Die gläubigen Muslime versammeln sich in der Moschee an der Mauserstraße. Das Zen­trum gilt als Magnet für die gesamte Region. Foto: Tom Bloch

Nach dem Brandanschlag in der Nacht von Montag auf Dienstag ist an der Mauserstraße größtenteils wieder Normalität eingekehrt. Zum Freitagsgebet kommen durchschnittlich zwischen 1000 und 1500 Muslime.

Stuttgart-Feuerbach - Es ist ein trüber Tag. Dunkle Wolken hängen über Feuerbach und der Mauserstraße. Es regnet. Es ist ungemütlich. Sonst scheint alles wie immer zu sein. Die Parkplatzsuche gestaltet sich schwierig. Auf dem Gehweg schlendern etliche Menschen Richtung Moschee. Einige gehen einkaufen, essen oder tragen Lebensmittel in Tüten zu ihrem Auto.

Es ist Mittwoch. Vor etwas mehr als 24 Stunden haben vier bisher unbekannte Täter gegen 1.40 Uhr Molotowcocktails in den an die Moschee angrenzenden Buchladen an der Mauserstraße geworfen. Verletzt wurde niemand. Der Sachschaden wird auf 80 000 Euro geschätzt. In Verdacht stehen Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Am Mittwoch ist auch ein Bekennerschreiben einer kurdischen Jugendorganisation aufgetaucht, die sich zu dem Brandanschlag bekennt. Ob das Schreiben echt ist, wird von der Polizei derzeit noch geprüft. „Wir ermitteln weiter in alle Richtungen“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen.

In den vergangenen beiden Tagen haben Polizeibeamte nun verstärkt an der Mauserstraße vorbeigeschaut. Am Mittwoch steht ein Streifenwagen mehrere Stunden am Straßenrand. Die Beamten erklären auf Nachfrage, dass „alles ruhig ist – und das wird auch so bleiben“. Normalität scheint an der Mauserstraße eingekehrt zu sein – zumindest tagsüber. „Wenn es dunkel ist, sieht die Sache schon noch einmal anders aus. Ein mulmiges Gefühl bleibt vorerst“, sagt ein Feuerbacher, der an der Mauserstraße arbeitet.

Der Vorsitzende fühlt sich in Stuttgart wohl

„Wir haben keine Angst“, betont hingegen Ismail Cakir, der Vorsitzende des Vereins Ditib Türkisch-Islamische Gemeinde zu Stuttgart. „Das Leben geht weiter.“ Den Brandanschlag verurteilt er. Er habe ein Problem mit Gewalttätern – egal, welcher Herkunft sie sind. Selbst wenn PKK-Anhänger die Brandsätze in den Buchladen geworfen haben sollten, ist Cakir wichtig zu betonen, dass die Gemeinde kein generelles Problem mit Kurden habe: „Als ich 1972 nach Deutschland gekommen bin, haben wir hier alle zusammen gelebt. Es gab nie Probleme. Freundschaften sind entstanden. Ich habe kurdische Nachbarn.“ In all den Jahren, seit dem Bau der Moschee anno 1993, habe es grundsätzlich nie größere Unstimmigkeiten gegeben. Rechtsradikale Schmierereien oder gar Anschläge sind Cakir nicht bekannt. Ab und zu gebe es Graffiti an Hauswänden. Vor einigen Wochen seien an ein Schaufenster auch Bilder des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan geklebt worden. „Wir haben sie entfernt und fertig“, sagt Cakir.

Der Vorsitzende des Moschee-Vereins fühlt sich in Stuttgart sehr wohl – und zeigt das auch. Ein Bild von Mustafa Kemal Atatürk ziert die Wand hinter seinem Schreibtisch; der Gründer der türkischen Republik wird auch in Feuerbach verehrt. Daneben hängt ein Zinnteller, der das Stuttgarter Rössle im Zentrum trägt – augenfälliger kann man die Verbindung von neuer und alter Heimat kaum demonstrieren.

Es gebe auch gute Kontakte ins Feuerbacher Rathaus zur Bezirksvorsteherin Andrea Klöber. Der Bürgerverein war schon zu Besuch. Man habe an der Feuerbacher Kulturnacht und der Langen Nacht der Museen teilgenommen. „Wir arbeiten weiter an der Integration. Der Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen“, sagt Cakir.

Alle wollen an einem Strang ziehen

Dass das Gebiet rund um die Mauserstraße oftmals Klein-Istanbul genannt wird, passt ihm eigentlich nicht. Der Name vermittle einen falschen Eindruck. „Wir stehen allen Menschen offen – nicht nur denen mit türkischer Herkunft.“ Und diese gelebte Integration gelinge schon ganz gut. Täglich kämen mehrere Hundert Mitarbeiter der umliegenden Firmen zum Mittagessen an die Mauserstraße und würden auch teilweise in den Geschäften einkaufen. „Wir werden auf jeden Fall weiter an unserem Image arbeiten. Wir wollen mit allen friedlich und gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagt Cakir.

Solche Sätze hört Levent Günes gerne – und er erlebt auch, dass sie nicht nur daher gesagt sind, sondern gelebt werden. Als Gesandter der Stadt war der Mitarbeiter der Abteilung Integration unmittelbar nach dem Brandanschlag vor Ort. Er hat sich ein Bild von den Schäden gemacht, mit den Betroffenen gesprochen und seinem Dienstherren berichtet, wie besonnen die Mitglieder der Türkisch-Islamischen Gemeinde reagiert haben. Die Ditib sei in Stuttgart ohnehin auf einem progressiven Kurs, sie habe eine Jugendorganisation gegründet, die sehr rührig sei. Im Rat der Religionen spiele die Gemeinde eine gute Rolle, was die prompten Sympathiebezeugungen von Katholiken, Protestanten und Juden nach dem Brandanschlag auch bezeugt haben.

Wie der Gemeindevorstand Cakir hält auch der städtische Mitarbeiter Günes die Bezeichnung Klein-Istanbul für irreführend. „Meiner Ansicht nach ist die Mauserstraße eher so etwas wie ein ethnisches Outlet“, sagt Günes und erzählt, dass die Kunden von Modegeschäften, Bäckereien, Lebensmittelhändlern und Reisebüros aus der ganzen Region nach Feuerbach kämen: „Das Gelände hat eine sehr positive Magnetwirkung.“ Gefühlt seien 90 Prozent der dort ansässigen Geschäftsleute türkischer Herkunft, sagt Günes. Trotzdem gehe der Begriff Klein-Istanbul fehl: „Und wissen Sie warum? Weil abends um acht dort die Bürgersteige hochgeklappt sind.“