Angehörige, die ältere Menschen pflegen, nehmen selten ambulante Hilfsangebote wie hier im Bild wahr. Foto: KNA/Harald Oppitz

Der Sozialverband VdK stellt eine Studie über die Situation von pflegenden Angehörigen vor. Zu 72 Prozent sind es Frauen. Aber die finanziellen Nachteile sind groß und Entlastungsangebote werden zum Teil gar nicht abgerufen.

In Baden-Württemberg werden 80 Prozent aller pflegebedürftigen Personen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt, das sind 378 000 Menschen. Doch obwohl die pflegenden Angehörigen – zu   Prozent sind es Frauen – einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten, konzentriert sich die Politik auf die stationäre Pflege und vergesse die daheim Pflegenden. Das ist die Kritik des Sozialverbandes VdK, der am Donnerstag in Stuttgart eine bundesweite Studie zur häuslichen Pflege vorstellte, die seiner Ansicht nach „massive Missstände“ enthüllt.

„Es ist die bislang größte Studie zur Nächstenpflege und sie zeigt, dass endlich etwas passieren muss, damit uns die häusliche Pflege nicht wegbricht“, sagte Hans-Josef Hotz, der VdK-Landesvorsitzende. Die Studie offenbare, dass bestehende Entlastungsangebote wie Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege oder Unterstützung im Haushalt bei den Betroffenen gar nicht ankommen: Durchschnittlich verfallen 80 Prozent der Leistungen ungenutzt. Schätzungen zufolge sparten die Pflegekassen so bundesweit mindestens zwölf Milliarden Euro jährlich ein.

Es gibt zu wenig Hilfsangebote vor Ort

Die Gründe dafür seien vielfältig, so Hotz: Teilweise stünden vor Ort gar keine entsprechenden Angebote zur Verfügung oder die bürokratischen Hürden und die Zuzahlungen seien zu hoch. „Um die Angehörigen bestmöglich zu unterstützen, müssen die Hilfen schnell zur Verfügung stehen und überhaupt da sein“, so Hotz, „unsere Studie hat ergeben, dass nur 23 Prozent der pflegenden Angehörigen im Südwesten den Entlastungsbetrag der Pflegekassen von 125 Euro pro Monat in Anspruch nehmen.“

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Das Angebot sei für eine Unterstützung im Alltag gedacht und soll besonders niederschwellig sein, aber das Gegenteil ist der Fall. Die landesrechtlichen Vorschriften für eine Anerkennung seien zu hoch, bemängelte Hotz: Der Entlastungsbetrag müsse unbürokratischer werden, auch müsse er für Hilfen von Nachbarn verwendet werden können, forderte Hotz: „So wie es derzeit noch befristet bis Ende Juni dieses Jahres aufgrund der Coronavirus-Pandemie möglich ist.“

VdK: Ein Budget für die pflegenden Angehörigen wäre wichtig

Vieles einfacher machen würde laut Sozialverband ein sogenanntes Nächstenpflege-Budget, in dem alle Leistungen gebündelt sind. So könne der Betroffene selbst entscheiden, für welche Entlastung er das Geld nutzen möchte. Als ein wichtiger Anlaufpunkt für pflegende Angehörige gelten die Pflegestützpunkte, weil sie neutral beraten und keine wirtschaftlichen Eigeninteressen vertreten. Da wo es eine Pflegeberatung gibt, so die Studie, werden auch mehr Entlastungsangebote genutzt. In Baden-Württemberg habe man in jedem Kreis einen Pflegestützpunkt, berichtet Hotz: „Aber das ist zu wenig. Wir fordern einen Pflegestützpunkt pro 20 000 Einwohner.“

Auch müsse die finanzielle Absicherung der Angehörigen besser werden, etwa durch eine regelmäßige Anpassung des Pflegegeldes und ein Rückkehrrecht in die Vollzeitarbeit. Denn laut der VdK-Studie, die die Hochschule Osnabrück erstellt hat, sind bundesweit 56 Prozent der pflegenden Angehörigen erwerbstätig. Die aktuellen Pflegezeitmodelle lösten das finanzielle Problem nicht, meinte Hotz, die seien völlig realitätsfremd: „Wer kann es sich auf Dauer leisten, einen Angehörigen zu pflegen und nicht mehr zu arbeiten? Wir brauchen für pflegende Angehörige eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung analog des Elterngeldes.“

Viele Angehörige arbeiten in Teilzeit

Eine große Zahl von pflegenden Angehörigen – in Baden-Württemberg sind es 52 Prozent – hat ihre Arbeitszeit reduziert, um pflegen zu können. Bei der Rente mache sich dies später bemerkbar, so Hotz. Rentenrechtlich werden viele pflegende Angehörige jedoch gar nicht berücksichtigt, da sie die aktuell geltenden Voraussetzungen nicht erfüllen. So erhalten bundesweit nur rund 894 000 pflegende Angehörige Rentenpunkte – davon sind 88 Prozent Frauen. Dabei gibt es in ganz Deutschland 3,3 Millionen Menschen, die ambulant versorgt werden.

Der VdK fordert daher mehr Rente für pflegende Angehörige, der Zugang müsse leichter werden: Zum Beispiel durch Rentenpunkte auch für den Pflegegrad eins – den niedrigsten Pflegegrad – sowie für pflegende Angehörige, die selbst schon in Rente sind. „Die Pflege von Angehörigen muss bei der Rente berücksichtigt werden – auch im Rentenalter. Jede fünfte Frau ist im Alter armutsgefährdet“, sagte Hotz. Wenn man deren Sorgeleistung stärker anrechne, sei das auch eine Vorsorge gegen Altersarmut.

Die Studie zeigt, dass die meisten Menschen in Deutschland zu Hause gepflegt werden wollen. Nur zehn Prozent können sich vorstellen, in einem Pflegeheim versorgt zu werden. Bei den Pflegebedürftigen sind es sogar nur 2,3 Prozent. Von den pflegenden Angehörigen sind 70 Prozent Ehepartner oder Lebensgefährten, 12,5 Prozent Sohn oder Tochter, 6,7 Prozent Vater oder Mutter. Mit der Kampagne #naechstenpflege will der VdK seine Forderungen publik machen.