Wenn es in Steinenbronn bald nur noch eine Hausarztpraxis gibt, werden viele Bürger selbst für kleinere medizinische Maßnahmen wie das Blutdruckmessen wohl längere Wege auf sich nehmen müssen. Foto: dpa/Bernd Weissbrod

Die medizinische Versorgung in Steinenbronn (Kreis Böblingen) wird sich für viele Menschen verschlechtern. Margit Kraushaar-Scheifele und ihr Mann Wolf geben nach fast 30 Jahren ihre Praxis auf. Einen Nachfolger haben sie bis heute nicht gefunden.

Steinenbronn - Zahlreiche Steinenbronner müssen sich bald einen neuen Hausarzt suchen. Denn die Tage der Arztpraxis Scheifele sind gezählt. Zum 31. März nächsten Jahres schließen Margit Kraushaar-Scheifele und ihr Ehemann Wolf die 1991 eröffnete Praxis an der Stuttgarter Straße. Das Ehepaar gibt die Praxis altershalber auf, wie der 65-jährige Wolf Scheifele auf Anfrage unserer Zeitung sagt. Bitter für ihn, seine Frau und viele Steinenbronner ist: Niemand möchte die Praxis übernehmen, zumindest bislang.

Auf vielen Kanälen hat das Ehepaar Scheifele seit Anfang dieses Jahres nach einem Nachfolger gesucht, mit einzelnen potenziellen Interessenten gab es erste Gespräche. „Zu konkreten Verhandlungen ist es aber nie gekommen“, bedauert Wolf Scheifele. Zahlreiche junge Ärzte, so sagt er, hätten einfach kein Interesse, eine Praxis in Eigenregie zu übernehmen. Viele würden lieber in Anstellung und Teilzeit arbeiten.

Otto Elsäßer, Gemeinderat der Freien Wähler, hatte bei der jüngsten Sitzung darauf aufmerksam gemacht, dass Ende März eine der zwei im Ort mit rund 6500 Einwohnern ansässigen Hausarztpraxen schließt. Vom 1. April an wird es – wenn die Scheifeles nicht doch noch einen Nachfolger finden – nur noch die Arztpraxis von Holger Felsch geben. Elsäßer ist überzeugt, dass es vor allem der Mangel an barrierefreien Praxisräumen ist, der junge Ärzte daran hindert, sich in Steinenbronn niederzulassen. „Die Patienten müssen bei uns überall die Treppen hoch und runter“, lautet sein Fazit.

Moderne und voll eingerichtete Praxis

Laut Bürgermeister Johann Singer beschäftigt das Thema Barrierefreiheit bei der Gesundheitsversorgung die Kommunalpolitik schon seit vielen Jahren. Eine gute Lösung habe man bislang aber nicht finden können. Und das Thema werde weiter präsent bleiben. Auch die dann einzige vorhandene Hausarztpraxis sei schließlich nicht barrierefrei zu erreichen. Für Singer ist zudem klar, dass „es die einzige verbleibende Praxis nicht schaffen wird, alle Patienten zu versorgen“, wie er sagte. Bedauerlich sei die Schließung auch, weil die Praxis „modern und voll eingerichtet ist“, so der Bürgermeister.

Dass die Übernahme der Hausarztpraxis, wie bei der jüngsten Sitzung im Steinenbronner Gemeinderat gemutmaßt, vor allem daran scheitere, dass die Praxis im ersten Stock liegt und es keinen Aufzug gibt, denkt Wolf Scheifele nicht. „Das Thema Barrierefreiheit ist ein Steckenpferd der Kommunalpolitik“, sagt er und ergänzt: „Die vergangenen 28 Jahre war es für uns aber keines – zumindest kein gravierendes.“

Ärzten, die sich in Steinenbronn niederlassen, winkt eine stattliche Prämie

Dass die mangelnde Barrierefreiheit durchaus ein Handicap bei der Nachfolgersuche für die Praxis sein könnte, „aber wohl nicht das zentrale“, machte auch der baden-württembergische Ärztepräsident Wolfgang Miller als Mitglied des Steinenbronner Ratsgremiums deutlich. Jeder Hausarzt, der sich neu niederlasse, erhalte dafür sogar eine Prämie von 80 000 Euro, erläuterte Miller. Auf der politischen Ebene habe man längst erkannt, dass es Anreize brauche, um Mediziner als neue Hausärzte zu gewinnen. Nur wollen zu wenige diese Aufgabe übernehmen.

Laut Wolfgang Miller gibt es durchaus Möglichkeiten, mit geeigneten Praxisräumen Rahmenbedingungen für Ärzte zu schaffen, die eine Niederlassung erleichtern würden. Die Barrierefreiheit wäre dabei aber nur ein Baustein. Manche Kommunen hätten so etwas in den vergangenen Jahren bereits getan. „Aber da muss man richtig Geld in die Hand nehmen – das kostet deutlich siebenstellig“, so der Ärztepräsident. Wenn die Praxis an der Stuttgarter Straße schließe, werde „nicht der absolute Notstand ausbrechen“, betonte Miller. Die Patienten müssten sich aber einen neuen Hausarzt suchen – teils auch weiter weg. Das sei vor allem für Ältere sicher schwierig.

Keine Unterversorgung

Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, bewertet die Situation in Steinenbronn aus Perspektive der Bürger als problematisch. Zu einer Unterversorgung komme es in dem sogenannten Mittelbereich Böblingen/Sindelfingen, zu dem Steinenbronn gehört, aber nicht. Der Versorgungsgrad liege aktuell bei 94,7 Prozent. Im angrenzenden Mittelbereich Esslingen liegt er bei 97,3 Prozent. Deutlich höher ist er nur im Mittelbereich Stuttgart mit 106,9 Prozent.

Im gesamten Mittelbereich Böblingen/Sindelfingen gebe es „relativ viele Ärzte“, sagt Sonntag, insgesamt „knapp 118 Versorgungseinheiten“, so Sonntag. „Unterm Strich sind es aber natürlich mehr Personen.“ Bis zu 20 zusätzliche Ärzte könnten sich laut medizinischer Bedarfsplanung im Mittelbereich Böblingen/Sindelfingen aber noch niederlassen, erläutert Sonntag. „Wo diese ihre Praxis haben, ist egal.“ Sprich: Ganz gleich ob sich in Böblingen oder Steinenbronn ein Mediziner niederlässt, der Versorgungsgrad steigt dann hier wie dort gleichermaßen – auch wenn es die Steinenbronner nicht direkt spüren.