4000 Hausarztstellen sind derzeit unbesetzt. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Laut einer neuen Umfrage im Auftrag der Robert Bosch Stiftung machen sich immer mehr Menschen Sorgen um ihre medizinische Versorgung. Die Stiftung sieht sich in ihren Forderungen nach einem Umbau des Gesundheitssystems bestätigt. Im Fokus stehen wohnortnahe Angebote.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Robert Bosch Stiftung stellt der deutschen Gesundheitspolitik ein schlechtes Zeugnis aus. Fast 60 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten wenig oder gar kein Vertrauen in die Fähigkeit der Politik, eine hochwertige und zugleich bezahlbare Versorgung sicherzustellen. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2020 waren mit 30 Prozent nur halb so viele Teilnehmer dieser Ansicht. 40 Prozent der für die aktuelle Studie Befragten meinten zudem, dass sich die medizinische Versorgung bei ihnen vor Ort verschlechtert hat. Am schlechtesten schnitten dabei kleinere Städte mit 20 000 bis 100 000 Einwohnern ab.

„Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass wir dringend handeln und unser Gesundheitssystem konsequent am Patientenwohl ausrichten müssen, damit es zukunftsfähig bleibt“, sagte Mark Dominik Alscher bei der Vorstellung der Zahlen. Der Geschäftsführer des Bosch Health Campus, in dem die Robert Bosch Stiftung ihre Gesundheitsaktivitäten gebündelt hat, verwies auf die wachsenden Probleme im Gesundheitssektor. Auf der einen Seite gebe es in vielen Bereichen eine deutliche Unterfinanzierung und einen Mangel an Fachkräften, auf der anderen Seite führe der demografische Wandel zu einem weiter steigenden Bedarf an medizinischen Leistungen.

Enttäuschung über die Ampelkoalition

Auch die seit gut einem Jahr regierende Ampelkoalition in Berlin erhält beim Thema Gesundheit schlechte Noten: 52 Prozent der Befragten glauben eher nicht oder gar nicht, dass die Bundesregierung und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die richtigen Prioritäten setzten. Auch die Coronapandemie könne einen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt haben, sagte Alscher. Anfangs habe das Vertrauen in die Politik zwar deutlich zugenommen, „aber über die Strecke hat das dann stark nachgelassen“.

Ingrid Wünning Tschol, Leiterin des Robert Bosch Center for Innovative Health, sieht in den Umfrageergebnissen einen klaren Hinweis darauf, dass die Perspektive von Bürgerinnen und Bürgern bei gesundheitspolitischen Entscheidungen oft nicht ausreichend gewürdigt werde. Erfolgreiche Reformen seien aber nur möglich, wenn es gelinge, die Menschen mitzunehmen.

Im Koalitionsvertrag der Ampel stehe viel Sinnvolles zum Thema Gesundheit drin, meint Alscher. Die Kommunikation sei allerdings verbesserungsbedürftig. So sei im Zusammenhang mit der Krankenhausreform bei vielen nur angekommen, dass Kliniken heruntergestuft oder geschlossen werden sollen. Der Hinweis, dass gleichzeitig neue Versorgungsmöglichkeiten aufgebaut werden sollen, habe gefehlt.

Fehlende Hausärzte

Besonders wichtig waren den Umfrageteilnehmern unter anderem eine weiterhin bezahlbare Gesundheitsversorgung, schnellere Termine bei Haus- und Fachärzten, bessere Bedingungen und eine bessere Ausbildung für die Beschäftigten sowie eine gute medizinische Versorgung in unmittelbarer Nähe ihres Wohnorts. Doch die Realität sehe anders aus, insbesondere wenn es um die Lage vor Ort gehe, sagte Lutz Hager, Professor für Management im Gesundheitswesen an der SRH Fernhochschule und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care. Bundesweit gebe es 4000 offene Hausarztstellen. Eines von vielen Negativbeispielen sei der der Ostalbkreis in Baden-Württemberg, wo derzeit nur 58 Prozent der rechnerisch nötigen Versorgung erreicht würden. „Mit dem Modell Hausarztpraxis an jeder Ecke kommen wir nicht weiter“, so Hager.

Die Gesundheitsexperten der Robert Bosch Stiftung plädieren stattdessen für die Einrichtung wohnortnaher Gesundheitszentren, in denen verschiedene Ärzte, Pflegekräfte und Vertreter anderer Gesundheitsberufe eng zusammenarbeiten. In Deutschland gebe es solche Zentren bis jetzt nur als einzelne Leuchtturmprojekte – etwa in Hamburg oder Berlin, sagte Wünning Tschol. Fast 80 Prozent der Umfrageteilnehmer simmten der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass sich mit solchen Angeboten die medizinische Nahversorgung verbessern ließe. Allerdings hatten drei Viertel der Befragten zuvor noch nichts von diesem Konzept gehört oder gelesen.

Mehr Verantwortung für Pflegekräfte

Eine bessere Versorgung in der Fläche könnte laut Alscher auch das sogenannte Community Health Nursing bringen. Dabei übernehmen Pflegekräfte mit akademischer Ausbildung einen Teil der medizinischen Grundversorgung. So ließen sich die zunehmenden Versorgungslücken im ärztlichen Bereich abfedern. In Kanada oder Skandinavien werde dieser Ansatz bereits erfolgreich praktiziert. Solche Strukturreformen könnten dazu beitragen, die Gesundheitskosten im Rahmen zu halten, meint Alscher: „Wenn wir bessere Angebote vor Ort hätten, könnten wir 90 Prozent der Krankenhauseinweisungen verhindern“. Ein wichtiges Ziel sei auch die Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz – etwa durch bessere Informationsangebote zu medizinischen Themen oder zu einer gesunden Ernährung.

Die Verantwortlichen des Bosch Health Campus sehen sich durch die Ergebnisse der Umfrage in ihren bereits früher geäußerten Forderungen für einen Umbau des Gesundheitssystems bestätigt. Dazu war im Jahr 2018 die Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ ins Leben gerufen worden.

Umfrage zur Gesundheitspolitik

Erhebung
 Für die repräsentative Umfrage haben die Meinungsforscher von Forsa vom 25. Januar bis 10. Februar 2023 bundesweit 1850 Personen ab 18 Jahren befragt. Die Erhebung im Auftrag des Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung bildet den Abschluss der Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“.

Organisation
 Zum Bosch Health Campus unter dem Dach der Robert Bosch Stiftung gehören neben dem Robert-Bosch-Krankenhaus das Robert Bosch Center for Innovative Health, das Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie, das Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen, das Institut für Geschichte der Medizin sowie das Irmgard-Bosch-Bildungszentrum.