Mehmet Kurtulus als Othello Foto: dpa

Mehmet Kurtulus über große Gefühle und seine Titelrolle in "Othello" am Alten Schauspielhaus.

Im Hamburger "Tatort" verkörpert Mehmet Kurtulus den verdeckten Ermittler Cenk Batu. An diesem Donnerstag feiert er eine Doppelpremiere mit dem Drama "Othello" und dem Film "Transfer". Ein Gespräch mit dem Schauspieler über große Gefühle, ewige Jugend und faule Ausreden.

Herr Kurtulus, der schwarze Feldherr Othello ist ein angesehener Außenseiter in der venezianischen Gesellschaft. Er scheitert in dieser Gesellschaft. Ist es das, was heute an Shakespeares Drama "Othello" interessiert?
Es sind die großen Gefühle. Es geht zunächst einmal um Jagos unglaublichen Neid. Sein Spiel um Othello und das Einträufeln seines Gifts. Wäre Jago nicht so neidisch, weil ein anderer befördert wurde, hätte seine Liebe zu Othello nicht in Hass umschlagen können und Othellos zu Desdemona. Neid ist die Mutter des Stücks - Rassismus eines ihrer Kinder.

Neid mag der Antrieb für das Drama sein. Doch ohne Othellos extreme Eifersucht hätte Jago nicht so leichtes Spiel. Er liebt, aber er vertraut Desdemona nicht.
Ja, man denkt in mancher Szene, mein Gott, Junge, rede doch einfach mit Desdemona. Aber der übergroße Stolz, der ihn daran hindert, ist seinem Charakter, seiner Position und nicht zuletzt der historischen Zeit geschuldet. Jeder scheitert an sich selbst. Es ist ja immer die Frage, wie wir mit solchen Einflüssen von vermeintlichen Freunden umgehen.

"Othello" lebt von Neid, Liebe, Hass, Eifersucht. Sehen wir gerne solche Stücke, weil große Gefühlsäußerungen in unserer von Ironie geprägten Gesellschaft passé sind?
Vielleicht. Geblieben ist uns eine Sehnsucht nach großen Gefühlen. Wir sind geneigt, Sätze wie "Ich liebe dich" schnell als Kitsch abzutun. Uns geht der Mut zu Gefühlen verloren, weil sie nicht in unsere Neid- und Funktionsgesellschaft passen. Wir haben Angst, dass eine Situation peinlich wird, wir haben Angst vor Entblößung. Mehr Mut wäre schön.

Thomas Thieme ist in Luk Percevals berühmter "Othello"-Inszenierung deutlich älter als Desdemona, und er ist weiß. Wie wird Ihr Othello sein?
Shakespeare hat Othello sehr genau charakterisiert, ich vertraue ganz auf den Text. Je purer man das spielt, desto kraftvoller wird so ein Abend. Ich glaube, es ist wichtig, sich klarzumachen, was so ein Heerführer zu bewegen hat. Ich habe mir jetzt diese alten Schlachtengemälde angesehen: Wie strategisch mussten da Massen bewegt werden! Ein Feldherr muss ständig auf der Hut sein, um seine Autorität zu wahren. Deshalb benimmt er sich womöglich auch abseits des Schlachtfeldes autoritärer als andere.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Rollen vor?
Recherche ist ein wichtiger Punkt. Mal sehe ich mir Bilder an, mal lese ich viel. Doch wie ich recherchiere, sagt mir das Drama oder das Drehbuch.

Es spricht zu Ihnen?
Es spricht zu mir. Es kann auch sein, dass ich in ein fremdes Land gehe, um für einen Film zu recherchieren. Oder wenn ich wie im aktuellen "Tatort" als verdeckter Ermittler einen Charakter spiele, der fünf Jahre im Gefängnis war, dann ist Abnehmen angesagt. Ich liebe die Vorbereitungszeit - sie ist mindestens genauso spannend wie die laufende Produktion.

Sie spielen im Fernsehkrimi "Tatort" mit Cenk Batu einen Kommissar mit türkischen Wurzeln. Jetzt spielen Sie einen Heerführer mit maurischen Wurzeln. Bietet man Ihnen viele Migrantenrollen an?
Ich bekomme immer wieder mal Angebote, die Rollen ähneln, die ich schon gespielt habe, aber die kommen nicht infrage. Ich wiederhole mich nicht gern. Die Liebe zu diesem Beruf ist Entdeckung, der Zuschauer profitiert dabei durch die Überraschung.

Werden Sie auch deshalb trotz Grimme-Auszeichnungen und Kritikerlob nach sechs Folgen den "Tatort" beenden?
Die Variation von sechs Folgen war für mich perfekt. Es war mein Ziel, den "Tatort" so gut wie möglich zu machen. Ich höre auf, wenn's am schönsten ist, denn Unsicherheit ist der einzige Weg, um zu wachsen.

An diesem Donnerstag haben Sie mit "Othello" Premiere, und Sie sind in dem Science-Fiction-Film "Transfer" im Kino zu sehen. Ein älteres Ehepaar will sich die ewige Jugend kaufen. Sie werden nächstes Jahr 40. Was halten Sie von ewiger Jugend?
Man muss in Würde altern können. Es gibt so wunderschöne alte Menschen. Ich fühle mich wohl mit meinem Alter, ich möchte nicht jünger sein, aber auch nicht älter. Ich habe mit Schönheitsoperationen nichts am Hut, ich verurteile das aber auch nicht. Der Körper ist die Hülle der Seele. Allerdings, kürzlich ging auf einer Straße in Los Angeles eine Frau vor mir her. Sie wirkte sehr jung, langes Haar, lange Beine, kurzer Rock, und als sie sich umdreht - mindestens 60. Das hatte etwas Abstoßendes.

Wächst in der Filmbranche nicht auch der Druck auf Männer, fit und schön zu sein?
Unser Körper ist unser Kapital, unser Werkzeug, und Werkzeug muss man instand halten. Ich bewundere auch zum Beispiel Sänger-Kollegen, die so auf ihre Stimme achtgeben, dass sie jeden Luftzug im Raum bemerken. Disziplin und Anarchie bedingen einander.

Bei Tänzern und Sängern ist schneller zu merken, wenn sie undiszipliniert waren. Nuschelnde Schauspieler behaupten notfalls, das sei authentischer.
(Lacht) Es gibt einen Graubereich. Aber: Die Technik ist eine andere bei Ballett und Gesang. Wir Schauspieler proben am Leben. Wir bedienen uns am Leben. Man weiß, eigentlich müsste man abends früh ins Bett. Aber dann sitzt man spätnachts immer noch in der Kantine und diskutiert und denkt sich, vielleicht kann ich die Energie morgen mit auf die Probe mitnehmen. Manchmal funktioniert das auch, oder es ist eine faule Ausrede.