Die dreijährige Siama Marjan steht in Nairobi (Kenia) hinter einem Moskitonetz, das sie vor dem Stich von Malaria-Mücken schützt. Foto: dpa

Schlagkräftige neue Wirkstoffe für den lange aussichtslosen Kampf gegen Parasiten - dafür wurde in diesem Jahr der Nobelpreis für Medizin zuerkannt. Malaria und entstellende Wurm-Krankheiten haben dank der Substanzen viel von ihrem Schrecken verloren.

Stockholm - Der Medizin-Nobelpreis geht in diesem Jahr an drei Wissenschaftler für Therapieansätze gegen Parasiten-Krankheiten wie Malaria und Flussblindheit. Die eine Hälfte erhält die Chinesin Youyou Tu. Die zweite Hälfte teilen sich der gebürtige Ire William C. Campbell und der Japaner Satoshi Omura. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist mit umgerechnet 850 000 Euro (acht Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. -

Wirksame Mittel gegen Parasiten-Erkrankungen

„Nach Jahrzehnten begrenzten Fortschritts bei der Entwicklung haltbarer Therapien für Parasiten-Krankheiten haben die Entdeckungen der diesjährigen Preisträger die Situation radikal verändert“, heißt es in der Begründung des Nobel-Komitee. Die Entdeckung von Artemisinin (ein Mittel gegen Malaria) und Avermectin (ein Mittel zur Parasitenbekämpfung) habe der Menschheit kraftvolle Mittel geliefert, verheerende Krankheiten zu bekämpfen, die Hunderte Millionen Menschen jährlich beträfen. „Die Wirkung in Form einer verbesserten menschlichen Gesundheit und verminderten Leidens sind unermesslich.“

Die drei Preisträger

William C. Campbell

Der Biochemiker und Parasitologe William Cecil Campbell wurde am 28. Juni 1930 im nordirischen Ramelton geboren. Für seine Entdeckung des Arzneistoffes Avermectin erhält er zusammen mit dem Japaner Satoshi Ōmura den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Avermectin wird bei der Behandlung von parasitären Infektionen, insbesondere gegen Fadenwürmer eingesetzt.

Campbell studierte am Trinity College der University of Dublin, wo er 1952 seinen Bachelor erlangte. Während eines Fulbright-Stipendium in den USA machte er an der University of Wisconsin–Madison 1954 seinen Master und promovierte 1957 mit einer Arbeit über Leberegel. Mehr als 30 Jahre (bis 1990) arbeitete er am Merck Institute for Therapeutic Research und war federführend bei der Entwicklung von Avermectin. 2002 wurde er zum Mitglied der National Academy of Sciences der Vereinigten Staaten gewählt. Derzeit lehrt und forscht Campbell als emeritierter Professor an der Drew University in Madison, US-Bundfesstaat New Jersey.

Das von Campbell und seinem japanischen Kollegen Satoshi Omura entdeckte Avermectin ist ein Antiparasitikum. Es wirkt also gegen Parasiten – hoch spezialisierte Lebewesen, die sich in der Regel von der Körperflüssigkeit anderer Organismen ernähren. Parasiten sind stark von ihrem jeweiligen Wirt abhängig.

Satoshi Ōmura

Satoshi Ōmura wurde am 12. Juli 1935 in der japanischen Präfektur Yamanashi geboren. Der Biochemiker ist vor allem bekannt für die Entdeckung und Entwicklung verschiedener in Mikroorganismen vorkommender Pharmazeutika. Ōmura studierte Chemie an der Naturwissenschaftlichen Universität Tokio, wo er 1963 seinen Diplomabschluss machte und 1968 in Pharmazie und 1970 in Chemie promoviert wurde. Ab 1963 forschte er an der Universität Yamanishi und ab 1965 war er am Kitasato Institut in Tokio. 1990 bis 2008 war er dessen Präsident.

Omura kultivierte spezielle Bakterien und Pilze – wie das die Avermectin produzierende Bakterium Streptomyces avermetilis. Seine Entdeckungen setzte er ein, um neue Arzneistoffe zu entwickeln, insbesondere von Antibiotika aus Makroliden (Substanzen, die als Stoffwechselprodukte in Bakterien und Pilzen vorhanden sind). Avermectin und sein Abkömmling Ivermectin werden heute als ein hocheffektives Mittel gegen in den Tropen verbreitete Wurmkrankheiten und andere Parasiten eingesetzt. Vor allem dient zur Bekämpfung der Onchozerkose (Flussblindheit).

Auslöser der Flussblindheit sind Fadenwürmern, die von Kriebelmücken übertragen werden, die in der Nähe fließender Gewässer leben. Die Infektion gefährdet die Augen und kann bis zur vollständigen Erblindung führen. Sie ist hauptsächlich in Afrika, Mittel- und Südamerika verbreitet.

Omura ist ein äußerst produktiver Forscher. Er entdeckte über 400 biologisch aktive Substanzen, die zu neuartigen Anti-Krebsmedikamenten sowie zu Wirkstoffen für die Tiermedizin und Pflanzenschutzmittel führten.

Schon in den 1970er Jahren suchte er nach antibiotisch wirksamen Naturstoffen. Er wurde fündig bei Bodenbakterien aus der Gruppe der Streptomyceten, in der Medizin keine Unbekannten. Bereits 1952 ging der Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung und Isolierung des aus diesen Bakterien gewonnen Antibiotikums Streptomycin an den Mikrobiologen Selman Waksman.

Der Japaner schickte damals seine Kulturen an seinen Fachkollegen, den irischen Parasitologen Iren William C. Campbell, darunter auch Bakterien der Art Streptomyces avermitilis. Der in den USA arbeitende Campbell erkannte sofort die Bedeutung von Omuras Fund. Bei seinen eigenen Experimenten mischte Campbell unter das Futter von Labormäusen ein von diesen Bakterien produzierten Stoff, der Fadenwürmern wirksam zu Leibe rückte. Dem daraus biochemisch isolierten Mittel gaben beide den Namen Avermectin.

Avermectin und das daraus weiterentwickelte Ivermectin wurden zur Basis einer ganz neuen Klasse von Medikamenten, die bei Menschen wie auch bei Tieren wirken. Die Parasitenkrankheiten Elephantiasis und Flussblindheit konnten dank der Forschungen von Ōmura und Campbell fast ausgerottet werden.

Bei der sogenannten Elephantiasis (auch Elefantenmann-Syndrom genannt) handelt es sich um eine abnorme Vergrößerung eines Körperteils – häufig die Beine – durch einen Stau im Lymphsystem. Die Krankheit tritt vor allem in den Tropen auf als Folge verschiedener Infektionen etwa durch Fadenwürmer oder Lepra. Die Würmer gelangen durch den Stich von Mücken ins lymphatische System und verursachen dort chronische Entzündung, die zu einem Lymphstau führen. Dadurch kommt es zu der typischen extremen Vergrößerung und Verhärtung der Haut.

Youyou Tu

Youyou Tu wurde am 12. Dezember 1930 in Ningbo, einer Küstenstadt in der ostchinesischen Provinz Zhèjiāng geboren. Die Pharmakologin ist neben Campbell und Omura die Dritte im Bunde der Ausgezeichneten. Aus gutem Grund: Tu entdeckte den zur Behandlung der Malaria eingesetzten Pflanzenstoff Artemisinin.

Tu studierte von 1951 bis 1955 an der Fakultät für Pharmazie der Medizinischen Universität Peking. Seitdem arbeitet sie am Institute of Materia Medica der Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin. Die heute 84-Jährige entdeckte bei ihren Versuchen mit Pflanzenstoffen das Potenzial des Artemisinins, einer in der traditionellen chinesischen Medizin verwendeten Substanz aus Blättern und Blüten des Einjährigen Beifußes (Artemisia annua). Sie wirkt gegen Plasmodium falciparum, den Erreger der Malaria tropica. Die Sterblichkeitsrate Malariakranker ließ sich damit deutlich reduzieren.

1969 wurde die damals 38-Jährige der Staatszeitung „China Daily“ zufolge Leiterin eines Regierungsprojektes, bei dem ein Mittel zur Behandlung der Tropenkrankheit entwickelt werden sollte. Youyou Tu vereinte moderne Forschung und traditionelle chinesische Medizin. Auf der Suche nach neuen Medikamenten stieß sie auf ein 700 Jahre altes Kräuterrezept, das den Durchbruch brachte. Aus dem einjährigen Beifuß isolierte sie schließlich 1971 den Wirkstoff Artemisinin.

Malarai – das heimtückischste aller Fieber

Malaria, auch Sumpffieber oder Kaltes Fieber genannt, gehört seit Menschengedenken zu den heimtückischsten Krankheiten. Jedes Jahr sterben bis zu 600 000 Menschen an Malaria. Schon ein Stich einer infizierten Mücke reicht aus, um sich anzustecken. Erst nach einigen Tagen merken die Betroffenen, dass sie erkrankt sind, doch für viele ist bes dann schon zu spät. Malaria wird von dem einzelligen Parasiten , den Plasmodien, verursacht. Die Erreger werden durch den Stich einer weiblichen Anopheles-Mücke auf den Menschen übertragen. Typisches Symptom einer Malariainfektion sind Fieberschübe.

Der Kampf gegen die Malaria schien lange Zeit aussichtslos. Ende der 1960er Jahre verlor das Medikament Chinin zunehmend seine Wirksamkeit, da die verursachenden Parasiten der Gattung Plasmodium Resistenzen dagegen entwickelten. Die Anopheles-Mücken, die beim Zustechen die Erreger übertrugen, wollte man mit dem Insektenvernichter DDT ausgerottet – doch ohne nachhaltigen Erfolg.

Was bewirkt Artemisinin

Artemisinin tötete die Malaria-Erreger ab, indem es die Plasmodien bereits in einem frühen Entwicklungsstadium attackiert. Das aus Artemisinin entwickelte Medikament Amervectin hat die Therapiemöglichkeiten gegen Parasiten revolutioniert. Noch immer ist die Grundlage der Malaria-Behandlung und senkt die Todesrate um 20 Prozent, bei Kindern sogar um 30 Prozent.

„Nach Jahrzehnten begrenzten Fortschritts bei der Entwicklung haltbarer Therapien für Parasiten-Krankheiten haben die Entdeckungen der diesjährigen Preisträger die Situation radikal verändert“, lobt das Nobel-Komitee. Von Parasiten verursachte Krankheiten träfen vor allem die ärmsten Menschen der Welt, heißt es in der Mitteilung weiter. „Die diesjährigen Nobelpreisträger haben Therapien entwickelt, die die Behandlung einiger der verheerendsten Parasiten-Krankheiten revolutioniert haben.“ Die Zahl solcher Infektionen sei dramatisch reduziert worden, sagt Nobel-Juror Hans Forssberg. Die Wirkung gehe aber weit darüber hinaus, die Last Einzelner zu verringern: „Die Behandlung hilft ihnen, der Armut zu entkommen.“

„Artemisinin ist das am häufigsten genutzte Medikament gegen Malaria“, unterstreicht Elena Levashina vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Es habe das Leben von Millionen Menschen verändert und sei ein Durchbruch bei der Bekämpfung von Malaria gewesen. Allein für Afrika bedeute Artemisinin mehr als 100 000 gerettete Leben jährlich, fügt das Nobel-Komitee hinzu.

Bald der erste Impfstoff gegen Malaria

Seit Jahren schon forschen Wissenschaftler nach einem Impfstoff gegen Malaria. 2012 gelang Tübinger Tropenmedizinern der Durchbruch. Sie entwickelten zusammen mit anderen internationalen Forschern einen Wirkstoff, der das menschliche Immunsystem auf Vordermann bringt. Das Mittel mit Namen RTS,S – auch Mosquirix genannt - wurde in Studien afrikanischen Säuglingen und Kleinkindern gespritzt.

Der Impfstoff steht nach Aussage von Professor Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin und Humanparasitologie der Universität Tübingen kurz vor der Freigabe durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Würde es zugelassen, wäre RTS,S der erste wirksame Impfstoff gegen Malaria überhaupt. Der Impfstoff enthält ein im Erreger Plasmodium falciparum enthaltenes Protein, wodurch eine Immunisierung und eine schnellere Abwehrreaktion des menschlichen Immunsystems bewirkt werden sollen.

Tübinger Universität ist führend in der Malarai-Forschung

Das Tübinger Institut arbeitet eng mit dem von Albert Schweitzer gegründeten Hospital in Lambaréné, Gabun, zusammen, wo auch Studien zu RTS,S und einem weiteren Impfstoff durchgeführt werden. „RTS,S ist nur zu 30 bis 40 Prozent wirksam“, erklärt der Tropenmediziner. „ Wir wollen einen 70 Prozent wirksamen Wirkstoff herstellen. Dass erreicht dieser Impfstoff nicht. Aber es ist ein erster Meilenstein. Wir arbeiten intensiv daran, einen Malaria-Impfstoff zu entwickeln mit mehr als 75 Prozent Wirksamkeit. Da sind wir jetzt dran“, so Kremsner.

Die Malaria-Forschung habe in Tübingen eine große Bedeutung. Kremsner: „Es ist seit 25 Jahren ein Schwerpunkt der Forschung, gemeinsam mit dem Albert-Schweitzer-Hospital in Lambarene, wo es viele der weitführenden klinischen Studien stattfinden. Eine dieser Studie ist gerade in der heißen Phase, deshalb fliege ich auch an diesem Dienstag wieder nach Lambarene.“ Die drei diesjährigen Nobelpreisträger kenne er nicht persönlich, sagt Kremsner. „Ich denke, aber auch unser Institut hat eine Chance auf den Medizin-Nobelpreis.“

Krankheiten vor allem der Armen

Die Verleihung des diesjährigen Medizin-Nobelpreis hat nach Einschätzung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin auch eine politische Botschaft. „Beide Wirkstoffe sind aus biologischen Materialien gewonnen worden“, sagt der Parasitologe Egbert Tannich. „Darum ist es wichtig, die biologische Vielfalt zu erhalten, damit wir auch in Zukunft solche Wirkstoffe isolieren können. Außerdem geht es in beiden Fällen um Krankheiten, die besonders in armen Ländern viele Menschen betreffen.“

Die Entdeckung des Malaria-Wirkstoff Artemisinin sei wichtig gewesen, weil ständig neue Resistenzen entstünden, so der Professor. „Darum brauchen wir immer wieder neue Medikamente. Und es hatte sich kein neues abgezeichnet. Da waren wir froh, dass dieses neue Medikament dazugekommen ist, denn wir hatten zunehmend Probleme, die schweren Verlaufsformen der Malaria zu behandeln. Leider ist es inzwischen so, dass sich auch gegen Artemisinin Resistenzen entwickeln.“ Damit sei zu befürchten, dass auch diese „Waffe“ stumpf werden könnte. „Beide Wirkstoffe sind zwar patentgeschützt, werden den armen Ländern aber kostenlos zur Verfügung gestellt.“

Auch die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina lobt die diesjährige Entscheidung des Medizin-Nobelkomitees. „Mit dem Nobelpreis werden hier große Durchbrüche im Bereich der Therapie armutsassoziierter Krankheiten gewürdigt“, betont der Präsident Jörg Hacker.