Den würdevollen Umgang mit Flüchtlingen lässt sich die Stadt mehrere Millionen kosten, denn die Pauschalen vom Bund reichen dazu nicht aus. Darum begrüßen nicht nur diakonische Einrichtungen die höchstrichterliche Anordnung zur Erhöhung der Pauschale. Foto: dpa

Nach Urteil: Zuschussbedarf steigt um eine Million – CDU im Landtag will mehr Geld vom Integrationsministerium

Stuttgart - Stefan Spatz, im Sozialamt zuständig für das Thema Flüchtlinge, war am Mittwoch nicht im Büro. Er hätte sich vermutlich gefreut über das Karlsruher Urteil. Die Bundesverfassungsrichter befanden, dass Asylbewerber mit dem für sie zur Verfügung gestellten Geld nicht menschenwürdig leben können.

In der Vergangenheit hatte die Stuttgarter Sozialverwaltung mehrfach auf Schwachpunkte in der Asylgesetzgebung hingewiesen, unter anderem auf die langen Verfahrenswege, aber auch auf die finanzielle Ausstattung der Asylsuchenden. Viele der 746 Asylbewerbern, die zum Stichtag 30. Juni 2012 hier lebten, könnten sich noch nicht einmal Stadtbahnfahrten leisten, wenn die Stadt nicht einspringen würde.

Die Menschen leben in acht Wohnheimen und zahlreichen kleineren Wohneinheiten; für Familien und kranke Flüchtlinge hat die Stadt Wohnungen angemietet, und für unbegleitet reisende minderjährige Flüchtlinge werden Plätze in Kinder- und Jugendheimen frei gehalten. Nicht alles, was für Wohnkosten und Sozialleistungen ausgegeben wird, bekommt die Stadt von Bund und Land zurück. „Der Zuschussbedarf lag im vergangenen Jahr bei 3,6 Millionen Euro“, sagt Gerhard Bock aus der Abteilung Flüchtlinge.

Gutscheine und Taschengeld für die Lebenshaltung

266 Euro bezahlt der Staat laut Asylbewerberleistungsgesetz derzeit noch für einen Erwachsenen. Ein Betrag, der seit 19 Jahren nicht erhöht worden ist. Ein Teil des Geldes muss für die Unterbringung der Menschen verwendet werden, für ihre Lebenshaltung erhalten die Flüchtlinge Gutscheine sowie Taschengeld.

Wenn die Pauschale von 266 Euro entsprechend des Urteils dem Hartz-IV-Satz gleichkommen soll – ausgenommen der Betrag zur Möblierung einer Wohnung –, dann kommen auf die Stadt Stuttgart zunächst monatlich etwa 80.500 Euro Mehrkosten zu, innerhalb eines Jahres rund eine Million Euro. Die Erstattung vom Bund wird erst dann eintreffen, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend geändert wurde. Am Mittwoch plädierte der Integrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Bernhard Lasotta, dafür, dass die Landesregierung den Stadt- und Landkreisen bei den Asylbewerberleistungen helfen muss: „Wir fordern, dass das Integrationsministerium die Kostenpauschale für die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern entsprechend anhebt.“

Viele Ehrenamtliche helfen bei der Betreuung

Dass die Kommunen mittels der höheren Zuweisungen eigene Kosten auffangen, schließt das Bundesverfassungsgesetz aus. Es hat in seiner Urteilsverkündung betont, dass ein menschenwürdiges Leben nicht nur „die physische Existenz des Menschen“ umfasst; das Grundrecht stelle auch sicher, dass jeder Mensch genug Mittel hat, um „zwischenmenschliche Beziehungen pflegen“ zu können und in einem „Mindestmaß“ am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben können muss.

Stuttgart mache unter den gesetzten Rahmenbedingungen „sicherlich das Mögliche“, sagt Asylpfarrer Werner Baumgarten, dank vieler Ehrenamtlichen könne man die Menschen ordentlich betreuen. Grundsätzlich sei er froh, „dass sich das Bundesverfassungsgericht um das Thema bemüht hat und jetzt auch mehr für die Flüchtlinge raus-springt“. Verbesserungsbedarf sehe er bei der langen Verfahrensdauer, „die verhindert, dass die Kinder gleich in Schule, Ausbildung und Beruf kommen“.

Zahl der Flüchtlinge steigt seit 2011

Erwachsene Asylbewerber dürfen im ersten Jahr ihres Aufenthalts nicht arbeiten. Im zweiten Jahr dürfen sie Jobs annehmen, für die kein anderer Bewerber gefunden wurde. Kündigt der Betrieb, fallen Flüchtlinge wieder unter das Asylbewerberleistungsgesetz, sie haben keinen Anspruch auf Hartz IV.

Insgesamt steigt die Zahl der Flüchtlinge seit 2011 wegen der wachsenden Zahl von Krisenherden, insbesondere in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten wieder an. Im Nachbarkreis Böblingen waren es am 30. Juni 2012 nach Angaben des Regierungspräsidiums Karlsruhe 527, in Esslingen 800, in Ludwigsburg 837, in Göppingen 349 und im Rems-Murr-Kreis 578 Flüchtlinge.

Noch wagt keine Kommune eine Einschätzung, ob ein Urteil, am 2. Juli gefällt vom Verwaltungsgericht Stuttgart, die Flüchtlingszahlen steigern wird. Die Richter hatten die Abschiebung einer unerlaubt eingereisten Familie abgelehnt. Sie hatte zunächst in Italien Asyl erhalten, war dann aber nach Deutschland gekommen und hatte hier nochmals einen Asylantrag gestellt. Die Richter befanden: In Italien herrschten menschenunwürdige Bedingungen, eine Rückkehr sei nicht zumutbar. In Stuttgart sind während der vergangenen drei Jahre 300 Menschen unerlaubt eingereist, einen Kostenersatz gibt es für diese Flüchtlinge nicht. Deshalb hat der Gemeinderat im Juli 2011 einen Appell an die Bundesregierung verabschiedet: Sie solle ein kontinuierliches Programm zur dauerhaften Aufnahme von Schutzbedürftigen einrichten, sie in einem geregelten Verfahren auf die Länder verteilen und ihre Integration finanzieren.