Mehr als 150 Lieder hatte Max Rieger von Die Nerven für sein Soloprojekt „All diese Gewalt“ geschrieben. Ein Gespräch über Songauswahl, vage Gefühle und warum er nicht mehr in Stuttgart lebt.
Stuttgart – - Herr Rieger, wo erreiche ich Sie?
Ich bin gerade in Berlin, wohne aber inzwischen in Leipzig.
Warum das?
Ich bin aus Stuttgart geflüchtet. Ich kann es mir schlichtweg nicht leisten. In Leipzig habe ich die Möglichkeit bekommen, mir für kleines Geld ein Studio einzurichten, in dem ich so laut sein kann, wie ich möchte. Das ist in Stuttgart immer ein Problem, da alles so eng ist. Das war nicht geplant, die Möglichkeit hatte sich einfach ergeben. Ich musste sowieso raus aus meinem Zimmer. Ob das auf Dauer ist, weiß ich nicht. Aber im Moment ist es das Richtige. Seit Juni wohne ich in Leipzig, war aber bisher de facto nur eine Woche dort.
Sie sind mehr unterwegs als irgendwo. Jetzt erscheint das zweite Album von All diese Gewalt, Ihrem Soloprojekt. Es ist ja nicht so, dass Sie nicht genügend zu tun hätten.
Nein, ich habe genug zu tun. Ich brauche das aber auch. Die Platte ist schon länger fertig. Sie erscheint erst jetzt, weil sie besser zu der Zeit passt, wenn der Sommer vorbei ist. Ich habe sie in Zeiten gemacht, als ich noch nicht so extrem ausgelastet war. Mein Beruf ist ja so, dass ich einen Monat irgendwo bin und überhaupt keine Luft für irgendetwas habe. Dann aber gibt es Wochen, die ich mit so etwas füllen kann. Ich mache ja sonst nichts anderes.
Ein Lied heißt „Jeder Traum eine Falle“. Ist denn jeder Traum eine Falle?
Ich glaube nicht. Ich träume sowieso recht wenig. Ich weiß gar nicht mehr, wo dieser Text herkommt. Es sind viele Dinge auf dem Album, mit denen ich schon lange abgeschlossen habe.
„Laut denken“, „Stimmen“, „Klang“ heißen die Songs Ihres Albums. Sie bleiben inhaltlich vage. Können Sie sich stets erinnern, welche Intention Sie während des Schreibens hatten?
Oft tatsächlich nicht. Ich finde das aber auch nebensächlich. Ich habe versucht, mich an einem Thema abzuarbeiten, das ich selbst nicht mal richtig benennen kann. Ich habe eher Gefühle als konkrete Dinge intoniert. Gefühle sind immer recht vage. Es gibt zwar Worte dafür, aber die sind immer nur umschreibend.
Zehn Songs sind auf dem Album. Es heißt, dass Sie in den vergangenen Jahren an mehr als 150 Songs gearbeitet haben. Wie entscheidet man, was auf das Album kommt?
Ich bin ein großer Freund von Konzeptalben, auch wenn es dem Trend widerspricht. Ich hatte auch Songs, die weniger vage, direkter, vielleicht sogar poppiger waren. Aber sie haben nicht in den Kontext dieses Albums gepasst. Die Songs erzeugen eine eigene Dramaturgie.
Welche Gefühle sind das, die Sie umgetrieben haben?
Alle. Es war ja doch ein recht langer Zeitraum. Ich habe versucht, so tief in die Platte einzusteigen, dass ich sie von allen Seiten betrachten kann. Es geht nicht hauptsächlich um negative Gefühle, aber sie waren durchaus eines der Triebmittel.