Der 26. Medienkunstfestival Filmwinter im Wilhelmspalais hat begonnen: Die Beiträge am Eröffnungsabend faszinieren und irritieren – aber sie lassen nie kalt.
Stuttgart - Wo einst das Reich der Bücher war, werden nun Filme gezeigt: Der Verein Wand 5 ist mit seinem Medienkunstfestival Filmwinter ins Wilhelmspalais gezogen, das bis 2011 die Stadtbücherei beherbergte. Vagabundierend war es schon immer, die Basis aber das Filmhaus; seit dort die Kinosäle demontiert wurden, ist der Filmwinter Nomade. Im Wilhelmspalais beginnen im Herbst die Arbeiten fürs Stadtmuseum, dank eines großen Netzwerks hoffen die Festivalmacher auf andere gute Zwischenlösungen. Doch Giovanna Thiery von Wand 5 betont: „Unsere Perspektive ist, dass Stuttgart einen neuen Ort für Film und Mediendiskurs bekommt.“
Die erste Rolle des Kurzfilmwettbewerbs am Donnerstag begann mit „Tania“, einem 20-minütigen szenischen Film des Franzosen Giovanni Sportiello. Eine 16-Jährige trägt da stets einen Zimmermannshammer bei sich. Sie beobachtet zwischen tristen Mietskasernen spielende Kinder, hilft einer alten Frau, die zusammengebrochen ist, trifft einen Mann, mit dem sie geschlafen hat und der nun gleichgültig wirkt. Doch was will sie mit dem Hammer? Das bleibt rätselhaft, aber die enorme Anspannung und Unruhe dieser Tania verstört, überträgt sich, nimmt die Zuschauer gefangen.
Irritationen verursacht auch Bernd Oppls „Hotel Room“, aber auf geradezu kontemplative Weise: Ein menschenleeres Hotelzimmer verändert ganz langsam seine Struktur, und es dauert eine Weile, ehe man erkennt, dass es von einer Eisdecke überzogen wird. Sehr schlicht, sehr faszinierend.
Wasser, wenn auch kein gefrierendes, spielt auch in anderen Beiträgen eine Rolle: In „To the Sea“ von Anna Valdez Hanks und Anna Blanford nehmen die Anfangsbilder einer gleichförmigen Meeresbrandung die Alltagsroutinen einer Kleinfamilie vorweg. Die Gleichförmigkeit wird gestört, als der Familienvater beim Strandspaziergang einen Ertrinkenden um Hilfe schreien hört und zu lange zögert, ihn zu retten. Dann geht der Alltag in teils exakt den gleichen Kameraeinstellungen weiter, und doch wird auf beklemmende Weise deutlich, dass in der Familie etwas zerbrochen ist.
In Form einer poetischen Bild-Ton-Collage reflektiert „Waterscope“ das Verhältnis von Mensch und Wasser: Carsten Aschmann zeigt das Element mal in Kontexten, in denen es Menschen kontrollieren oder nutzen – Staudämme, Bäder, Kläranlagen –, dann ohne menschlichen Einfluss in Flussläufen und Wasserfällen, dazu montiert er passende Tonfetzen der Kinogeschichte.
Zum grotesken Verfremdungsinstrument wird Wasser schließlich in Harald Hunds „Apnoe“: Der ohnehin satirische Blick, mit dem Hund eine spießige Kleinfamilie mit pubertierender Tochter zeigt, erhält dadurch eine extrem skurrile Note, dass alles unter Wasser gefilmt wurde und sich die Darsteller trotz wabernder Haare und anderer Schwierigkeiten ganz selbstverständlich wie im Trockenen verhalten.
Noch grotesker gerät Erkka Nissinens „Rigid Regime“, in dem ein armloser Mann in ostasiatischer Umgebung ein wüstes Schicksal voll heiterem Gleichmut erduldet – eine Satire auf Anpassungsstrategien in Diktaturen? Oder einfach Dadaismus? Herrlich durchgeknallt auf jeden Fall. Souverän kombiniert zum Abschluss Bjørn Melhus in „Das Badezimmer“ disparate Elemente, wenn er einem schmuddligen Gärtner mit Motorsäge die Stimme Alfred Hitchcocks aus einem 50er-Jahre-Thriller leiht.
So formal unterschiedlich die Beiträge sind – beim Auftakt hat das Filmwinter-Team ein sicheres Händchen für Werke bewiesen, die irritieren, faszinieren, verstören oder zum Lachen reizen – und vor allem zeigen, dass Kurzfilme am spannendsten sind, wenn sie Brüche und Unerwartetes wagen.