Viele wissen gar nicht, dass sie an einer Funktionsstörung leiden. Therapien kommen daher oft zu spät. Als Alternativen bleiben häufig nur noch Dialyse oder Transplantation.
Stuttgart - Ü bergewicht ist nicht nur ein entscheidender Risikofaktor für Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Zu viele Pfunde könnten auch den Nieren schaden, warnt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) anlässlich des Weltnierentags am 9. März. Kritisch werde es ab einem Body-Mass-Index von mehr als 25. Dazu müsste eine Frau bei 1,70 Meter Größe 75 Kilo wiegen. Übergewichtige haben oft einen erhöhten Blutdruck und entwickeln leichter einen Typ-2-Diabetes. Beide Erkrankungen können die kleinen Gefäßknäuel (Glomeruli, Einzahl: Glomerulus) in den rund eine Million Nierenkörperchen schädigen. Die Nierenkörperchen sind die kleinsten Filtereinheiten des Organs. Sie halten bei gesunden Menschen Eiweiß im Blut zurück, lassen aber Giftstoffe und Stoffwechselrückstände durch, die mit dem Harn ausgeschieden werden.
Treibende Kraft der Filtration ist der in den Blutgefäßen der Gefäßknäuel herrschende Blutdruck, der von den Nieren ziemlich konstant gehalten wird. „Ist der Druck im Glomerulus zu hoch oder die Filtermembran der Nierenkörperchen verändert, wie bei Patienten mit Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes, dann gelangen Stoffe wie das Eiweiß Albumin hindurch und in den Urin“, erläutert Bernd Schröppel, Leiter der Nephrologie am Universitätsklinikum Ulm.
Albumin im Urin deutet darauf hin, dass der Filter in den Nierenkörperchen nicht richtig arbeitet. Bluthochdruck ist aber nicht nur die mögliche Ursache einer Nierenschädigung, sondern auch Begleit- und Folgeerscheinung einer etwa durch Typ-2-Diabetes verursachten chronischen Nierenfunktionseinschränkung. Kann das Organ nicht mehr richtig zur Blutdruckregulation beitragen, steigt der Blutdruck, was wiederum eine Verschlechterung der Nierenfunktion begünstigt – ein Teufelskreis.
Blutdruck und Blutzucker gut einstellen
„Deshalb sind eine gute Blutdruck- und Blutzuckereinstellung besonders wichtig, wenn es darum geht, die Nierenfunktion zu erhalten“, so Schröppel. In Deutschland werden derzeit rund sechs Millionen Menschen wegen eines Typ-2-Diabetes behandelt. Die Dunkelziffer soll beträchtlich sein. „Etwa drei bis vier von zehn Typ-2-Diabetikern weisen Nierenschäden auf – und jedes Jahr werden etwa 2000 Menschen infolge einer Typ-2-Diabeteserkrankung dialysepflichtig“, so der Nephrologe Mark Dominik Alscher, Chefarzt der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart und Präsident der DGfN.
Übergewicht kann die Nieren auch direkt schädigen. Häufig sitzen überflüssige Pfunde in der Bauchregion. Im medizinischen Fachjargon spricht man vom viszeralen Bauchfett. Dieses Fettgewebe ist ein potenter Produzent diverser Botenstoffe, die entzündliche Prozesse in der Niere und hier vor allem in den Glomeruli anheizen. Die Zahl der durch Übergewicht verursachten Glomerulopathien soll sich seit 1986 verzehnfacht haben. „Wer seine Nieren schonen möchte, sollte möglichst mit dem Rauchen aufhören, abnehmen, Kochsalz einigermaßen sparsam verwenden und seinen Blutdruck und Blutzuckerwert gut einstellen lassen“, rät Schröppel.
Nierentoxische Medikamente wie etwa Schmerzmittel, die über längere Zeit eingenommen werden, können die Filterorgane ebenfalls schädigen. Besonders hervorzuheben sind die nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Daher sollten beispielsweise Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen vermieden werden. „NSAR verändern unter anderem die Produktion hormonähnlicher Substanzen, der Prostaglandine“, sagt Schröppel. Diese Stoffe sind wichtig für die Mikrozirkulation des Blutes in den Nierenkörperchen.
Medikamente können schaden
Liegt bereits eine eingeschränkte Nierenfunktion vor, können die genannten Medikamente schon bei kurzzeitiger Einnahme zu einer abrupten, merklichen Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Auch bestimmte Antibiotika können schnell an die Nieren gehen. „Sie können eine allergische Reaktion verursachen, die eine Entzündung des Nierengewebes nach sich zieht. „Auch Allopurinol, ein Arzneistoff zur Behandlung der chronischen Gicht, kann die Niere in seltenen Fällen schädigen“, sagt Schröppel.
Eine chronische Nierenerkrankung verläuft über längere Zeit stumm, weshalb viele Betroffene gar nichts davon wissen. Eine aktuelle deutsche Studie habe ergeben, dass nur 28 Prozent der Menschen mit Niereninsuffizienz von ihrer Erkrankung wussten und nur zwei Drittel dieser Personen tatsächlich medikamentös behandelt wurden, berichtet Schröppel. Das sei umso bedauerlicher, weil eine Abnahme der Nierenfunktion sich medikamentös verlangsamen lässt, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. „Dann wäre es vielfach auch möglich, Dialyse und Transplantation über Jahre hinauszuzögern“, sagt Alscher.
Derzeit gibt es hierzulande rund 80 000 Dialyse-Patienten. „Wer eine neue Niere braucht, muss mit bis zu sieben oder acht Jahren Wartezeit rechnen“, sagt Schröppel. Jedes Jahr bekommen bundesweit etwa 3000 Patienten eine Niere verpflanzt. „Aber 1000 sterben derweil auf der Warteliste“, bedauert der Mediziner.
Früherkennung ist entscheidend
Umso wichtiger ist es, eine verminderte Nierenleistung möglichst frühzeitig zu entdecken – zum Beispiel im Rahmen des zweijährigen Check-ups ab dem 36. Lebensjahr. „Regelmäßige Kontrollen der Nierenfunktion sollten nicht nur bei Diabetikern und älteren Menschen, sondern auch engmaschig bei allen Patienten mit Bluthochdruck oder Übergewicht durchgeführt werden“, fordert Alscher. Bei einer gesunden Niere ist das Filtergewebe so dicht, dass höchstens 200 Milligramm Gesamteiweiß pro Tag im Urin ausgeschieden werden. Mehr Albumin im Urin ist ein Hinweis auf eine Nierenschädigung.
Neben der Eiweißbestimmung im Urin kann auch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) als Maß für die Filterleistung der Niere bestimmt werden. Die pro Minute anfallende Menge an Primärharn, der beim Filtern durch den Glomerulus entsteht, entspricht der GFR. Ein erwachsener Mensch produziert täglich 180 Liter Primärharn. Dieser wird bei der weiteren „Urinaufbereitung“ in der Niere auf nur mehr 1,5 Liter aufkonzentriert. Die Zahlen machen deutlich, welche Leistung eine gesunde Niere tagtäglich vollbringt.
Die Diagnosemöglichkeiten
Urin
Gesunde Nieren scheiden täglich 20 bis 30 Milligramm des Eiweißes Albumin aus. Bei 30 bis 300 Milligramm pro Tag spricht man von Mikroalbuminurie, bei höheren Werten von einer Makroalbuminurie. Allerdings muss beim einmaligen Auftreten von Eiweiß nicht gleich ein Nierenschaden vorliegen. Auch bei starker körperlicher Belastung, Harnweginfekten oder akuten fieberhaften Erkrankungen kann Eiweiß im Urin sein. Von einem ernsthaften Nierenschaden geht man aus, wenn binnen drei bis sechs Monaten mindestens zwei von drei Albumintests positiv waren.
Blut Um die Nierenfunktion zu beurteilen, wird oft die Kreatininkonzentration im Blut herangezogen. Kreatinin ist ein Stoffwechselprodukt der Muskeln und wird über die Nieren ausgeschieden. Allerdings steigt die Kreatininkonzentration erst, wenn die Funktionseinschränkung der Niere bereits bei mehr als 50 Prozent liegt. Deshalb ist Kreatinin im Blut für ein Screening auf Nierenerkrankungen ungeeignet.
Kombination
Eine bessere Aussage liefert die Kreatinin-Clearance – ein Maß für die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Hierbei wird die Kreatininkonzentration sowohl im über 24 Stunden gesammelten Urin als auch im Blut gemessen. Die Methode ist sehr genau, doch auch hier gibt es einen Haken: Fehler beim Urinsammeln führen zu falschen Ergebnissen. Sind die Proben unvollständig, ergibt sich ein zu niedriger Wert. Mit geringen Abstrichen lässt sich die GFR bei Erwachsenen zwischen 18 und 70 Jahren mit der sogenannten CKD-EPI- Formel auch ohne Sammelurin schätzen. Dabei fließen Faktoren wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Serum-Kreatinin ein.