Die Grünen versprechen sich von der Reform mehr Frauen im Parlament. Foto: dpa

Weil nur rund ein Viertel der Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag weiblich sind, erwägt die grün-schwarze Regierungskoalition, das Landtagswahlrecht zu ändern. Das ist aber das falsche Instrument für eine gelingende Frauenförderung in den Parteien, findet unser landespolitischer Autor Nils Mayer.

Stuttgart - Nur 37 von 143 Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag sind derzeit weiblich. Damit künftig mehr Frauen ins Parlament einziehen, strebt Grün-Schwarz an, das Wahlrecht zu ändern. Bislang haben die Bürger bei der Landtagswahl eine Stimme, mit der ein Direktkandidat im Wahlkreis gewählt wird. Das soll so bleiben. Nur die Zweitauszählung, über die bislang ein weiterer Wahlkreiskandidat mit vielen Stimmen ins Parlament rutschen konnte, könnte bald für Kandidaten auf einer Liste zählen. So sieht es der Koalitionsvertrag vor. An diesem Mittwoch wollen sich die Koalitionäre zusammensetzen, um einen konkreten Vorschlag festzulegen. Doch ob es überhaupt so weit kommt, ist unklar.

Die CDU-Fraktion diskutiert das Thema an diesem Dienstag und erwägt, das Vorhaben abzulehnen. Sie steht dabei unter Beobachtung: Stimmt sie gegen eine Wahlrechtsreform, düpiert sie zum einen den CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl, der sich klar dafür ausgesprochen hat, und löst zum anderen eine handfeste Koalitionskrise aus. Die besseren Argumente hätte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart aber auf seiner Seite.

Listen liefern noch keine Garantie

Wahlrechtsexperten sagen zwar, dass Listen die Chancen auf mehr Frauen in einem Parlament erhöhen, weil diese bewusst für die vorderen Plätze vorgeschlagen werden könnten. Listen liefern allerdings keine Garantie. Die Entscheidung hängt von den Landesverbänden der Parteien ab. Und da ist keineswegs sicher, dass andere Parteien außer den Grünen eine Liste abwechselnd mit einem Mann und einer Frau besetzen würden. Durchaus nachvollziehbar, schließlich sollten Parteien ihre Kandidaten – auf einer Liste wie im Wahlkreis – nicht allein nach Geschlecht aufstellen, sondern nach Eignung und nach Engagement.

Die Kritiker des Vorhabens argumentieren, das bisherige Wahlrecht ohne Liste stehe für Bürgernähe im Wahlkreis. Das ist in Zeiten der Politikverdrossenheit ein starkes Argument. Die meisten Abgeordneten wohnen vor Ort, kennen die Menschen und deren Belange. Klar ist aber auch: Die Reformgegner haben ein Eigeninteresse, dass das Wahlrecht so bleibt, wie es ist. Es geht um ihre Pfründe. Die Befürworter denken jedoch ebenfalls an sich. Sind sie nicht diejenigen, die sich selbst bei der nächsten Wahl über einen vorderen Listenplatz absichern oder ihr Image in ihrer Partei aufpolieren wollen?

Sieht eine angemessene Frauenförderung anders aus?

Schließlich gilt Lobbypolitik für Frauen als nicht kritisierbar. Wer es doch wagt, fragwürdige Vorschläge von Frauenverbänden infrage zu stellen oder gar abzulehnen, wird von einem kleinen, aber umso lauteren Grüppchen als rückwärtsgewandt und frauenfeindlich abgestempelt. Doch das sollte die Landtagsfraktionen nicht davon abhalten, offen zu diskutieren, wem ein geändertes Wahlrecht wirklich nutzen würde: Frauen, Quereinsteigern oder netzwerkorientierten Parteikarrieristen? Lenkt die Debatte um eine Wahlrechtsreform nicht sogar von den Herausforderungen für eine erfolgreiche Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft und eine angemessene Frauenförderung innerhalb der Parteien ab?

Auch die Grünen sollten sich fragen, ob ihre Stärke im Südwesten – neben ihrem beliebten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann – nicht auch aus dem hiesigen Wahlrecht rührt. Dadurch sind ihre Kandidaten gezwungen, im Wahlkreis zu überzeugen. Sie können es sich dort nicht erlauben, sich mit traumtänzerischen Ideen des linken Flügels von der Bevölkerung abzuwenden. Wohl auch deshalb ist Kretschmann nicht unter denjenigen, die sich offensiv für die Reform einsetzen. Klug und nachvollziehbar.

nils.mayer@stuttgarter-nachrichten.de