfallsanitäter vorzunehmen.

Spahns Vorschlag ist auch in der CDU umstritten

Dieser Vorschlag trifft aber auch in Spahns eigener Partei, der CDU, auf große Zurückhaltung. Er wird als wenig praxisnah angesehen. Es gebe „klare Tendenzen auch in der Union, dem Vorschlag des Bundesrates zu folgen“, sagt der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich. Man brauche eine Lösung, „die mehr Rechtssicherheit schafft und nicht neue Fragen aufwirft“. Er habe „Zweifel“ ob das Spahnsche Delegationsmodell die Rechtssicherheit herstelle. Die Delegation setze ja voraus, „dass der Arzt die Situation vor Ort kennt und dann klare Anweisungen erteilt“. Spahns Vorschlag verkompliziere die Lage, „weil sich dann der Rettungssanitäter rückversichern muss“. Genau das aber solle vermeiden werden. „Eigenständiges Durchführen heilkundlicher Maßnahmen muss in akuten Notfällen zur Lebensrettung oder –erhaltung in einem engen Rahmen möglich sein“, formuliert Hennrich das Ziel. Spahn hat inzwischen auf die Kritik reagiert, seine Vorschläge zurückgezogen und ein Fachgespräch in Aussicht gestellt.