Im Saarland darf mit Maske und Test eingekauft werden. Foto: Oliver Dietze/dpa

Ministerpräsident Tobias Hans verteidigt den Plan, ein ganzes Bundesland zur Modellregion zu machen. Seine Argumente verfangen kaum. Doch immerhin: Es gibt einen Hoffnungsschimmer.

Stuttgart - Im gesamten Saarland leben weniger Menschen als in Köln. Das gesamte Bundesland ist in etwa halb so groß wie der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist nicht despektierlich zu sagen: das Saarland ist klein. Es ist aber ebenso richtig zu sagen, dass die Beachtung des Saarlandes seit dem Ende der Osterferien ziemlich groß geworden ist. Ministerpräsident Tobias Hans hat sein gesamtes, rund 2500 Quadratkilometer großes Terrain zum Versuchsballon in der Coronakrise erklärt. Und weit mehr als die rund 980 000 Bewohner schauen gespannt, ob der Ballon platzt oder zu Höhenflügen ansetzt. Bei Maybrit Illner hat Tobias Hans am Donnerstagabend erklärt, warum er sein Handeln für richtig erachtet. Viel Zustimmung bekam er dafür nicht.

Tobias Hans gibt sich alle Mühe, das Virus verbal ernst zu nehmen. „Ja, wir sind in der dritten Welle“, sagt er, „ja, wir müssen vorsichtig bleiben“. Nach seiner Selbsteinschätzung ist er das auch. Hans verweist darauf, dass die Inzidenzzahlen an der Saar zu den niedrigsten in der Republik gehören, die Kontaktbeschränkungen im privaten Beriech zu den strengsten im Land. Und dass getestet wird, wie sonst kaum an einem anderen Ort. Jetzt schon verpflichtend für Pendler, die sowohl aus Frankreich als auch aus Luxemburg kommen, bald auch verpflichtend für Schüler. „Wir laufen pro Woche auf 200 000 Tests zu, das sind 20 Prozent der Bevölkerung“, sagt Hans. Deswegen sei es vertretbar Geschäfte und Außengastronomie zu öffnen, oder auch die Sportstudios, die mit Belüftungsgeräten ausgestattet seien.

Der Zeitpunkt für das Projekt ist falsch

Melanie Brinkmann muss da immer wieder schlucken. Ja, sagt die Virologin, Modellprojekte seien gut. Und ja, man könne und dürfe nicht alles über einen Kamm scheren im Land. Doch dann kommt das große Aber: „Der Zeitpunkt dafür muss stimmen“. Das ist im Saarland nach Brinkmanns Erkenntnissen nicht der Fall. „Der richtige Zeitpunkt ist dann, wenn wir mit den Zahlen unten sind, und nicht, wenn die Kurven klar steigen“. Peter Tschentscher, der Erste Bürgermeister Hamburgs, ergänzt: „Mit dem Testen wollten wir die Zahlen der dritten Welle runter bekommen. Jetzt schaffen wir mit der Öffnung gleichzeitig neue Risiken, so funktioniert das nicht“. Tschentscher ist, das geübten Talkshow-Publikum zu Pandemie-Zeiten weiß das natürlich, von Haus aus Arzt.

Das ist auch Cihan Celik. Der Oberarzt einer Corona-Intensivstation in Darmstadt ist ins Studio zugeschaltet und kann von vollen Intensivstationen berichten. An diesem Mittag erst habe man einen Patienten 50 Kilometer weit verlegen müssen, weil einfach kein Platz mehr gewesen sei, sagt Celik. „Wenn wir die Maßnahmen zur Vermeidung der Virusverbreitung erst dann verschärfen, wenn die Stationen alle voll sind, dann ist es zu spät“. Peter Tschentscher fällt da ein einprägsamer Vergleich ein: Bei einer Sturmflutwarnung müsse man die Schotten auch dicht machen, bevor das Wasser kommt. Wie gesagt, Tschentscher regiert in Hamburg.

Die Menschen nicht in die Privatsphäre drängen

Dort, an der Elbe, gilt von 21 Uhr an derzeit eine Ausgangssperre. Er habe eines der ruhigsten Osterfeste in der Geschichte erlebt, sagt Tschntscher. Er empfindet das als positiv. Der ebenfalls zugeschaltete DJ Paul van Dyk sieht das ganz anders. Er ist der einzige, von dem der saarländische Ministerpräsident Unterstützung erhält. Es sei ein Fehler, die Menschen in die Privatsphäre zu drängen, wo die Ansteckungen passieren, glaubt der DJ.

Es ist ein Disput, für den es an diesem Abend keine Lösung gibt. „Frische Luft statt Lockdown“, sagt Tobias Hans. Melanie Brinkmann erkennt bei vielen „einen Knoten im Hirn“. Wenn jetzt die Eiscafés eine Woche lang verkaufen dürften, dann sei damit niemandem geholfen, im Gegenteil: die Zeit der Schließung werde danach nur länger. Immerhin, eine positive Erkenntnis gibt es dann doch. Cihan Celik, der Oberarzt aus Darmstadt, berichtet zwar von vollen Stationen, aber auch davon, dass es mit den Impfungen kaum mehr Infektionen beim Personal gebe. Wie wichtig das Impfen ist – darin sind sich alle einig.