Nicht nur für das Aufhübschen ihres persönlichen Fotoalbums nutzt Bundeskanzlerin Angela Merkel die WM in Brasilien (hier nach dem Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal in der Kabine der Jungs). Auch unliebsame Gesetzesvorhaben werden mit Vorliebe während der Fußball-Party verabschiedet. Foto: dpa

Als die Deutschen 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft mitfieberten, peitschte die Regierung mal eben die Mehrwertsteuererhöhung durch. 2010 stiegen dann still und leise die Krankenkassenbeiträge. Nun rollt der Ball in Brasilien – und die Politiker wollen die Gunst der Stunde wieder nutzen.

Als die Deutschen 2006 bei der Fußball-Weltmeisterschaft mitfieberten, peitschte die Regierung mal eben die Mehrwertsteuererhöhung durch. 2010 stiegen dann still und leise die Krankenkassenbeiträge. Nun rollt der Ball in Brasilien – und die Politiker wollen die Gunst der Stunde nutzen.

Ökostrom

Viel Wind um neue Energie: Die große Koalition will ihre Ökostromreform mit einem Kompromiss in letzter Minute noch retten. Hunderttausende Bürger, die Strom in kleinen Solaranlagen bis 10 Kilowatt Leistung auf dem Dach produzieren und selbst verbrauchen, sollen von höheren Kosten durch die Ökostrom-Umlage nun doch ausgenommen werden.

Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen, zog prompt über die große Koalition und das „absolut dreiste Verfahren“ her, mit dem CDU, CSU und SPD noch Ende dieser Woche die EEG-Reform durch den Bundestag peitschen wollen. Seit Monaten verhandelten Fachleute in Fraktionen und Ministerien über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), doch die große Koalition sei trotz ihrer 80-Prozent-Mehrheit nicht in der Lage, „bei diesem bedeutenden Gesetz ein vernünftiges Verfahren einzuhalten“, so Hofreiter.

Für Freitag ist die Verabschiedung der Reform des EEG im Bundestag angesetzt. Die Regierung steht unter großem Zeitdruck, weil die Reform am 1. August in Kraft treten soll und dafür Mitte Juli noch durch den Bundesrat muss. Wegen der brisanten Lage trafen sich am Montagabend im Kanzleramt die Koalitionsspitzen.

Die Regierungsparteien wollen die Ökostromreform mit ihrem Kompromiss quasi auf der Zielgeraden retten. Vor allem die Regelung der Stromerzeugung zum Eigenverbrauch bei kleinen Solaranlagen hatte auch in der Großen Koalition für Unmut gesorgt.

Nach den Worten von Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) soll es nun „Bestands- und Vertrauensschutz“ für bereits installierte Anlagen geben, die weiterhin nicht mit einer EEG-Umlage belastet werden sollen. Nach der Verständigung der Fraktionen von CDU/CSU und SPD soll es für alle neuen Eigenversorger eine Umlagepflicht geben, die ab dem kommenden Jahr von 30 Prozent auf dann 35 Prozent in 2016 und ab 2017 auf 40 Prozent ansteigt. Betreiber kleiner Anlagen wie die Solaranlage auf dem Eigenheim sollen dabei aber unter die „Bagatellgrenze“ fallen und von einer EEG-Umlage ganz ausgenommen werden. Damit müssten Hunderttausende Bürger die Umlage nicht bezahlen.

Ob das die Bedenken der EU-Kommission zerstreuen wird? Die Hüterin der Verträge in Brüssel macht deswegen seit Monaten Druck auf Deutschland. Die EU-Kommission stört sich beispielsweise an der unterschiedlichen Behandlung von bestehenden und neuen Solaranlagen. Sie sieht darin einen Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung, wenn die EEG-Umlage nur bei neuen Anlagen bezahlt erhoben soll, nicht aber bei bereits installierten. Somit ist nach der Reform vor der Reform. Spätestens im Jahr 2017 soll das EEG wieder auf den Prüfstand. So viel Zeit hat die EU Deutschland für eine Übergangsfrist gegeben – 2017 ist nur leider ein Wahljahr und kein WM-Jahr.

Versicherte

Die neuen Regeln, mit denen die Ausschüttungssummen für Kunden gekappt werden, könnten noch während der WM-Wochen beschlossen werden. Die letzte Beratung im Bundestag ist am 4. Juli. Dann ist der Bundesrat an der Reihe – wahrscheinlich am 11. Juli, zwei Tage vor dem WM-Finale.

Für Kunden, deren Vertrag bald endet oder die ihre Police demnächst kündigen, kann das kräftige Einbußen bedeuten. Denn Versicherte sollen bei Kündigung oder regulärem Ablauf nicht mehr zur Hälfte an den Bewertungsreserven bei festverzinslichen Wertpapieren beteiligt werden. Unternehmen dürfen diese nur insoweit ausschütten, wie Garantiezusagen für die restlichen Versicherten sicher sind. Können sie erfüllt werden, kann auch ausgezahlt werden. Zudem entfällt die Begrenzung bei steigenden Kapitalmarktzinsen. Ziel des Gesetzes ist es, die Versicherungskonzerne zu schützen, die unter den niedrigen Zinsen leiden.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Reform am Dienstag als fairen Interessensausgleich verteidigt. „Unser Maßnahmepaket ist ausgewogen und gerecht“, sagte er im Bundestag zum Auftakt der Beratungen. Es werde eine tragfähige Lösung geschaffen, die für mehr Gerechtigkeit zwischen ausscheidenden und verbleibenden Versicherungsnehmern schaffe. Auch die Unternehmen sowie Anteilseigner leisteten einen Beitrag.

Die Linke spricht dagegen von einer Zumutung für die 62 Millionen Versicherungsnehmer. Aus Sicht der Grünen handelt es sich angesichts noch offener Fragen um „Versicherungspolitik im Blindflug“. Die Finanzaufsicht müsse künftig aktiver werden.

Zum 1. Januar 2015 soll zudem der Garantiezins für Neu-Verträge von 1,75 auf 1,25 Prozent gesenkt werden. Zugleich müssen sich Aktionäre auf Ausschüttungssperren einstellen. Schließlich soll mehr Transparenz gelten – etwa bei Provisionen für Makler.

Mindestlohn

Die monatelange Debatte könnte bald ein Ende haben. Am 4. Juli wird nicht nur in Brasilien der Einzug zweier Mannschaften ins Halbfinalen entschieden. Am gleichen Tag soll im Bundestag einen Beschluss zum Mindestlohn fallen. Dieser soll – mit einer Übergangsphase von zwei Jahren für bestimmte Branchen – grundsätzlich ab 2015 gelten. Ausgenommen sind Jugendliche unter 18 Jahren sowie Langzeitarbeitslose für die ersten sechs Monaten einer Beschäftigung. Für Praktika bis zu einer sechswöchigen Dauer sowie für Pflichtpraktika im Studium oder in der Berufsausbildung soll der Mindestlohn ebenfalls nicht gelten.

Doch der genau Inhalt wird immer noch verhandelt: Am Dienstag war aus Koalitionskreisen zu erfahren, dass Zeitungsverleger für die Mehrkosten durch den Mindestlohn mit Rabatten bei den Sozialbeiträgen für Minijobber entlastet werden sollen. Die schwarz-rote Bundesregierung will demnach die pauschalen Sozialabgaben für Minijobs in Privathaushalten für fünf Jahre auch für geringfügig beschäftigte Zeitungszusteller gelten lassen. Statt des gewerblichen Arbeitgeber-Beitrags zur Krankenversicherung von 13 Prozent sollen es dann nur fünf Prozent sein. Bei der Rentenversicherung fällt der Prozentsatz von 15 auf ebenfalls fünf Prozent. Die Regelung soll ab 2015 gelten.

Mit dieser Regelung für Verleger vermeidet Andrea Nahles (SPD) zwar eine Branchenausnahme, kommt aber den Verlegern an anderer Stelle entgegen. Die Sozialministerin wollte beim flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde grundsätzlich keine Ausnahmen zulassen. Sie stand aber unter Druck durch die Koalitionsfraktionen, weil diese sicherstellen wollen, dass Zeitungen auch auf dem Land noch beim Abonnenten ankommen.

Die Grünen halten das für ein Unding. Dieser Kuhhandel müsste sofort wieder vom Tisch, denn sonst würden auch andere Branchen mit vielen Minijobs etwa die Gastronomie eine solche Sonderregelung verlangen.

Mietpreise

Es werden während der WM aber nicht nur Projekte durchgepeitscht, Erwartetes wird auch verschoben. So hat die geplante Mietpreisbremse Gegenwind erhalten: Justizminister Heiko Maas (SPD) stößt mit seinem Vorhaben, die Mietpreise bei der Wiedervermietung von Wohnungen zu begrenzen, auf Widerstand bei Union und SPD. Der CDU-Abgeordnete Marco Luczak sagte nach einem Gespräch von Unionsabgeordneten mit Beamten aus dem Justizministerium voraus: Die Mietpreisbremse werde frühestens im Sommer 2015 und damit sechs Monate später als geplant in Kraft treten.

Maas habe sich monatelang nicht bewegt, nachdem er mit seinen Vorschlägen den Koalitionsvertrag nicht umgesetzt habe und dies wiederholt von der Unionsfraktion bemängelt worden sei. Solange es keine Änderungen gibt, dürfe der Gesetzentwurf nicht ins Kabinett, so Luczak, der zudem eine zeitliche Befristung des Gesetzes verlangt.

Kritik kommt auch aus dem SPD-regierten Nordrhein-Westfalen: Beamte des dortigen Justizministeriums hatten Mietrechtsexperten zum Gesetzesvorhaben befragt. Bei ihnen stoße das Vorhaben auf „vielfache Bedenken“. In ihrer Stellungnahme hatten sie argumentiert, dass sich das Problem von rasanten Preissteigerungen „auf ganz wenige Hotspots“ und wenige „besonders angesagte Quartiere“ beschränke.

Drohnen

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vermeidet das Thema, wenn es irgendwie geht. Die Anschaffung von Drohnen, oder „unbemannten fliegenden Systeme“ wie es im Fachjargon heißt, für die Bundeswehr ist äußerst umstritten. An Popularität gewinnt man mit Drohnen nicht. Da kommt der Termin für die umstrittene Debatte im Verteidigungsausschuss wie gerufen: Diese wird am 30. Juni stattfinden, also an dem Tag, an dem ein Gruppensieger Deutschland im Achtelfinale stünde.

Maut

Die Pkw-Maut erregt die Gemüter seit dem Bundestagswahlkampf 2013, als CSU-Chef Horst Seehofer das Thema auf die Tagesordnung setzte. Ausländische Autos sollten für deutsche Autobahnen zahlen, wie es deutsche Urlauber in Italien oder Österreich auch tun müssen, so der bayerische Ministerpräsident. Nach der Wahl wurde die Maut zur Sache von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Bis Anfang Juli – wenn gerade in Brasilien die K.O.-Spiele im Gange sind – will dieser ein konkretes Konzept für eine Maut vorlegen. Eine Vignette soll es werden, für etwa 100 Euro pro Jahr. Gelten muss sie für alle Pkws – entgegen Seehofers ursprünglicher Idee, nur ausländische Autofahrer mit der Abgabe zu belasten. Das EU-Recht untersagt eine Diskriminierung wegen der Nationalität. Über die Kfz-Steuer sollen inländische Fahrer so entlastet werden, dass sie unterm Strich nicht mehr bezahlen müssen als bisher. Doch wie das klappen soll, ist die große Frage.