Viele werden von den Behörden als „harmlose Spinner“ eingestuft, aber einige meinen es auch ernst: Bei Reichsbürgern sichergestellte Waffen nach einer Razzia in Wuppertal Foto: dpa

Sie erkennen die Bundesrepublik nicht an und wehren sich sogar gegen den Austausch von Stromzählern: Sogenannte Reichsbürger machen in Baden-Württemberg zunehmend den Behörden zu schaffen.

Stuttgart - Die Reichsbürger-Szene in Baden-Württemberg ist größer und gefährlicher als bislang angenommen. Laut einer neuen Analyse des Verfassungsschutzes, die den „Stuttgarter Nachrichten“ vorliegt, werden nun 3200 Personen der Szene zugerechnet. Das sind 200 mehr als noch vor wenigen Monaten. Der Anteil der Rechtsextremisten wurde aufgrund von Nachermittlungen ebenfalls nach oben korrigiert: Ging man im zweiten Quartal 2018 noch von 30 Rechtsextremisten aus (1 Prozent), so sind es nun 75 (2,3 Prozent).

Weniger Straftaten

Die Zahl der von Reichsbürgern begangenen Straftaten ist dieses Jahr allerdings deutlich gesunken: 22 Straftaten registrierte man bis September, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 48. Oft handelt es sich dabei um Widerstandshandlungen: Bei der Zwangsräumung einer Wohnung im Schwarzwald Ende August wurden zum Beispiel drei Polizisten leicht verletzt. Ähnliches geschah im Juli in Erlenbach bei Heilbronn. Dort wehrten sich mehrere Reichsbürger gegen den Austausch eines Stromzählers. 8 der bislang 22 Straftaten in diesem Jahr hatten laut Polizei einen rechtsextremistischen Hintergrund, die anderen konnten nicht zugeordnet werden.

Innenminister warnt

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnt davor, die Reichsbürger zu unterschätzen und als harmlose Spinner abzutun: „Wir haben es bei den ‚Reichsbürgern‘ und ‚Selbstverwaltern‘ mit Personen und Gruppierungen zu tun, die eines gemeinsam haben: Sie leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und unseren Rechtsstaat.“ Es sei von einer erhöhten Gewaltbereitschaft vieler ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ auszugehen. „Deshalb müssen wir zu jedem Zeitpunkt wissen, mit wem wir es zu tun haben und beobachten die Szenen in Baden-Württemberg ganz genau.“

In Stuttgart sind alle Reichsbürger entwaffnet

Laut Verfassungsschutz hatten rund 300 Reichsbürger im Land einen Waffenschein. Wie viele davon durch die Kommunen auf Anweisgung des Innenministeriums inzwischen entzogen wurden, ist noch unklar. Stand Februar wurden 50 Reichsbürger landesweit entwaffnet, die nächste landesweite Zählung soll erst wieder nächstes Jahr erfolgen. In Stuttgart, wo es nach Angaben der Polizei rund 100 Reichsbürger gibt, gab es laut Ordnungsamt fünf bewaffnete Reichsbürger. Allen habe man inzwischen den Waffenschein entzogen, wogegen sich die Betroffenen allesamt vor dem Verwaltungsgericht wehrten. Drei dieser Gerichtsverfahren laufen noch.

Meistens ältere Männer

Der Verfassungsschutz kann inzwischen auch grobe Aussagen über die Szene der Reichsbürger im Land machen. Laut der Analyse sind 76 Prozent der ermittelten Personen älter als 40 Jahre. 55 Prozent sind sogar über 50. Die meisten Reichsbürger (73,5 Prozent) sind männlich, allerdings ist der Frauenanteil durchaus beachtlich: Mit 26,5 Prozent liege er deutlich höher als bei den Rechtsextremisten (20,4 Prozent)

Die Reichsbürger werden seit der Tötung eines bayrischen Polizisten im Oktober 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. Damals schätzte man in Baden-Württemberg die Zahl der Reichsbürger noch auf 650.