So soll’s sein. Aber in der Praxis funktionieren die Pfandringe nicht wie gewünscht Foto: Lichtgut

Im März hat die Abfallwirtschaft (AWS) an neun Mülleimern in der Stadt Pfandringe angebracht. So sollte Flaschensammeln leichter gemacht werden – würdevoller. Doch nach etwa drei Monaten macht sich Ernüchterung breit. Bei den Sammlern und der AWS.

Stuttgart - Sie senkt den Blick und malt mit ihrem Fuß einen imaginären Kreis auf den Boden. Dann sagt Emilie Kastorp (Name geändert) wie unter Qualen: „Ich gehöre dazu.“ Sie ist eine Pfandsammlerin und empfindet ihr Coming-out als „Beichte“, die andere schockiert. Denn Emilie Kastorp hat ein Dach überm Kopf und einen Job. Ist ordentlich gekleidet und attraktiv.

Dennoch reicht das Geld hinten und vorne nicht. Also zieht sie los und sammelt Flaschen. „Nicht im großen Stil wie diejenigen, die es hauptberuflich betreiben“, räumt sie ein. Aber bei gutem Wetter radelt sie schon mal in die Stadt oder zu den Heimspielen des VfB, um auf „Beutefang“ zu gehen, wie die 48-Jährige es nennt. Sogar in der Mülltonne ihres Mietshauses im Stuttgarter Süden wühlt sie – und macht „ergiebige“ Beute.

Was ihr früher ein kleines Zubrot zum kargen Lohn brachte, ist heute nur noch ein Nasenwasser. Heute sind vor allem die Mülleimer mit Pfandringen meistens leer. Innen und außen. Wo eigentlich leere Flaschen stehen sollten, ist nix mehr. Die bei der Einführung als Ei des Kolumbus gefeierten Pfandringe an neun Mülltonen in der Stadt (Hackstraße, Ostendstraße, Breite Straße, Nadlerstraße, Schlossstraße, Hasenbergstraße sowie zwei in der Theo) seien für Sammler „eine Katastrophe“.

Warum empfindet jemand die vermeintliche Erleichterung als Katastrophe? Nun, da der Zugang zum Pfandgut leichter und damit würdevoller sein soll.

„Alles Quatsch“, sagt die Sammlerin: „Die Mülleimer sind oben nicht mehr offen. Man kann nicht mehr einfach oben reinschauen und rausholen.“ Sammler könnten nun nicht so gründlich durchsuchen. Es sei denn, sie haben einen Dreikantschlüssel. Der unterscheidet den Profi vom Gelegenheitssammler. Bedeutet: Weil die Armut in der Stadt immer greifbarer wird, sei Pfandsammeln zum Volkssport geworden. Sogar Schlipsträger und Jugendliche werden immer öfter gesichtet. Der Verteilungskampf werde immer aggressiver, sagt Emilie Kastorp. Es gebe sogar abgesteckte Reviere. Profis hätten die Mülleimer untereinander aufgeteilt. Kastorp beteuert: „Es gibt wirklich alles. Den Obdachlosen, der so aussieht und riecht. Organisierte Banden aus dem Osten. Und eben normale Leute wie mich, denen ihr Geld nicht reicht.“

Die Zeiten haben sich geändert. Das bestätigt auch Vesperkirchen-Pfarrerin Karin Ott. „Armut in der Stadt verfestigt sich.“ Die Pfarrerin ist jedes Mal bedrückt, wenn sie die Biografien der Armen in der Leonhardskirche hört. Zum Thema Pfandsammeln empfiehlt sie jedem, sich sein eigens Bild zu machen: „Am späten Abend kann man in den Supermärkten der City an den Pfandautomaten sehen, wer dort seinen Tageslohn abgibt.“ Es ist auch jedermann dabei.

„Früher waren es die Ärmsten der Armen, die da gesucht haben“, sagt Emilie Kastorp, „heute sind es auch mal Leute, die erkannt haben, wie viel Geld da herumliegt. Sie sammeln für eine Bowling-Kugel oder ein Abendkleid, das sonst nicht drin wäre.“ Manche bringen es so auf fünfstellige Summen. „Für mich als einzelne Person, die nicht in einer Gruppe oder Organisation sammelt und auch keine Grundaggressivität mitbringt, wird es nun immer schwieriger und nerviger, etwas zu finden.“

Was empfindet ein Mensch, wenn er die Abfälle anderer durchsucht? „Scham“, sagt Emilie Kastorp, „von sehr stark im Boden versinken bis hin zu einem lockeren Umgang.“ Aber ganz ohne Scham geht es nie. Am liebsten ist es ihr, wenn sie mit einer Baseballmütze und Sonnenbrille unterwegs ist. Etwas getarnt, ein bisschen geschützt vor den pikierten Blicken. Aber immer wenn sie das peinliche Gefühl überkommt, denkt sie: „Jeder würde sich doch für ein 10- oder 20-Cent-Stück bücken. Also was ist dabei, eine rumliegende Pfandflasche mitzunehmen?“ Und wenn das nicht hilft, denkt sie: „Für mich ist es eine Art Arbeit. Es ist weggeschmissenes Geld, das keiner haben will.“

Geld, das nun nicht mehr so leicht zu verdienen ist. Auch die städtische Abfallwirtschaft (AWS) ist alles andere als zufrieden mit den neuen Pfandringen. „Die Rückmeldung der AWS-Mitarbeiter ist, dass der Pfandring einen erheblichen Mehraufwand mit sich bringt, da die Leerung der Papierkörbe länger dauert, der Platz um die Behälter mehr verunreinigt ist und mehr Glasbruch beseitigt werden muss“, sagt AWS-Sprecherin Annette Hasselwander. Die fünfmonatige Testphase mit Pfandring-Mülleimern, die im März begann, kostet die AWS 5000 Euro. Unterstützt wird das Pilotprojekt von der Internet-Plattform „wewant“. Sie spendet 1000 Euro für die Anschaffung der Pfandringe.

Die Frage, ob sich die Anbringung der Pfandringe gelohnt habe, konnte die AWS nicht beantworten. Dies müsse „wewant“ beantworten. Dort antwortet ein Sprecher mit „Ja“. Man habe mit Sammlern, Passanten und AWS-Mitarbeitern gesprochen, heißt es bei „wewant“: „Alle hätten durchweg positive Erfahrungen gemacht.“

Paul Ketz, der Kölner Erfinder der Pfandringe, hält die ganze Diskussion um seine Ringe ohnehin für etwas „absurd“: Es sei eine verquere Sicht auf die Dinge: „Im Grunde geht es darum, dass Pfand nicht in den Mülleimer gehört. Der Pfandring unterstützt als Brückenstück den Recyclingkreislauf und eben auch jene, die daran teilhaben. Selbst wenn aus finanziellen Gründen niemand auf das Sammeln von Pfand angewiesen wäre, macht die Erweiterung öffentlicher Mülleimer Sinn, um Wertstoff und Restmüll zu trennen. Pfandsammler sind in diesem Fall wichtige Dienstleister im Namen der Umwelt.“ Ein dreistelliger Millionenbetrag an Pfandwert sei im vergangenen Jahr im Restmüll verbrannt worden. Ketz glaubt: „Der Pfandring ist eine einfache Gestaltung, die im Alltag funktioniert, egal was Schwarzmaler in der Theorie anzweifeln. Mein klarer Appell ist: Geben wir der Idee eine Chance, sich zu beweisen!“

Die Stuttgarter haben diese Chance offenbar nicht genutzt.