Manchen Eltern – und einigen Lehrern – wird angst und bang, wenn von „Neuen Medien“ die Rede ist. Was für Jugendliche Alltag ist, bereitet Erwachsenen Kopfzerbrechen. Wie wichtig sind Internet und Co. für Schule und Erziehung? Antworten lieferte der Kongress „Medienkompetenz macht Bildung“.
Stuttgart - Manfred Spitzer war bei dem Stuttgarter Kongress gar nicht dabei, aber dennoch in aller Munde. In seinem neuen Buch „Digitale Demenz“ hat der Hirnforscher aus Ulm das Böse aus seiner Sicht benannt. Ganz deutlich. Ohne Umschweife. Er sagt: „Jeder Tag, den ein Kind ohne digitale Medien zugebracht hat, ist gewonnene Zeit.“
Klingt ganz einfach, dieses Rezept, mit dem Spitzer in den vergangenen Wochen Talkshows beglückt und seiner Buchauflage Gutes getan hat. Doch Wolfgang Kraft hat seine Probleme mit dem streitbaren Wissenschaftler. „Es gibt keine einfachen Antworten“, sagte der Direktor des Landesmedienzentrums zum Auftakt des Fachtreffens. Und er wurde ebenso deutlich wie sein Kontrahent: Spitzer setze auf „billige Demagogie“, biete keine Antworten für Zukunftsfragen. „Er fährt uns mit solchen Aussagen von hinten in die Beine.“ Medien zentral für Schule und Ausbildung, den Jugendlichen müsse ein „gelassener und souveräner Umgang“ mit den modernen Kommunikationsmitteln beigebracht werden, statt diese zu verteufeln. „Medien sind nicht böse, sie machen nicht dick und auch nicht dumm“, sagte Kraft. Eine volle Breitseite auf Spitzer, der in seinen Büchern gern gegen Fernsehen, Facebook und Internet wettert.
„Das geschieht ganz selbstverständlich, wie beim Erlernen der Muttersprache“
Wie aber sollen Lehrer, Väter und Mütter mit dem umgehen, was in der Jugend ebenso allgegenwärtig wie alltäglich ist? Vor allem müsse man akzeptieren, dass die Neuen Medien wesentlicher Teil der heutigen Realität seien, sagte Silke Krebs (Grüne), Ministerin im Staatsministerium des Landes, „ob uns das gefällt oder nicht“. Die Politikerin plädierte dafür, die modernen Technologien „gewinnbringend“ einzusetzen. Sie ging sogar soweit, in der frühkindlichen Bildung die digitale Vielfalt nicht auszusperren.
Mit diesem Mehr an Möglichkeiten gehen die Jungen und Mädchen spielerisch um. „Sie wachsen in die Nutzung hinein, völlig frei von Vorbehalten“, sagte Claudia Kuttner, Expertin für Medienpädagogik und Weiterbildung von der Universität Leipzig. „Das geschieht ganz selbstverständlich, wie beim Erlernen der Muttersprache.“
Was das bedeutet? Wie junge Menschen an Informationen herankommen und was sie damit anstellen, habe sich radikal verändert, sagte die Wissenschaftlerin und nannte als Beispiel You Tube. Für Jugendliche ist die Plattform längst mehr als ein reiner Videokanal: Er sei mediale Brücke zu Freunden oder Verwandten, Forum für den Austausch. Oder eine Möglichkeit sich der Außenwelt mitzuteilen, etwa über eigene Filme.
Heute verteilen Lernprozesse sich auf vier Säulen
Und You Tube dient als „Raum für individuelle Lernprozesse“, wie es Kuttner bezeichnete. Selbst für Banales. „Wenn Eltern von ihren Kindern zum Hochzeitstag mit einem selbst gekochten Gulasch überrascht werden, haben die Kinder das möglicherweise mit Hilfe eines Videos nachgekocht.“
Dazu passt der Begriff der „Medienmenüs“, den die Leipzigerin Forscherin einführte. Schüler oder Studenten wählen sich von der Speisekarte der Kommunikationsformen und Informationsquellen das aus, was ihnen am besten schmeckt.
Beispiel Mathematikunterricht: Früher waren die Lernprozesse auf drei Säulen verteilt: Lehrer, Bücher und Mitschüler/Familie. Heute sei als vierte Säule das Internet mit seinen Anwendungen dazu gekommen. So lernten Schüler inzwischen in der Straßenbahn mit Hilfe spezieller Mathe-Apps auf ihrem iPhone, was es mit dem Satz von Pythagoras bloß auf sich hat, sagte Kuttner.
Was lernt ein ratlos gewordener Vater daraus? Vor allem eins: Lernen hört heute nicht mehr auf, wenn die Schulzeit vorbei ist. Mit der rasanten Entwicklung in der Informationstechnik gilt es Schritt zu halten. Jeden Tag. Ein Leben lang.