Bei Senioren kann es schnell zu ­Überdosierungen kommen. Denn die Wirkstoffe werden langsamer als in jungen Jahren ­aufgenommen und bleiben länger im Körper. Foto:  

Vor dem Essen oder auf nüchternen Magen – die Einnahme von Pillen und Dragees ist oft schwieriger als gedacht. Und schnell wird das Medikament falsch eingenommen.

Dresden - „Hab’ ich schon, oder muss ich noch . . .?“ Seien es Blutdruckmittel oder Cholesterinsenker, Vitamin-D-Tabletten oder Schilddrüsenpräparate: Wenn Menschen täglich Pillen schlucken müssen, kommt es leicht zu Unregelmäßigkeiten. Ab und zu vergessen die Patienten, ihre Mittel zu nehmen. Oder sie wissen nicht mehr, ob sie ihre Medikamente schon geschluckt haben. Sollten sie sicherheitshalber noch eine Tablette nehmen? Oder kann es gefährlich werden, wenn sie doch eine zu viel erwischen?

„In den meisten Fällen hat es keine unmittelbaren schwerwiegenden Folgen, wenn man ausnahmsweise eine Tablette zu viel nimmt“, sagt Lisa Goltz vom Arzneimittelberatungsdienst der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) in Dresden. Das gilt für viele Blutdrucksenker oder auch für Statine, mit denen man den Cholsterinspiegel senkt. „Aber man muss mit Verallgemeinerungen sehr vorsichtig sein“, betont die Apothekerin. Denn es gibt auch Präparate, die sehr exakt dosiert werden müssen, damit es nicht zu Vergiftungserscheinungen kommt.

Medikamente wirken von Mensch zu Mensch unterschiedlich

Diese Mittel haben eine sogenannte geringe therapeutische Breite. Das bedeutet, dass der Dosierungsspielraum, in dem sie wirksam und zugleich unbedenklich sind, sehr klein ist. Außerdem, betont Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), gibt es starke individuelle Abweichungen: „Wie Medikamente wirken, kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein.“ So kann dieselbe Dosis bei einem Patienten Beschwerden auslösen, beim nächsten aber problemlos sein. Eine Rolle spielen dabei Alter, Körpergewicht, Geschlecht und Gesundheitszustand.

Ein oft genanntes Beispiel für ein Mittel, das schnell gefährlich werden kann, ist das Herzmedikament Digitalis mitsamt seinen Verwandten, deren Wirkstoff aus dem giftigen Fingerhut gewonnen wird. Digitalis-Präparate helfen insbesondere bei Herzmuskelschwäche und Herzrhythmusstörungen. Schon bei einer leichten Überdosis kann es zu Benommenheit, Herzproblemen oder Übelkeit kommen. Daher werden die Mittel immer seltener eingesetzt. Auch Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar, die das Blut verdünnen und dadurch Gefäßverstopfungen wie Thrombosen oder Herzinfarkten vorbeugen, müssen genau dosiert werden. Bei Unterdosierung entfalten die Mittel nämlich ihre Wirkung nicht, bei Überdosierung drohen dagegen Blutungen.

Eine Überdosis kann zu Herzrasen, Magen-Darm-Beschwerden oder Kopfweh führen

Problematisch sind Einnahmefehler auch bei Schilddrüsenhormonen, die in Deutschland zu den am häufigsten verordneten Medikamenten zählen: „Bei einer hohen Dosis Levothyroxin kann es zu unangenehmen Folgen wie Herzklopfen und Zittern kommen“, sagt Goltz. Präparate mit diesem Stoff werden vor allem bei einer Schilddrüsenunterfunktion verschrieben.

Auch bei Theophyllin, das bei mittlerem bis schwerem Asthma angewandt wird, ist wegen der engen therapeutischen Breite große Vorsicht geboten. Der Stoff, der in kleinen Mengen unter anderem in Teeblättern und Kaffeebohnen vorkommt, erweitert die Bronchien, kann aber auch den Herzschlag beschleunigen. Eine Überdosis kann zu Magen-Darm-Beschwerden, Herzrhythmusstörungen und Kopfweh führen und im Extremfall sogar tödlich sein.

Aufpassen müssen auch Diabetiker: So können zum Beispiel Sulfonylharnstoffe, die den Blutzuckerspiegel senken, bei einer Überdosierung zu einer Unterzuckerung führen. Typische Anzeichen dafür sind ein schneller Puls, Schweißausbrüche, Blässe, Kopfschmerzen und Heißhunger. Unternimmt man nichts dagegen, drohen Verwirrtheit und Bewusstlosigkeit.

Kleine Einnahmefehler bei rezeptfreien Medikamente unproblematisch

Bei sehr vielen anderen Medikamenten muss man sich keine Sorgen machen, wenn man aus Versehen mal ein bisschen zu viel erwischt. Dazu gehören Mittel mit einer großen therapeutischen Breite wie etwa Vitamin-D- und Jodid-Tabletten, Magnesium, Johanniskraut oder Acetylsalicylsäure, das sogenannte Aspirin.

„Grundsätzlich gilt: Je größer die therapeutische Breite eines Medikaments, umso sicherer ist es in der Anwendung“, sagt der Pharmakologe Kay Brune von der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass kleine Einnahmefehler bei rezeptfreien Medikamenten unproblematischer sind als bei verschreibungspflichtigen.

„Es gibt aber eine wichtige Ausnahme von dieser Regel, nämlich Paracetamol“, sagt Brune. Bei diesem gängigen Schmerzmittel gilt in Deutschland für Erwachsene eine Obergrenze von vier Gramm pro Tag – das entspricht acht Tabletten à 500 Milligramm. „Ab sechs Gramm kann man ernsthafte Probleme bekommen“, sagt Brune. Erste Vergiftungssymptome sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen, in der Folge kann die Leber schwer geschädigt werden – mit schlimmstenfalls tödlichem Ende. Daher fordern Experten wie Brune, Paracetamol komplett unter Rezeptpflicht zu stellen. Packungen, die nicht mehr als zehn Gramm des Stoffs enthalten, sind nach wie vor frei verkäuflich.

So nimmt man Medikamente richtig ein

Tageszeit

Ob Medikamente optimal wirken, hängt auch vom richtigen Einnahmezeitpunkt ab. Angaben dazu finden sich in der Regel auf dem Beipackzettel. Die Formulierung „vor dem Essen“ bedeutet, dass man das Mittel mindestens eine halbe Stunde vor der Mahlzeit schlucken sollte. Heißt es „nüchtern“, sollte man die Arznei spätestens eine Stunde vor oder frühestens zwei Stunden nach dem Essen nehmen.

Hilfsmittel

Wenn ein Patient verschiedene Tabletten einnehmen muss, sind Dosierhilfen sinnvoll. In diese sogenannten Pillenboxen kann man die Medikamente nach Wochentag und Tageszeit sortiert einfüllen. Inzwischen sind auch Dosierhilfen mit Erinnerungsalarm sowie Medikamentenuhren auf dem Markt, die zur gegebenen Zeit Signale aussenden. Außerdem gibt es für Smartphones spezielle Apps, die an die Medikamenteneinnahme erinnern.

Flüssigkeit

Tabletten oder Kapseln sollte man immer mit reichlich Leitungswasser schlucken. Andere Getränke, etwa Kaffee, Alkohol, Milch oder Fruchtsäfte, sind zum Herunterspülen ungeeignet, weil sie die Wirkung des Medikaments beeinflussen können.